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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Sehxn wir uns zuerst nach den Ursachen um, welche die verschiedenen
qomitö tonoZi'Aripo veranlassen, die Umgestaltung der Schreibweise zu befür¬
worten und zu betreiben. Es ist ihnen nicht entgangen, daß mehr als bei
andern Völkern bei den Franzosen eine bedenkliche Jncongruenz zwischen der
gesprochenen Sprache und der schriftlichen Darstellung derselben besteht; die
Schrift begnügt sich nicht, für jeden Laut ein Zeichen zu setzen, sondern sie fügt
zu den nothwendigen Repräsentanten der gehörten Laute eine Menge über¬
flüssiger Begleiter, welche das Recht da zu sein nur aus allerlei früheren
Zuständen mit mehr oder weniger Sicherheit, oft auch gar nicht ableiten können;
es scheint nothwendig, sie zu tilgen; dies wird das Loos des Il sein in Komme,
wofür man om" schreiben will, des einen u in g,rin6e, überhaupt der einen
Hälfte der Doppelconsonanten, die ja mit wenigen Ausnahmen gleich lauten
wie die einfachen; des u nach g u. dergl. Die Neuerer finden serner -- und
die Thatsache ist nicht zu bestreiten -- während auf einer Seite die Schrift ein
Uebriges thue, lasse sie es auf der andern am nothwendigsten fehlen, sie setze
denselben Buchstaben s in sur und in rosv zur Bezeichnung ganz verschiedener
Laute, sie verwende mit ganz verschiedener Geltung ä in velläons und in
vena-it; e in prenons und in xienäre; II in ville und in ölls; e in eartös
und in evrt<ZL; ^ in gards und in Mus; in äoux und in neur und was
dergleichen Inconsequenzen mehr sind. Hinwieder brauche sie verschiedene Zeichen,
wo das Ohr außer Stande sei, verschiedene Laute auseinanderzuhalten; sie
biete teinpL, tant, tönds, wucl, tan, wo dieses doch nur tan vernehme; sie
stelle in roso den weichen Zischlaut durch s, in clouns durch 2, in öeuxiömö
durch x dar; und gleich als ob beim Lesen zum richtigen Verständniß allerlei
Nachhilfe unentbehrlich wäre, deren wir doch beim Hören entrathen, werden
für das Auge more und maire., i'iüizonek und i-^ionso, fällt und sairrt und
sein und LLinF und noirs und einy unterschieden, die dem Ohre, wenigstens
unter gewissen Umstanden, in völligem Gleichlaute zusammenfallen.

Wenn nun diesen Uebelständen keine weiteren schlimmen Folgen zuzu¬
schreiben wären, als daß Leute wie Scribe und Beranger sich zu dem Geständniß
gedrungen gefühlt haben, die Rechtschreibung ihrer Sprache sei ihnen nie in
dem wünschbaren Maße geläufig geworden, u"d daß Lamartine außer Stande
ist, eine Seite zu schreiben ohne mehrfach sich gegen die Gebote der Ortho¬
graphie zu versündigen, so wäre ein Umsturz des Bestehenden noch immer nicht
indicirt; es giebt zum Glück Setzer und Correctvren die Hülle und Fülle, die
der Schwachheit der großen Geister bereitwilligst beispringm und Aergerniß
verhüten'. Wenn aber darauf hingewiesen wird, daß die vielfach in der Schreib¬
weise herrschende Regellosigkeit ein Hemmniß der allgemeinen Volksbildung sei,
indem sie das Erlernen des Lesens und Schreibens erschwere, ja schwächeren
Kräften ganz unmöglich mache und einen zu bedeutenden Theil der ohnedies


Sehxn wir uns zuerst nach den Ursachen um, welche die verschiedenen
qomitö tonoZi'Aripo veranlassen, die Umgestaltung der Schreibweise zu befür¬
worten und zu betreiben. Es ist ihnen nicht entgangen, daß mehr als bei
andern Völkern bei den Franzosen eine bedenkliche Jncongruenz zwischen der
gesprochenen Sprache und der schriftlichen Darstellung derselben besteht; die
Schrift begnügt sich nicht, für jeden Laut ein Zeichen zu setzen, sondern sie fügt
zu den nothwendigen Repräsentanten der gehörten Laute eine Menge über¬
flüssiger Begleiter, welche das Recht da zu sein nur aus allerlei früheren
Zuständen mit mehr oder weniger Sicherheit, oft auch gar nicht ableiten können;
es scheint nothwendig, sie zu tilgen; dies wird das Loos des Il sein in Komme,
wofür man om« schreiben will, des einen u in g,rin6e, überhaupt der einen
Hälfte der Doppelconsonanten, die ja mit wenigen Ausnahmen gleich lauten
wie die einfachen; des u nach g u. dergl. Die Neuerer finden serner — und
die Thatsache ist nicht zu bestreiten — während auf einer Seite die Schrift ein
Uebriges thue, lasse sie es auf der andern am nothwendigsten fehlen, sie setze
denselben Buchstaben s in sur und in rosv zur Bezeichnung ganz verschiedener
Laute, sie verwende mit ganz verschiedener Geltung ä in velläons und in
vena-it; e in prenons und in xienäre; II in ville und in ölls; e in eartös
und in evrt<ZL; ^ in gards und in Mus; in äoux und in neur und was
dergleichen Inconsequenzen mehr sind. Hinwieder brauche sie verschiedene Zeichen,
wo das Ohr außer Stande sei, verschiedene Laute auseinanderzuhalten; sie
biete teinpL, tant, tönds, wucl, tan, wo dieses doch nur tan vernehme; sie
stelle in roso den weichen Zischlaut durch s, in clouns durch 2, in öeuxiömö
durch x dar; und gleich als ob beim Lesen zum richtigen Verständniß allerlei
Nachhilfe unentbehrlich wäre, deren wir doch beim Hören entrathen, werden
für das Auge more und maire., i'iüizonek und i-^ionso, fällt und sairrt und
sein und LLinF und noirs und einy unterschieden, die dem Ohre, wenigstens
unter gewissen Umstanden, in völligem Gleichlaute zusammenfallen.

