Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Je ernster die preußisch-französische Verwickelung sich gestaltete, um so dring¬
licher wurde die Entscheidung. Eine kleine, elwcis mysteriöse Reise des Herrn
V. Vcmibülcr war von der Gegenpartei rasch benutzt worden, um ihren An¬
sichten Eingang zu verschaffen. Als er davon zurückkehrte -- es war in der
vorigen Woche --, spitzte sich der Zwiespalt zu einer förmlichen Ministerkrisis
zu. Die Ministcrberathungen häuften sich in ungewöhnlicher Weise. Varnbüler
verfocht energisch das Festhalten an der preußischen Allianz. Herr v. Neurath
rieth Neutralität, Abwarten, Fühlung mit Oestreich zu behalten. Der König
selbst soll anfänglich der letzteren Seite zugeneigt haben. Am Ende aber siegte
die Vertragstreue: Herr v. Varnbüler hatte in eindringlichster Weise die Ge¬
fahren geschildert, welche der souveränes Würtembergs bei fortdauernder
Zweideutigkeit seiner Politik drohen; in sechs Wochen, soll er geäußert haben,
würde es keine würtembergischen Minister mehr gebe", und selbst das Privat¬
vermögen könnte er dem König nicht garantiren u. s. w. Mit diesen Argumenten
behauptete Herr v. Varnbüler das Feld'und der Rücktritt Neuraths, sowie des
Kriegsministers Hardegg ist entschieden und wird ohne Zweifel noch am heutigen
Tage officiell sein. Schon jetzt ist weniger der letztere als Herr v. Varnbüler
selbst die Seele der militärischen Rüstungen, ans die er sich mit seinem bekannten
jugendlichen, etwas sanguinischen Eifer geworfen hat. Das große Problem des
Hinterladers ist endlich entschieden -- leider eben zu Gunsten jenes Systems
Albini-Brendle; in diesem Stück mußte doch die Stammeseigenthümlichkeit ge¬
wahrt bleiben. Aber es ist wenigstens der rascheste Vollzug der Umänderung
angeordnet. Nur hat der Minister sofort zu seinem Unmuth die Erfahrung
machen müssen, daß man nicht in vierzehn Tagen nachholen kann, was man ein
halbes Jahr lang versäumt hat, und wie ihn die Konferenz der Maschinen¬
fabrikanten, die er sofort aus dem Lande zusammenbericf, mit dieser unliebsamen
Wahrheit in Betreff der Hinterlader überraschte, so dürfte ihm dieselbe Ueber-
raschung in sämmtlichen Zweigen des Militärwcscns vorbehalten sein.

Des Versäumter ist viel. Möge man nicht durch allzu schwere Opfer zu,
büßen haben, was zum Theil aus Scheu vor Opfern unterlassen worden ist.
Wenn vielfach die Vesvrgniß vorhanden ist, daß Frankreich einen kräftigen
Stoß über den Oberrycin nach Süddeutschland führen werde, so liegt darin
zugleich das Eingeständnis!, daß nicht ohne die Schuld unserer Versäumnisse der
Süden die militärisch schwächste Seite Deutschlands ist, und daß in der bis
in die neueste Zeit schwankenden Haltung unserer leitenden Kreise für Frank¬
reich eine weitere Versuchung grade zu dieser Diversion gelegen ist. Wenn man
sich freilich in Frankreich auch mit der Hoffnung schmeicheln sollte, daß der
süddeutsche Haß gegen Preußen und die Agitationen einer vaterlandlosen Demo¬
kratie den fremden Heeren hier eine andere Aufnahme bereiten werde, als überall
sonst, so wird diese Täuschung hoffentlich nicht von langer Dauer sein. Die


Je ernster die preußisch-französische Verwickelung sich gestaltete, um so dring¬
licher wurde die Entscheidung. Eine kleine, elwcis mysteriöse Reise des Herrn
V. Vcmibülcr war von der Gegenpartei rasch benutzt worden, um ihren An¬
sichten Eingang zu verschaffen. Als er davon zurückkehrte — es war in der
vorigen Woche —, spitzte sich der Zwiespalt zu einer förmlichen Ministerkrisis
zu. Die Ministcrberathungen häuften sich in ungewöhnlicher Weise. Varnbüler
verfocht energisch das Festhalten an der preußischen Allianz. Herr v. Neurath
rieth Neutralität, Abwarten, Fühlung mit Oestreich zu behalten. Der König
selbst soll anfänglich der letzteren Seite zugeneigt haben. Am Ende aber siegte
die Vertragstreue: Herr v. Varnbüler hatte in eindringlichster Weise die Ge¬
fahren geschildert, welche der souveränes Würtembergs bei fortdauernder
Zweideutigkeit seiner Politik drohen; in sechs Wochen, soll er geäußert haben,
würde es keine würtembergischen Minister mehr gebe», und selbst das Privat¬
vermögen könnte er dem König nicht garantiren u. s. w. Mit diesen Argumenten
behauptete Herr v. Varnbüler das Feld'und der Rücktritt Neuraths, sowie des
Kriegsministers Hardegg ist entschieden und wird ohne Zweifel noch am heutigen
Tage officiell sein. Schon jetzt ist weniger der letztere als Herr v. Varnbüler
selbst die Seele der militärischen Rüstungen, ans die er sich mit seinem bekannten
jugendlichen, etwas sanguinischen Eifer geworfen hat. Das große Problem des
Hinterladers ist endlich entschieden — leider eben zu Gunsten jenes Systems
Albini-Brendle; in diesem Stück mußte doch die Stammeseigenthümlichkeit ge¬
wahrt bleiben. Aber es ist wenigstens der rascheste Vollzug der Umänderung
angeordnet. Nur hat der Minister sofort zu seinem Unmuth die Erfahrung
machen müssen, daß man nicht in vierzehn Tagen nachholen kann, was man ein
halbes Jahr lang versäumt hat, und wie ihn die Konferenz der Maschinen¬
fabrikanten, die er sofort aus dem Lande zusammenbericf, mit dieser unliebsamen
Wahrheit in Betreff der Hinterlader überraschte, so dürfte ihm dieselbe Ueber-
raschung in sämmtlichen Zweigen des Militärwcscns vorbehalten sein.

