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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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In der Sprache hielt er sich ziemlich an die durch die alte Bulgata ein¬
mal gangbar gewordene orientalisirende Redeweise, obwohl sie seinem classisch
gebildeten Sinn nicht eben sehr behagte. Aber er mußte hier auf den einmal
herrschenden Gebrauch Rücksicht nehmen, und seinen Wunsch, den Geist der
lateinischen Sprache durch etwas freiere Uebersetzung mehr zu schonen, unter-
drücken. Ueberhaupt hielt er sich, wo er es irgend verantworten konnte, an
seine Vorgänger "um die Leser nicht durch all zu viele Neuerung abzuschrecken".
Hieronymus war überhaupt nur allzu geneigt, den herrschenden Ansichten gegen
sein besseres Wissen Zugeständnisse zu machen; man muß jedoch bedenken, welch
gefährliche Folgen i" jenen Zeiten ein cousequenter Widerstand gegen das kirch¬
lich Recipirte hüben konnte.

Ein solches Zugeständniß ist es auch, daß er von den wegen ihres Fehlens
im hebräischen Kanon von ihm sehr geringschätzig betrachteten Apokryphen
wenigstens die Bücher Judith und Tobie bearbeitete; freilich entspricht de>e
flüchtige Arbeit hier auch dieser geringen Meinung von den Büchern.

Der Text, nach dem Hieronymus übersetzte, ist durchaus der gewöhnliche
jüdische; ganz vereinzelt sind die Abweichungen und sie beruhen stets nur auf
leichten Schreibfehlern. Für diesen hebräischen Text, Redraiea veritas, wie er
sagt, kann er seine Hochschätzung nicht oft genug ausdrücke". Freilich mußten
die Lorzüge desselben vor dem griechischen Text bei unbefangener Prüfung sehr
einleuchten.

Wir wiederholen es, daß des Hieronymus Übersetzung für ihre Zeit vor¬
trefflich ist. Die inneren Borzüge haben es auch wohl hauptfächlich bewirkt,
daß das Mißtrauen gegen alles von den Juden Aufgehende bei ihr so tasch
überwunden ward. Daneben wirkte aber auch der große Ruf seiner Gelehr¬
samkeit, der sich in den Worten des Augustinus ausdrückt, daß das, was
Hieronymus nicht gewußt habe, keinem Sterblichen bekannt gewesen. Hiero¬
nymus sorgte, theils aus Eitelkeit, theils um den Erfolg seines Unternehmens
zu sichern, übrigens selbst dafür, daß diese sehr übertriebene Ansicht von seinem
Wissen allgemein verbreitet wurde. Dazu kamen endlich noch die persönlichen
Verbindungen mit vielen einflußreichen Männern.

Trotz der Verketzerungen, denen das Volk nur zu leicht das Ohr lieh, fing
diese Uebersetzung schon bei Lebzeiten des Verfassers an sich zu verbreiten.
Dieser erlebte noch den Triumph, daß sie theilweise ins Griechische übersetzt
ward. Der Septuaginta hat sie freilich direct kein Gebiet abgewonnen" da¬
gegen ist die alte lateinische Vulgata, deren Mangels.iftigkeit durch den Ver¬
gleich mit dem neuen Werke zu grell hervoitreten mußte, nach und "ach ganz
verdrängt und seit etwa dem sechsten Jahrhundert fast spurlos verschollen.

Nur den Psalter, das volksthümlichste aller alttestamentlichen Bücher> wagte
man dem Volke nicht in der gänzlich neuen Gestalt zu geben. Zwar verließ


In der Sprache hielt er sich ziemlich an die durch die alte Bulgata ein¬
mal gangbar gewordene orientalisirende Redeweise, obwohl sie seinem classisch
gebildeten Sinn nicht eben sehr behagte. Aber er mußte hier auf den einmal
herrschenden Gebrauch Rücksicht nehmen, und seinen Wunsch, den Geist der
lateinischen Sprache durch etwas freiere Uebersetzung mehr zu schonen, unter-
drücken. Ueberhaupt hielt er sich, wo er es irgend verantworten konnte, an
seine Vorgänger „um die Leser nicht durch all zu viele Neuerung abzuschrecken".
Hieronymus war überhaupt nur allzu geneigt, den herrschenden Ansichten gegen
sein besseres Wissen Zugeständnisse zu machen; man muß jedoch bedenken, welch
gefährliche Folgen i» jenen Zeiten ein cousequenter Widerstand gegen das kirch¬
lich Recipirte hüben konnte.

Ein solches Zugeständniß ist es auch, daß er von den wegen ihres Fehlens
im hebräischen Kanon von ihm sehr geringschätzig betrachteten Apokryphen
wenigstens die Bücher Judith und Tobie bearbeitete; freilich entspricht de>e
flüchtige Arbeit hier auch dieser geringen Meinung von den Büchern.

Der Text, nach dem Hieronymus übersetzte, ist durchaus der gewöhnliche
jüdische; ganz vereinzelt sind die Abweichungen und sie beruhen stets nur auf
leichten Schreibfehlern. Für diesen hebräischen Text, Redraiea veritas, wie er
sagt, kann er seine Hochschätzung nicht oft genug ausdrücke». Freilich mußten
die Lorzüge desselben vor dem griechischen Text bei unbefangener Prüfung sehr
einleuchten.

