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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Hebung der Lehrerbildung, an der Verbesserung der Unterrichtsmethoden, damit
in dieser kurzen Schulzeit immer mehr geleistet werde; verbessert, vereinfacht
auch die Orthographie, die jetzige Schreibweise führt viel Ballast mit, dessen sie
sich ohne Schaden entledigen kann, aber bringt die Sprache nicht in die Gefahr
rascher Zerrüttung, macht nicht die Nationalliteratur zu einem fremden, schwer
zugänglichen Ding, führet keine Kasten ein. Was ihr mit Bedacht und reif¬
licher Ueberlegung annehmbares zu Stande bringt, dessen wollen wir alte
genießen. --




Ein Beitrag zur Textkritik deß goetheschen Clavigo.

Die Grenzboten haben neulich auf das interessante Schriftchen von M. Ber-
nays über Kritik und Geschichte des goetheschen Textes mit gebührendem Lobe
aufmerksam gemacht.

Die Hauptentdeckung von Bernays ist die, daß Goethe der von ihm aus¬
gegangenen Sammlung seiner Werke nicht die Originalausgaben der ein¬
zelnen Schriften, sondern mit vielen Fehlern behaftete ihm fremde Nachdrucke
zu Grunde legte. Bernays zeigt dann an. vielen Beispielen überzeugend, oft
zur wahren Erheiterung und Herzenserleichterung des von Zweifeln am über¬
lieferten Buchstaben geplagten Goethefreundes, wie der so entstandene Text aus
den Lesarten der ursprünglichen Einzelausgaben zu berichtigen sei. Er verfährt
dabei unter besonnener Verbindung der äußeren mit der inneren Kritik, d.h.
er begnügt sich nicht, auf die Lesart der ursprünglichen Einzelausgabe, als wäre
sie untrüglich, hinzuweisen, sondern er sucht sie zugleich aus inneren Gründen
zu rechtfertigen. Er verschließt sich mithin nicht der Möglichkeit, daß auch
die Originalausgaben wie alle menschlichen Werke Fehler enthalten können.
Dies ist freilich einleuchtend, man muß aber noch einen Schritt weiter gehen
und die zweite Möglichkeit ins Auge fassen, daß die Nachdrucke und die
späteren gesammelten Werke die aus inneren Gründen vorzüglichere Les-
art, also eine Verbesserung der ursprünglichen bieten.

Sei es mir gestattet diesen Punkt zu urgiren. indem ich einen Fall der
Art kurz erörtere, wo ich dem Urtheil von Bernays nicht beipflichten kann, einen
Fall, der zugleich ein gewisses heiteres Interesse beanspruchen dürfte.


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Hebung der Lehrerbildung, an der Verbesserung der Unterrichtsmethoden, damit
in dieser kurzen Schulzeit immer mehr geleistet werde; verbessert, vereinfacht
auch die Orthographie, die jetzige Schreibweise führt viel Ballast mit, dessen sie
sich ohne Schaden entledigen kann, aber bringt die Sprache nicht in die Gefahr
rascher Zerrüttung, macht nicht die Nationalliteratur zu einem fremden, schwer
zugänglichen Ding, führet keine Kasten ein. Was ihr mit Bedacht und reif¬
licher Ueberlegung annehmbares zu Stande bringt, dessen wollen wir alte
genießen. —




Ein Beitrag zur Textkritik deß goetheschen Clavigo.

Die Grenzboten haben neulich auf das interessante Schriftchen von M. Ber-
nays über Kritik und Geschichte des goetheschen Textes mit gebührendem Lobe
aufmerksam gemacht.

Die Hauptentdeckung von Bernays ist die, daß Goethe der von ihm aus¬
gegangenen Sammlung seiner Werke nicht die Originalausgaben der ein¬
zelnen Schriften, sondern mit vielen Fehlern behaftete ihm fremde Nachdrucke
zu Grunde legte. Bernays zeigt dann an. vielen Beispielen überzeugend, oft
zur wahren Erheiterung und Herzenserleichterung des von Zweifeln am über¬
lieferten Buchstaben geplagten Goethefreundes, wie der so entstandene Text aus
den Lesarten der ursprünglichen Einzelausgaben zu berichtigen sei. Er verfährt
dabei unter besonnener Verbindung der äußeren mit der inneren Kritik, d.h.
er begnügt sich nicht, auf die Lesart der ursprünglichen Einzelausgabe, als wäre
sie untrüglich, hinzuweisen, sondern er sucht sie zugleich aus inneren Gründen
zu rechtfertigen. Er verschließt sich mithin nicht der Möglichkeit, daß auch
die Originalausgaben wie alle menschlichen Werke Fehler enthalten können.
Dies ist freilich einleuchtend, man muß aber noch einen Schritt weiter gehen
und die zweite Möglichkeit ins Auge fassen, daß die Nachdrucke und die
späteren gesammelten Werke die aus inneren Gründen vorzüglichere Les-
art, also eine Verbesserung der ursprünglichen bieten.

Sei es mir gestattet diesen Punkt zu urgiren. indem ich einen Fall der
Art kurz erörtere, wo ich dem Urtheil von Bernays nicht beipflichten kann, einen
Fall, der zugleich ein gewisses heiteres Interesse beanspruchen dürfte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/199>, abgerufen am 26.06.2024.