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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Während der Ursprung der bis jetzt besprochenen Uebersetzungen mit wenig
Ausnahmen ganz dunkel ist, sind wir über die Entstehungsgeschichte der besten
Arbeit des Alterthums auf diesem Gebiet, der des Hieronymus (geboren 329,
gestorben 420) ziemlich ^man unterrichtet. Dieser geistvolle und fein gebildete
Mann hatte sich meist Mühe gegeben, die formell und materiell sehr ungenü¬
genden, von einander vielfach abweichenden lateinischen Uebersetzungen der Sep-
tuaginta nach richtigeren Texten, namentlich dem des Origenes, zu verbessern.
Da man dem lateinischen Texte durchaus keine Autorität zuerkannte, während
dieselbe der Septuaginta unbedingt beigelegt ward, so erregte diese Arbeit
keinen Anstoß. Aber Hieronymus, der schon bei diesem Unternehmen jüdische
Hilfe in Anspruch nahm und ein Auge auf den hebräischen Text warf, erkannte,
daß solches Flickwerk nichts nützen könnte und faßte den kühnen Entschluß,
direct aus der Urschrift eine neue lateinische Uebersetzung zu verfassen., Hiero¬
nymus. der bei allen Gaben und allem Missen kein Mann von Cha¬
rakter war, hätte schwerlich ein solches Wagstück unternommen, wenn er
nicht von angesehnen Männern auch des Klerus Ermunterung und Unter-
stützung erhalten hätte. Denn es war kein Kleines, den Text der Apostel und
der Väter aufzugeben und sich dem der Juden zuzuwenden, denen man alle
Bosheit zutraute. Selbst der heilige Augustinus fand das Unternehmen seines
Freundes Hieronymus höchst bedenklich. Dieser wendet gegen ihn das treffende
Argument an, daß die Christenheit ja gar nicht mehr den alten Scptuaginta-
text, sondern den des Origenes gebrauche, in dem doch so viele Zusätze von
den Juden und Ketzern Aquila. Theodotio und Symmachus seien, daß also
jener nicht absolut heilig und der jüdische Text für einen Christen nicht gradezu
verwerflich sei. In den Jahren 392--404 übersetzt nun Hieronymus in Beth¬
lehem das ganze hebräische Alte Testament ins Lateinische. Schon als Jüng¬
ling hatte er. nachdem er seine classischen Studien vollendet, von einem gelehrten
Juden Hebräisch gelernt. Aber seine eignen hebräischen Kenntnisse hätten ihn
schwerlich befähigt, etwas irgend Genügendes zu leisten. Deshalb verschmähte
er nicht, sich beständig der Hilfe gelehrter Juden zu bedienen, die ihm dieselbe
natürlich nur gegen baare Bezahlung gewährten und noch dazu heimlich aus
Furcht vor den Glaubensgenossen, welchen der Unterricht eines "Heiden" in
der heiligen Schrift ein Greuel s>in mußte. Daß seine Lehrmeister in der da¬
maligen jüdischen Wissenschaft Wohl bewandert waren, zeigt seine ganze Arbeit.
An zahllosen Stellen repräsentirt dieselbe nicht etwa einfach den hebräischen
Text, sondern die in den jüdischen Schulen herrschende Auffassung desselben.
Aber daneben behielt Hieronymus mit einer für jene Zeiten sehr anerkennens-
Werthen Kritik auch seine sonstigen ihm zugänglichen Vorgänger im Auge, die
Septuaginta, den Aquila, Symmachus und Theodotio, namentlich die beiden Letz¬
teren. Auf diese Weise ward es ihm möglich, eine vorzügliche Arbeit zu liefern.


Grenzboten II. 1867. . . 24 ,

Während der Ursprung der bis jetzt besprochenen Uebersetzungen mit wenig
Ausnahmen ganz dunkel ist, sind wir über die Entstehungsgeschichte der besten
Arbeit des Alterthums auf diesem Gebiet, der des Hieronymus (geboren 329,
gestorben 420) ziemlich ^man unterrichtet. Dieser geistvolle und fein gebildete
Mann hatte sich meist Mühe gegeben, die formell und materiell sehr ungenü¬
genden, von einander vielfach abweichenden lateinischen Uebersetzungen der Sep-
tuaginta nach richtigeren Texten, namentlich dem des Origenes, zu verbessern.
Da man dem lateinischen Texte durchaus keine Autorität zuerkannte, während
dieselbe der Septuaginta unbedingt beigelegt ward, so erregte diese Arbeit
keinen Anstoß. Aber Hieronymus, der schon bei diesem Unternehmen jüdische
Hilfe in Anspruch nahm und ein Auge auf den hebräischen Text warf, erkannte,
daß solches Flickwerk nichts nützen könnte und faßte den kühnen Entschluß,
direct aus der Urschrift eine neue lateinische Uebersetzung zu verfassen., Hiero¬
nymus. der bei allen Gaben und allem Missen kein Mann von Cha¬
rakter war, hätte schwerlich ein solches Wagstück unternommen, wenn er
nicht von angesehnen Männern auch des Klerus Ermunterung und Unter-
stützung erhalten hätte. Denn es war kein Kleines, den Text der Apostel und
der Väter aufzugeben und sich dem der Juden zuzuwenden, denen man alle
Bosheit zutraute. Selbst der heilige Augustinus fand das Unternehmen seines
Freundes Hieronymus höchst bedenklich. Dieser wendet gegen ihn das treffende
Argument an, daß die Christenheit ja gar nicht mehr den alten Scptuaginta-
text, sondern den des Origenes gebrauche, in dem doch so viele Zusätze von
den Juden und Ketzern Aquila. Theodotio und Symmachus seien, daß also
jener nicht absolut heilig und der jüdische Text für einen Christen nicht gradezu
verwerflich sei. In den Jahren 392—404 übersetzt nun Hieronymus in Beth¬
lehem das ganze hebräische Alte Testament ins Lateinische. Schon als Jüng¬
ling hatte er. nachdem er seine classischen Studien vollendet, von einem gelehrten
Juden Hebräisch gelernt. Aber seine eignen hebräischen Kenntnisse hätten ihn
schwerlich befähigt, etwas irgend Genügendes zu leisten. Deshalb verschmähte
er nicht, sich beständig der Hilfe gelehrter Juden zu bedienen, die ihm dieselbe
natürlich nur gegen baare Bezahlung gewährten und noch dazu heimlich aus
Furcht vor den Glaubensgenossen, welchen der Unterricht eines „Heiden" in
der heiligen Schrift ein Greuel s>in mußte. Daß seine Lehrmeister in der da¬
maligen jüdischen Wissenschaft Wohl bewandert waren, zeigt seine ganze Arbeit.
An zahllosen Stellen repräsentirt dieselbe nicht etwa einfach den hebräischen
Text, sondern die in den jüdischen Schulen herrschende Auffassung desselben.
Aber daneben behielt Hieronymus mit einer für jene Zeiten sehr anerkennens-
Werthen Kritik auch seine sonstigen ihm zugänglichen Vorgänger im Auge, die
Septuaginta, den Aquila, Symmachus und Theodotio, namentlich die beiden Letz¬
teren. Auf diese Weise ward es ihm möglich, eine vorzügliche Arbeit zu liefern.