Wir wiederholen es, daß des Hieronymus Übersetzung für ihre Zeit vor¬
trefflich ist. Die inneren Borzüge haben es auch wohl hauptfächlich bewirkt,
daß das Mißtrauen gegen alles von den Juden Aufgehende bei ihr so tasch
überwunden ward. Daneben wirkte aber auch der große Ruf seiner Gelehr¬
samkeit, der sich in den Worten des Augustinus ausdrückt, daß das, was
Hieronymus nicht gewußt habe, keinem Sterblichen bekannt gewesen. Hiero¬
nymus sorgte, theils aus Eitelkeit, theils um den Erfolg seines Unternehmens
zu sichern, übrigens selbst dafür, daß diese sehr übertriebene Ansicht von seinem
Wissen allgemein verbreitet wurde. Dazu kamen endlich noch die persönlichen
Verbindungen mit vielen einflußreichen Männern.

Trotz der Verketzerungen, denen das Volk nur zu leicht das Ohr lieh, fing
diese Uebersetzung schon bei Lebzeiten des Verfassers an sich zu verbreiten.
Dieser erlebte noch den Triumph, daß sie theilweise ins Griechische übersetzt
ward. Der Septuaginta hat sie freilich direct kein Gebiet abgewonnen» da¬
gegen ist die alte lateinische Vulgata, deren Mangels.iftigkeit durch den Ver¬
gleich mit dem neuen Werke zu grell hervoitreten mußte, nach und »ach ganz
verdrängt und seit etwa dem sechsten Jahrhundert fast spurlos verschollen.

Nur den Psalter, das volksthümlichste aller alttestamentlichen Bücher> wagte
man dem Volke nicht in der gänzlich neuen Gestalt zu geben. Zwar verließ


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[0190] In der Sprache hielt er sich ziemlich an die durch die alte Bulgata ein¬ mal gangbar gewordene orientalisirende Redeweise, obwohl sie seinem classisch gebildeten Sinn nicht eben sehr behagte. Aber er mußte hier auf den einmal herrschenden Gebrauch Rücksicht nehmen, und seinen Wunsch, den Geist der lateinischen Sprache durch etwas freiere Uebersetzung mehr zu schonen, unter- drücken. Ueberhaupt hielt er sich, wo er es irgend verantworten konnte, an seine Vorgänger „um die Leser nicht durch all zu viele Neuerung abzuschrecken". Hieronymus war überhaupt nur allzu geneigt, den herrschenden Ansichten gegen sein besseres Wissen Zugeständnisse zu machen; man muß jedoch bedenken, welch gefährliche Folgen i» jenen Zeiten ein cousequenter Widerstand gegen das kirch¬ lich Recipirte hüben konnte. Ein solches Zugeständniß ist es auch, daß er von den wegen ihres Fehlens im hebräischen Kanon von ihm sehr geringschätzig betrachteten Apokryphen wenigstens die Bücher Judith und Tobie bearbeitete; freilich entspricht de>e flüchtige Arbeit hier auch dieser geringen Meinung von den Büchern. Der Text, nach dem Hieronymus übersetzte, ist durchaus der gewöhnliche jüdische; ganz vereinzelt sind die Abweichungen und sie beruhen stets nur auf leichten Schreibfehlern. Für diesen hebräischen Text, Redraiea veritas, wie er sagt, kann er seine Hochschätzung nicht oft genug ausdrücke». Freilich mußten die Lorzüge desselben vor dem griechischen Text bei unbefangener Prüfung sehr einleuchten. Wir wiederholen es, daß des Hieronymus Übersetzung für ihre Zeit vor¬ trefflich ist. Die inneren Borzüge haben es auch wohl hauptfächlich bewirkt, daß das Mißtrauen gegen alles von den Juden Aufgehende bei ihr so tasch überwunden ward. Daneben wirkte aber auch der große Ruf seiner Gelehr¬ samkeit, der sich in den Worten des Augustinus ausdrückt, daß das, was Hieronymus nicht gewußt habe, keinem Sterblichen bekannt gewesen. Hiero¬ nymus sorgte, theils aus Eitelkeit, theils um den Erfolg seines Unternehmens zu sichern, übrigens selbst dafür, daß diese sehr übertriebene Ansicht von seinem Wissen allgemein verbreitet wurde. Dazu kamen endlich noch die persönlichen Verbindungen mit vielen einflußreichen Männern. Trotz der Verketzerungen, denen das Volk nur zu leicht das Ohr lieh, fing diese Uebersetzung schon bei Lebzeiten des Verfassers an sich zu verbreiten. Dieser erlebte noch den Triumph, daß sie theilweise ins Griechische übersetzt ward. Der Septuaginta hat sie freilich direct kein Gebiet abgewonnen» da¬ gegen ist die alte lateinische Vulgata, deren Mangels.iftigkeit durch den Ver¬ gleich mit dem neuen Werke zu grell hervoitreten mußte, nach und »ach ganz verdrängt und seit etwa dem sechsten Jahrhundert fast spurlos verschollen. Nur den Psalter, das volksthümlichste aller alttestamentlichen Bücher> wagte man dem Volke nicht in der gänzlich neuen Gestalt zu geben. Zwar verließ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/190>, abgerufen am 22.07.2024.