Des Versäumter ist viel. Möge man nicht durch allzu schwere Opfer zu,
büßen haben, was zum Theil aus Scheu vor Opfern unterlassen worden ist.
Wenn vielfach die Vesvrgniß vorhanden ist, daß Frankreich einen kräftigen
Stoß über den Oberrycin nach Süddeutschland führen werde, so liegt darin
zugleich das Eingeständnis!, daß nicht ohne die Schuld unserer Versäumnisse der
Süden die militärisch schwächste Seite Deutschlands ist, und daß in der bis
in die neueste Zeit schwankenden Haltung unserer leitenden Kreise für Frank¬
reich eine weitere Versuchung grade zu dieser Diversion gelegen ist. Wenn man
sich freilich in Frankreich auch mit der Hoffnung schmeicheln sollte, daß der
süddeutsche Haß gegen Preußen und die Agitationen einer vaterlandlosen Demo¬
kratie den fremden Heeren hier eine andere Aufnahme bereiten werde, als überall
sonst, so wird diese Täuschung hoffentlich nicht von langer Dauer sein. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190910"/>
          <p xml:id="ID_689" prev="#ID_688"> Je ernster die preußisch-französische Verwickelung sich gestaltete, um so dring¬<lb/>
licher wurde die Entscheidung. Eine kleine, elwcis mysteriöse Reise des Herrn<lb/>
V. Vcmibülcr war von der Gegenpartei rasch benutzt worden, um ihren An¬<lb/>
sichten Eingang zu verschaffen. Als er davon zurückkehrte &#x2014; es war in der<lb/>
vorigen Woche &#x2014;, spitzte sich der Zwiespalt zu einer förmlichen Ministerkrisis<lb/>
zu. Die Ministcrberathungen häuften sich in ungewöhnlicher Weise. Varnbüler<lb/>
verfocht energisch das Festhalten an der preußischen Allianz. Herr v. Neurath<lb/>
rieth Neutralität, Abwarten, Fühlung mit Oestreich zu behalten. Der König<lb/>
selbst soll anfänglich der letzteren Seite zugeneigt haben. Am Ende aber siegte<lb/>
die Vertragstreue: Herr v. Varnbüler hatte in eindringlichster Weise die Ge¬<lb/>
fahren geschildert, welche der souveränes Würtembergs bei fortdauernder<lb/>
Zweideutigkeit seiner Politik drohen; in sechs Wochen, soll er geäußert haben,<lb/>
würde es keine würtembergischen Minister mehr gebe», und selbst das Privat¬<lb/>
vermögen könnte er dem König nicht garantiren u. s. w. Mit diesen Argumenten<lb/>
behauptete Herr v. Varnbüler das Feld'und der Rücktritt Neuraths, sowie des<lb/>
Kriegsministers Hardegg ist entschieden und wird ohne Zweifel noch am heutigen<lb/>
Tage officiell sein. Schon jetzt ist weniger der letztere als Herr v. Varnbüler<lb/>
selbst die Seele der militärischen Rüstungen, ans die er sich mit seinem bekannten<lb/>
jugendlichen, etwas sanguinischen Eifer geworfen hat. Das große Problem des<lb/>
Hinterladers ist endlich entschieden &#x2014; leider eben zu Gunsten jenes Systems<lb/>
Albini-Brendle; in diesem Stück mußte doch die Stammeseigenthümlichkeit ge¬<lb/>
wahrt bleiben. Aber es ist wenigstens der rascheste Vollzug der Umänderung<lb/>
angeordnet. Nur hat der Minister sofort zu seinem Unmuth die Erfahrung<lb/>
machen müssen, daß man nicht in vierzehn Tagen nachholen kann, was man ein<lb/>
halbes Jahr lang versäumt hat, und wie ihn die Konferenz der Maschinen¬<lb/>
fabrikanten, die er sofort aus dem Lande zusammenbericf, mit dieser unliebsamen<lb/>
Wahrheit in Betreff der Hinterlader überraschte, so dürfte ihm dieselbe Ueber-<lb/>
raschung in sämmtlichen Zweigen des Militärwcscns vorbehalten sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_690" next="#ID_691"> Des Versäumter ist viel. Möge man nicht durch allzu schwere Opfer zu,<lb/>
büßen haben, was zum Theil aus Scheu vor Opfern unterlassen worden ist.<lb/>
Wenn vielfach die Vesvrgniß vorhanden ist, daß Frankreich einen kräftigen<lb/>
Stoß über den Oberrycin nach Süddeutschland führen werde, so liegt darin<lb/>
zugleich das Eingeständnis!, daß nicht ohne die Schuld unserer Versäumnisse der<lb/>