Grenzboten II. 1867. . . 24 ,
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[0189] Während der Ursprung der bis jetzt besprochenen Uebersetzungen mit wenig Ausnahmen ganz dunkel ist, sind wir über die Entstehungsgeschichte der besten Arbeit des Alterthums auf diesem Gebiet, der des Hieronymus (geboren 329, gestorben 420) ziemlich ^man unterrichtet. Dieser geistvolle und fein gebildete Mann hatte sich meist Mühe gegeben, die formell und materiell sehr ungenü¬ genden, von einander vielfach abweichenden lateinischen Uebersetzungen der Sep- tuaginta nach richtigeren Texten, namentlich dem des Origenes, zu verbessern. Da man dem lateinischen Texte durchaus keine Autorität zuerkannte, während dieselbe der Septuaginta unbedingt beigelegt ward, so erregte diese Arbeit keinen Anstoß. Aber Hieronymus, der schon bei diesem Unternehmen jüdische Hilfe in Anspruch nahm und ein Auge auf den hebräischen Text warf, erkannte, daß solches Flickwerk nichts nützen könnte und faßte den kühnen Entschluß, direct aus der Urschrift eine neue lateinische Uebersetzung zu verfassen., Hiero¬ nymus. der bei allen Gaben und allem Missen kein Mann von Cha¬ rakter war, hätte schwerlich ein solches Wagstück unternommen, wenn er nicht von angesehnen Männern auch des Klerus Ermunterung und Unter- stützung erhalten hätte. Denn es war kein Kleines, den Text der Apostel und der Väter aufzugeben und sich dem der Juden zuzuwenden, denen man alle Bosheit zutraute. Selbst der heilige Augustinus fand das Unternehmen seines Freundes Hieronymus höchst bedenklich. Dieser wendet gegen ihn das treffende Argument an, daß die Christenheit ja gar nicht mehr den alten Scptuaginta- text, sondern den des Origenes gebrauche, in dem doch so viele Zusätze von den Juden und Ketzern Aquila. Theodotio und Symmachus seien, daß also jener nicht absolut heilig und der jüdische Text für einen Christen nicht gradezu verwerflich sei. In den Jahren 392—404 übersetzt nun Hieronymus in Beth¬ lehem das ganze hebräische Alte Testament ins Lateinische. Schon als Jüng¬ ling hatte er. nachdem er seine classischen Studien vollendet, von einem gelehrten Juden Hebräisch gelernt. Aber seine eignen hebräischen Kenntnisse hätten ihn schwerlich befähigt, etwas irgend Genügendes zu leisten. Deshalb verschmähte er nicht, sich beständig der Hilfe gelehrter Juden zu bedienen, die ihm dieselbe natürlich nur gegen baare Bezahlung gewährten und noch dazu heimlich aus Furcht vor den Glaubensgenossen, welchen der Unterricht eines „Heiden" in der heiligen Schrift ein Greuel s>in mußte. Daß seine Lehrmeister in der da¬ maligen jüdischen Wissenschaft Wohl bewandert waren, zeigt seine ganze Arbeit. An zahllosen Stellen repräsentirt dieselbe nicht etwa einfach den hebräischen Text, sondern die in den jüdischen Schulen herrschende Auffassung desselben. Aber daneben behielt Hieronymus mit einer für jene Zeiten sehr anerkennens- Werthen Kritik auch seine sonstigen ihm zugänglichen Vorgänger im Auge, die Septuaginta, den Aquila, Symmachus und Theodotio, namentlich die beiden Letz¬ teren. Auf diese Weise ward es ihm möglich, eine vorzügliche Arbeit zu liefern. Grenzboten II. 1867. . . 24 ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/189>, abgerufen am 22.07.2024.