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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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und es wird nicht schwierig sein, denselben abzuhelfen. Bedenken ganz'anderer
Art möchten wir noch äußern, bevor wir unsere summarische Berichterstattung
schließen.

Der unverkennbare Gewinn, welcher für die Gesellschaft in der durch die
Monographie gebotenen Erleichterung des Lesens und des Schreibens liegt,
scheint uns nur unter Umständen erreichbar, deren Eintreten wir aus verschie¬
denen Gründen sehr bedauern müßten, und scheint uns in seinem Gefolge Um¬
gestaltungen zu haben, die uns mit Besorgniß erfüllen. Gern sei zugegeben,
daß von der auch auf die Schrift sich ausdehnenden Uebereinstimmung der im
Französischen so zahlreichen gleichlautenden Wörter wenig zu fürchten ist; so
lange das Verständniß beim Hören unter der Mehrdeutigkeit gewisser Wörter -
nicht leidet, wird dieselbe auch dem sofortigen richtigen Auffassen des Gelesenen
geringen Eintrag thun; ja es wird sich grade in willkommenster Weise dem
schriftlichen Wortspiel ein gleich weites Feld aufthun, wie das, auf dem sich der
mündliche Caiembourg bewegt. Dagegen wird die Einheit der Schreibweise
innerhalb des französischen Sprachgebietes bedeutend dadurch gefährdet, daß die
Aussprache für die Schrift maßgebend wird. Schon in den von dem "^Juana"
dargebotenen Proben wird bei weitem nicht jeder gebildete Franzose eine Dar¬
stellung seiner Sprechweise anerkennen; dem Ausländer steht es nicht an, dies
oder jenes als falsche Aussprache zu bezeichnen; aber gewiß ist, daß wer ses
(6t>g,it), xöäan (pöäairt)', pröeeäa" (pi^eeäsuit), te^rr (taisant), texon lMeonä)
schreibt, die Ansicht einer großen Zahl von Orthocpisten wider sich hat; und zu
welcher Buntheit der Schreibweise müßte nun die Verbreitung der Phonographie
über ganz Frankreich führen! --

Im Französischen Pflegen die verschiedensten Endconsonanten, wofern nicht
ein gleich daraus folgendes Wort mit einem Vocal beginnt, zu verstummen; es
hat also eine ungeheure Anzahl von Wörtern ein- je nach Umständen verschiedene
Aussprache, d. h. eine je nach Umständen verschiedene Schreibung für den Phono¬
graphen -- und zwar nicht blos für den gebildeten Herrn, der in der alten
Schreibweise aufgewachsen ist, sondern auch für den armen Teufel, der so bald
als möglich möchte schreiben können. Es dürfte diesem sehr schwer werden, im
Falle der Bindung, immer den richtigen Consonanten zu schreiben und vielleicht
nach und nach auch ihn zu sprechen, wenn die Gewöhnung des Auges an die
volle Form des Wortes ihm nicht mehr zu Hilfe kommt. Schon jetzt "ver¬
wechseln Ungebildete leicht die stummen Endconsonanten und begehen den
Fehler, den man un cuir nennt, indem sie ein t statt eines s einschieben
(Mteneorö für xas encore) oder denjenigen, welchen man urr velours heißt,
indem sie s statt t sprechen z. B. poinseneore für xoirrt sueore" (Barbieux,
Antibarbarus). Dieser Sammt- und dieser Lederscrbrication steht eine nie
geahnte Blüthe bevor.


Grenzbotc" II. 18t>7 25

und es wird nicht schwierig sein, denselben abzuhelfen. Bedenken ganz'anderer
Art möchten wir noch äußern, bevor wir unsere summarische Berichterstattung
schließen.

Der unverkennbare Gewinn, welcher für die Gesellschaft in der durch die
Monographie gebotenen Erleichterung des Lesens und des Schreibens liegt,
scheint uns nur unter Umständen erreichbar, deren Eintreten wir aus verschie¬
denen Gründen sehr bedauern müßten, und scheint uns in seinem Gefolge Um¬
gestaltungen zu haben, die uns mit Besorgniß erfüllen. Gern sei zugegeben,
daß von der auch auf die Schrift sich ausdehnenden Uebereinstimmung der im
Französischen so zahlreichen gleichlautenden Wörter wenig zu fürchten ist; so
lange das Verständniß beim Hören unter der Mehrdeutigkeit gewisser Wörter -
nicht leidet, wird dieselbe auch dem sofortigen richtigen Auffassen des Gelesenen
geringen Eintrag thun; ja es wird sich grade in willkommenster Weise dem
schriftlichen Wortspiel ein gleich weites Feld aufthun, wie das, auf dem sich der
mündliche Caiembourg bewegt. Dagegen wird die Einheit der Schreibweise
innerhalb des französischen Sprachgebietes bedeutend dadurch gefährdet, daß die
Aussprache für die Schrift maßgebend wird. Schon in den von dem „^Juana"
dargebotenen Proben wird bei weitem nicht jeder gebildete Franzose eine Dar¬
stellung seiner Sprechweise anerkennen; dem Ausländer steht es nicht an, dies
oder jenes als falsche Aussprache zu bezeichnen; aber gewiß ist, daß wer ses
(6t>g,it), xöäan (pöäairt)', pröeeäa» (pi^eeäsuit), te^rr (taisant), texon lMeonä)
schreibt, die Ansicht einer großen Zahl von Orthocpisten wider sich hat; und zu
welcher Buntheit der Schreibweise müßte nun die Verbreitung der Phonographie
über ganz Frankreich führen! —

Im Französischen Pflegen die verschiedensten Endconsonanten, wofern nicht
ein gleich daraus folgendes Wort mit einem Vocal beginnt, zu verstummen; es
hat also eine ungeheure Anzahl von Wörtern ein- je nach Umständen verschiedene
Aussprache, d. h. eine je nach Umständen verschiedene Schreibung für den Phono¬
graphen — und zwar nicht blos für den gebildeten Herrn, der in der alten
Schreibweise aufgewachsen ist, sondern auch für den armen Teufel, der so bald
als möglich möchte schreiben können. Es dürfte diesem sehr schwer werden, im
Falle der Bindung, immer den richtigen Consonanten zu schreiben und vielleicht
nach und nach auch ihn zu sprechen, wenn die Gewöhnung des Auges an die
volle Form des Wortes ihm nicht mehr zu Hilfe kommt. Schon jetzt „ver¬
wechseln Ungebildete leicht die stummen Endconsonanten und begehen den
Fehler, den man un cuir nennt, indem sie ein t statt eines s einschieben
(Mteneorö für xas encore) oder denjenigen, welchen man urr velours heißt,
indem sie s statt t sprechen z. B. poinseneore für xoirrt sueore" (Barbieux,
Antibarbarus). Dieser Sammt- und dieser Lederscrbrication steht eine nie
geahnte Blüthe bevor.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/197>, abgerufen am 24.08.2024.