Wenn nun diesen Uebelständen keine weiteren schlimmen Folgen zuzu¬
schreiben wären, als daß Leute wie Scribe und Beranger sich zu dem Geständniß
gedrungen gefühlt haben, die Rechtschreibung ihrer Sprache sei ihnen nie in
dem wünschbaren Maße geläufig geworden, u»d daß Lamartine außer Stande
ist, eine Seite zu schreiben ohne mehrfach sich gegen die Gebote der Ortho¬
graphie zu versündigen, so wäre ein Umsturz des Bestehenden noch immer nicht
indicirt; es giebt zum Glück Setzer und Correctvren die Hülle und Fülle, die
der Schwachheit der großen Geister bereitwilligst beispringm und Aergerniß
verhüten'. Wenn aber darauf hingewiesen wird, daß die vielfach in der Schreib¬
weise herrschende Regellosigkeit ein Hemmniß der allgemeinen Volksbildung sei,
indem sie das Erlernen des Lesens und Schreibens erschwere, ja schwächeren
Kräften ganz unmöglich mache und einen zu bedeutenden Theil der ohnedies


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[0193] Sehxn wir uns zuerst nach den Ursachen um, welche die verschiedenen qomitö tonoZi'Aripo veranlassen, die Umgestaltung der Schreibweise zu befür¬ worten und zu betreiben. Es ist ihnen nicht entgangen, daß mehr als bei andern Völkern bei den Franzosen eine bedenkliche Jncongruenz zwischen der gesprochenen Sprache und der schriftlichen Darstellung derselben besteht; die Schrift begnügt sich nicht, für jeden Laut ein Zeichen zu setzen, sondern sie fügt zu den nothwendigen Repräsentanten der gehörten Laute eine Menge über¬ flüssiger Begleiter, welche das Recht da zu sein nur aus allerlei früheren Zuständen mit mehr oder weniger Sicherheit, oft auch gar nicht ableiten können; es scheint nothwendig, sie zu tilgen; dies wird das Loos des Il sein in Komme, wofür man om« schreiben will, des einen u in g,rin6e, überhaupt der einen Hälfte der Doppelconsonanten, die ja mit wenigen Ausnahmen gleich lauten wie die einfachen; des u nach g u. dergl. Die Neuerer finden serner — und die Thatsache ist nicht zu bestreiten — während auf einer Seite die Schrift ein Uebriges thue, lasse sie es auf der andern am nothwendigsten fehlen, sie setze denselben Buchstaben s in sur und in rosv zur Bezeichnung ganz verschiedener Laute, sie verwende mit ganz verschiedener Geltung ä in velläons und in vena-it; e in prenons und in xienäre; II in ville und in ölls; e in eartös und in evrt<ZL; ^ in gards und in Mus; in äoux und in neur und was dergleichen Inconsequenzen mehr sind. Hinwieder brauche sie verschiedene Zeichen, wo das Ohr außer Stande sei, verschiedene Laute auseinanderzuhalten; sie biete teinpL, tant, tönds, wucl, tan, wo dieses doch nur tan vernehme; sie stelle in roso den weichen Zischlaut durch s, in clouns durch 2, in öeuxiömö durch x dar; und gleich als ob beim Lesen zum richtigen Verständniß allerlei Nachhilfe unentbehrlich wäre, deren wir doch beim Hören entrathen, werden für das Auge more und maire., i'iüizonek und i-^ionso, fällt und sairrt und sein und LLinF und noirs und einy unterschieden, die dem Ohre, wenigstens unter gewissen Umstanden, in völligem Gleichlaute zusammenfallen. Wenn nun diesen Uebelständen keine weiteren schlimmen Folgen zuzu¬ schreiben wären, als daß Leute wie Scribe und Beranger sich zu dem Geständniß gedrungen gefühlt haben, die Rechtschreibung ihrer Sprache sei ihnen nie in dem wünschbaren Maße geläufig geworden, u»d daß Lamartine außer Stande ist, eine Seite zu schreiben ohne mehrfach sich gegen die Gebote der Ortho¬ graphie zu versündigen, so wäre ein Umsturz des Bestehenden noch immer nicht indicirt; es giebt zum Glück Setzer und Correctvren die Hülle und Fülle, die der Schwachheit der großen Geister bereitwilligst beispringm und Aergerniß verhüten'. Wenn aber darauf hingewiesen wird, daß die vielfach in der Schreib¬ weise herrschende Regellosigkeit ein Hemmniß der allgemeinen Volksbildung sei, indem sie das Erlernen des Lesens und Schreibens erschwere, ja schwächeren Kräften ganz unmöglich mache und einen zu bedeutenden Theil der ohnedies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/193>, abgerufen am 22.07.2024.