Süden die militärisch schwächste Seite Deutschlands ist, und daß in der bis<lb/>
in die neueste Zeit schwankenden Haltung unserer leitenden Kreise für Frank¬<lb/>
reich eine weitere Versuchung grade zu dieser Diversion gelegen ist. Wenn man<lb/>
sich freilich in Frankreich auch mit der Hoffnung schmeicheln sollte, daß der<lb/>
süddeutsche Haß gegen Preußen und die Agitationen einer vaterlandlosen Demo¬<lb/>
kratie den fremden Heeren hier eine andere Aufnahme bereiten werde, als überall<lb/>
sonst, so wird diese Täuschung hoffentlich nicht von langer Dauer sein. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0216] Je ernster die preußisch-französische Verwickelung sich gestaltete, um so dring¬ licher wurde die Entscheidung. Eine kleine, elwcis mysteriöse Reise des Herrn V. Vcmibülcr war von der Gegenpartei rasch benutzt worden, um ihren An¬ sichten Eingang zu verschaffen. Als er davon zurückkehrte — es war in der vorigen Woche —, spitzte sich der Zwiespalt zu einer förmlichen Ministerkrisis zu. Die Ministcrberathungen häuften sich in ungewöhnlicher Weise. Varnbüler verfocht energisch das Festhalten an der preußischen Allianz. Herr v. Neurath rieth Neutralität, Abwarten, Fühlung mit Oestreich zu behalten. Der König selbst soll anfänglich der letzteren Seite zugeneigt haben. Am Ende aber siegte die Vertragstreue: Herr v. Varnbüler hatte in eindringlichster Weise die Ge¬ fahren geschildert, welche der souveränes Würtembergs bei fortdauernder Zweideutigkeit seiner Politik drohen; in sechs Wochen, soll er geäußert haben, würde es keine würtembergischen Minister mehr gebe», und selbst das Privat¬ vermögen könnte er dem König nicht garantiren u. s. w. Mit diesen Argumenten behauptete Herr v. Varnbüler das Feld'und der Rücktritt Neuraths, sowie des Kriegsministers Hardegg ist entschieden und wird ohne Zweifel noch am heutigen Tage officiell sein. Schon jetzt ist weniger der letztere als Herr v. Varnbüler selbst die Seele der militärischen Rüstungen, ans die er sich mit seinem bekannten jugendlichen, etwas sanguinischen Eifer geworfen hat. Das große Problem des Hinterladers ist endlich entschieden — leider eben zu Gunsten jenes Systems Albini-Brendle; in diesem Stück mußte doch die Stammeseigenthümlichkeit ge¬ wahrt bleiben. Aber es ist wenigstens der rascheste Vollzug der Umänderung angeordnet. Nur hat der Minister sofort zu seinem Unmuth die Erfahrung machen müssen, daß man nicht in vierzehn Tagen nachholen kann, was man ein halbes Jahr lang versäumt hat, und wie ihn die Konferenz der Maschinen¬ fabrikanten, die er sofort aus dem Lande zusammenbericf, mit dieser unliebsamen Wahrheit in Betreff der Hinterlader überraschte, so dürfte ihm dieselbe Ueber- raschung in sämmtlichen Zweigen des Militärwcscns vorbehalten sein. Des Versäumter ist viel. Möge man nicht durch allzu schwere Opfer zu, büßen haben, was zum Theil aus Scheu vor Opfern unterlassen worden ist. Wenn vielfach die Vesvrgniß vorhanden ist, daß Frankreich einen kräftigen Stoß über den Oberrycin nach Süddeutschland führen werde, so liegt darin zugleich das Eingeständnis!, daß nicht ohne die Schuld unserer Versäumnisse der Süden die militärisch schwächste Seite Deutschlands ist, und daß in der bis in die neueste Zeit schwankenden Haltung unserer leitenden Kreise für Frank¬ reich eine weitere Versuchung grade zu dieser Diversion gelegen ist. Wenn man sich freilich in Frankreich auch mit der Hoffnung schmeicheln sollte, daß der süddeutsche Haß gegen Preußen und die Agitationen einer vaterlandlosen Demo¬ kratie den fremden Heeren hier eine andere Aufnahme bereiten werde, als überall sonst, so wird diese Täuschung hoffentlich nicht von langer Dauer sein. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/216
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/216>, abgerufen am 22.07.2024.