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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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auf dem Rhein, und endlich fand es auf einem englischen Fregattschiff, was zu
Vließingen lag, ein Plätzchen, um ohne besondere Abenteuer nach'Gravesend
befördert zu werden, ^on da glücklich nach London gelangt, kehrten sie wie
andere Reisende im weißen Bären ein, aber da es hier auf die Länge doch zu
theuer war. zogen sie es vor, aus dem öffentlichen Wirthshaus bei einem
Franzosen Berard craindre Mrni sich einzumiethen, wo sie nach dem Ge¬
brauche der Zeit zugleich "zu Tisch anstanden", d. h. gegen Kostgeld an dem
Familientisch schlicht bürgerlich mitaßen.

Zunächst mußten einige Tage im Jncognito verstreichen, denn es galt, die
g.uize Ambassade mit ziemenden Kleidern auszustatten. Unterwegs war sie
wegen etlicher gefährlicher Orte in ganz geringer Kleidung gereist, wie es scheint
auch ohne Gepäck, um nicht irgendeinem spanischen oder niederländischen Frei¬
beuter in die Hände zu fallen. Diese Tage gezwungener Ruhe wurden aber
von dem pflichtgetreuen Breuning zum Sondiren des Terrains benutzt. Der
französische Geschäftsträger, der ihm dabei nach dem Wunsche des Herzogs an
die Hand gehen feilte, war unglücklicherweise verreist, doch brachte er so viel
heraus, daß der Graf Essex der gegenwärtige Favorite der Königin sei. daß
aber Mylord Burleigh bei Jhro Majestät sehr viel vermöge und sozusagen der
Königin Lagerbuch sei. Unser Gesandte sah sich dadurch von vornherein in
großer Verlegenheit. Der Herzog hatte ihm zwar ein höchst charmantes
Empfehlungsschreiben an den chevaleresken Grafen Essex mitgegeben, dessen
persönliche Freundschaft er sich bei seinem eigenen Besuch am englischen Hose
vor drei Jahren erworben zu haben vermeinte, aber an den alten Burleigh,
der ihm wohl blos als ein langweiliger Federfuchser erschienen war. hatte er
nicht gedacht. Da aber beide, Essex und Burleigh, wie Breuning leicht ent¬
decken konnte, die Spitzen zweier großen sich bekämpfenden Parteien am Hofe
und im Staate vorstellten, so war es zu begreifen, daß, was bei dem einen
empfahl, bei dem andern ebenso sehr schadete, namentlich wenn, wie es hier der
Fall war, der eine geradezu ignorirt wurde. Der Gesandte suchte dieses Ver¬
sehen seines Alleignädigsten durch allerlei vermeintlich höchst schlaue und feine
Windungen auszugleichen, aber umsonst. Es gelang ihm zwar, auch von Bur¬
leigh höfliche und wie es schien verbeißungsvollc Redensarten einzukasfiren,
aber man sieht deutlich, daß er unversöhnlich beleidigt war und daß er die
Königin, indem er der ganzen Angelegenheit eine Wendung ins Politische gab,
zu der auffallend schroffen Ablehnung brachte, mit der das Possenspiel endigte.

Desto huldvoller war und blieb Graf Essex, der auch aus dem Berichte
des Schwaben sich durchweg als jene glänzende, leichtlebige, anmuthige Gestalt
heraushebt, wie ihn die Geschichte kennt. Was in seinen Kräften stand, that
er redlich, um das Anliegen seiner Schützlinge zu fördern und als sich das
unmöglich erwies, ihrem Rückzug durch allerlei schöne Vertröstungen goldene


auf dem Rhein, und endlich fand es auf einem englischen Fregattschiff, was zu
Vließingen lag, ein Plätzchen, um ohne besondere Abenteuer nach'Gravesend
befördert zu werden, ^on da glücklich nach London gelangt, kehrten sie wie
andere Reisende im weißen Bären ein, aber da es hier auf die Länge doch zu
theuer war. zogen sie es vor, aus dem öffentlichen Wirthshaus bei einem
Franzosen Berard craindre Mrni sich einzumiethen, wo sie nach dem Ge¬
brauche der Zeit zugleich „zu Tisch anstanden", d. h. gegen Kostgeld an dem
Familientisch schlicht bürgerlich mitaßen.

Zunächst mußten einige Tage im Jncognito verstreichen, denn es galt, die
g.uize Ambassade mit ziemenden Kleidern auszustatten. Unterwegs war sie
wegen etlicher gefährlicher Orte in ganz geringer Kleidung gereist, wie es scheint
auch ohne Gepäck, um nicht irgendeinem spanischen oder niederländischen Frei¬
beuter in die Hände zu fallen. Diese Tage gezwungener Ruhe wurden aber
von dem pflichtgetreuen Breuning zum Sondiren des Terrains benutzt. Der
französische Geschäftsträger, der ihm dabei nach dem Wunsche des Herzogs an
die Hand gehen feilte, war unglücklicherweise verreist, doch brachte er so viel
heraus, daß der Graf Essex der gegenwärtige Favorite der Königin sei. daß
aber Mylord Burleigh bei Jhro Majestät sehr viel vermöge und sozusagen der
Königin Lagerbuch sei. Unser Gesandte sah sich dadurch von vornherein in
großer Verlegenheit. Der Herzog hatte ihm zwar ein höchst charmantes
Empfehlungsschreiben an den chevaleresken Grafen Essex mitgegeben, dessen
persönliche Freundschaft er sich bei seinem eigenen Besuch am englischen Hose
vor drei Jahren erworben zu haben vermeinte, aber an den alten Burleigh,
der ihm wohl blos als ein langweiliger Federfuchser erschienen war. hatte er
nicht gedacht. Da aber beide, Essex und Burleigh, wie Breuning leicht ent¬
decken konnte, die Spitzen zweier großen sich bekämpfenden Parteien am Hofe
und im Staate vorstellten, so war es zu begreifen, daß, was bei dem einen
empfahl, bei dem andern ebenso sehr schadete, namentlich wenn, wie es hier der
Fall war, der eine geradezu ignorirt wurde. Der Gesandte suchte dieses Ver¬
sehen seines Alleignädigsten durch allerlei vermeintlich höchst schlaue und feine
Windungen auszugleichen, aber umsonst. Es gelang ihm zwar, auch von Bur¬
leigh höfliche und wie es schien verbeißungsvollc Redensarten einzukasfiren,
aber man sieht deutlich, daß er unversöhnlich beleidigt war und daß er die
Königin, indem er der ganzen Angelegenheit eine Wendung ins Politische gab,
zu der auffallend schroffen Ablehnung brachte, mit der das Possenspiel endigte.

Desto huldvoller war und blieb Graf Essex, der auch aus dem Berichte
des Schwaben sich durchweg als jene glänzende, leichtlebige, anmuthige Gestalt
heraushebt, wie ihn die Geschichte kennt. Was in seinen Kräften stand, that
er redlich, um das Anliegen seiner Schützlinge zu fördern und als sich das
unmöglich erwies, ihrem Rückzug durch allerlei schöne Vertröstungen goldene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/22>, abgerufen am 22.07.2024.