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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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und inneren Streitigkeiten die schätzenswerthesten Aufschlüsse giebt und überhaupt
eine Fundgrube für culturgeschichtliche Untersuchungen ist.

Das dritte Buch der zinggschen Chronik ist bisher noch nicht erwähnt
worden und grade dieses ist es, worauf wir die Aufmerksamkeit der Leser vor¬
züglich senken möchten. Dieses konnte mit Fug die Überschrift führen: "Dies
Buch gehört Burkhart Zingg" -- es ist des Verfassers Selbstbiographie. Sie
enthält in redseliger Breite und mit der liebenswürdigsten Naivetät seine man¬
nigfaltigen Schicksale und ist, wie keine andere gleichzeitige Aufzeichnung ge¬
eignet, "das häusliche und bürgerliche Sein in einer deutschen Reichsstadt des
Is. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen."

Die Chronik Zinggs ist vor kurzem als fünfter Band der deutschen
Städtcchroniken im Auftrage der Münchner historischen Commission von den
Prof. Frensdorf und Lexer herausgegeben und wie bei allen diesen Publica¬
tionen der Text unter kritischer Vergleichung aller zugänglichen Handschriften
hergestellt und mit mustergiltig gearbeiteten Anmerkungen, Beilagen und Glossar
ausgestattet worden/)

Wir haben im Folgenden versucht, die Sprache des 15. Jahrhunderts, die
unserem lesenden Publicum nicht mehr geläufig ist, in die heutige Schriftsprache zu
übertragen, dabei aber doch den Charakter des Originals so viel thunlich beizu¬
behalten. Hören wir denn, wie Burkhart Zingg von seinem Leben erzählt:

"In dem Namen Gottes fang ich an zu schreiben dieses nachfolgende
Buch, wie ich Burkhart Zingg von meinen kindlichen Tagen an gelebt und
wessen ich mich befleißiget habe und wie es mir ergangen ist.

Meine liebe Mutter starb an einem Kind als man zählte nach Christi
unsers lieben Herrn Geburt 1401 Jahr, Gott Herr erbarme Dich über sie.
Amen. Da war ich vier Jahre alt und hatte drei Geschwister, zwei Brüder
Johannes und Conrad und Margreten unsere Schwester. Und es ist zu wissen,
daß unser Vater genannt ist Burkhart Zingg. war damals ein Gewervtreibender,
arbeitete auf der Steiermark und hatte Ehr' und Gut und war zu Meiningen
ansässig nahe bei des Mangolts Grabe" zunächst an der Beckin, die war eine
Wittwe und nahm danach einen andern Mann, der hieß der Kipfenperg.
Dasselbe unsers Vaters Haus hat seither ein Hufschmied gekauft und sitzen noch
heutigen Tags Viele Schmiede, die Sensen machen, an derselben Gasse. Ich
gedenk' auch wohl, daß wir da innen waren.

Danach als man zählte 1404 Jahr, da nahm mein Vater ein ander Weib,
deren Vater war genannt Hans Schmid von Krumbach und war auch ein
Schmid, ein frommer Mann. Die war eine junge, stolze Frau, war uns



") Die Chroniken der deutschen Städte vom 14, bis ins 16. Jahrhundert. Fünfter Band,
Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg. Zweiter Band. Leipzig, Verlag von
S. Hirzel. 1866,

und inneren Streitigkeiten die schätzenswerthesten Aufschlüsse giebt und überhaupt
eine Fundgrube für culturgeschichtliche Untersuchungen ist.

Das dritte Buch der zinggschen Chronik ist bisher noch nicht erwähnt
worden und grade dieses ist es, worauf wir die Aufmerksamkeit der Leser vor¬
züglich senken möchten. Dieses konnte mit Fug die Überschrift führen: „Dies
Buch gehört Burkhart Zingg" — es ist des Verfassers Selbstbiographie. Sie
enthält in redseliger Breite und mit der liebenswürdigsten Naivetät seine man¬
nigfaltigen Schicksale und ist, wie keine andere gleichzeitige Aufzeichnung ge¬
eignet, „das häusliche und bürgerliche Sein in einer deutschen Reichsstadt des
Is. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen."

Die Chronik Zinggs ist vor kurzem als fünfter Band der deutschen
Städtcchroniken im Auftrage der Münchner historischen Commission von den
Prof. Frensdorf und Lexer herausgegeben und wie bei allen diesen Publica¬
tionen der Text unter kritischer Vergleichung aller zugänglichen Handschriften
hergestellt und mit mustergiltig gearbeiteten Anmerkungen, Beilagen und Glossar
ausgestattet worden/)

Wir haben im Folgenden versucht, die Sprache des 15. Jahrhunderts, die
unserem lesenden Publicum nicht mehr geläufig ist, in die heutige Schriftsprache zu
übertragen, dabei aber doch den Charakter des Originals so viel thunlich beizu¬
behalten. Hören wir denn, wie Burkhart Zingg von seinem Leben erzählt:

„In dem Namen Gottes fang ich an zu schreiben dieses nachfolgende
Buch, wie ich Burkhart Zingg von meinen kindlichen Tagen an gelebt und
wessen ich mich befleißiget habe und wie es mir ergangen ist.

Meine liebe Mutter starb an einem Kind als man zählte nach Christi
unsers lieben Herrn Geburt 1401 Jahr, Gott Herr erbarme Dich über sie.
Amen. Da war ich vier Jahre alt und hatte drei Geschwister, zwei Brüder
Johannes und Conrad und Margreten unsere Schwester. Und es ist zu wissen,
daß unser Vater genannt ist Burkhart Zingg. war damals ein Gewervtreibender,
arbeitete auf der Steiermark und hatte Ehr' und Gut und war zu Meiningen
ansässig nahe bei des Mangolts Grabe» zunächst an der Beckin, die war eine
Wittwe und nahm danach einen andern Mann, der hieß der Kipfenperg.
Dasselbe unsers Vaters Haus hat seither ein Hufschmied gekauft und sitzen noch
heutigen Tags Viele Schmiede, die Sensen machen, an derselben Gasse. Ich
gedenk' auch wohl, daß wir da innen waren.

Danach als man zählte 1404 Jahr, da nahm mein Vater ein ander Weib,
deren Vater war genannt Hans Schmid von Krumbach und war auch ein
Schmid, ein frommer Mann. Die war eine junge, stolze Frau, war uns



") Die Chroniken der deutschen Städte vom 14, bis ins 16. Jahrhundert. Fünfter Band,
Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg. Zweiter Band. Leipzig, Verlag von
S. Hirzel. 1866,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/220>, abgerufen am 24.08.2024.