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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Die frühen Übersetzungen des Alten Testaments.
2.

Kaum später als in Aegypten war auch im jüdischen Lande selbst das
Bedürfniß nach einer Übersetzung der heiligen Schriften rege geworden. Die
hebräische Sprache verschwand allmälig aus dem Leben und wenn sie sich auch
im schriftlichen und selbst mündlichen Gebrauch der Gelehrten noch lange erhielt,
so ward sie doch dem gemeinen Manne unverständlich. Man half sich nun
dadurch, daß man nach der Vorlesung der Textabschnitte in den Synagogen für
das Volk eine mündliche Uebertragung in die nunmehrige Landessprache, das
Aramäische (sog. Chaldäische) gab. Diese Uebersetzung (aramäisch ?Al-güm), galt
aber immer nur als Begleitung des Textes und sollte nie die Autorität des¬
selben verdrängen. Eben deshalb verbot man auch die schriftliche Aufzeichnung
des Targums. Da sich dieses in den Händen einer bestimmten Gelehrtenclasse
(der MethurgemÄne) befand, die natürlich an die herrschende Auffassung gebunden
war, so bildete sich eine bestimmte Norm aus, welche zwar nicht für jedes
einzelne Wort ganz fest war, aber doch eine im Wesentlichen gleichlautende
Ueberlieferung darstellte, durch welche die individuelle Willkür sehr beschränkt
ward. Dem Wesen einer populären Erläuterung des Textes gemäß enthielten
diese Targume mancherlei Umschreibungen, sowie erklärende und erbauliche Zu"
säpe, obwohl fast überall eine wörtliche Übersetzung den Grundstock bildete.
Da sich diese Uebersetzungsmanier in einer Zeit festsetzte, in welcher der Schrift¬
text noch nicht ganz die später recipirte Gestalt hatte und namentlich auch die
Auffassung der gesetzlichen Bestimmungen noch vielfach eine andre war als die
nachher in den Schulen üblich gewordene, so ergab sich später manche Differenz
zwischen den durch einen beharrlichen Gebrauch starr gewordnen Uebersetzungen
und den officiellen Erklärungen der Gelehrten, so daß diese ihre Mißbilligung
über die Methurgemane nicht immer verschweigen konnten und schließlich eine
völlige Umformung des Targums veranstalteten.

Aufgezeichnet wurde in dieser Zeit das Targum nur vereinzelt unter ent-
schiedner Mißbilligung von Seiten der herrschenden Gelehrten. Aus dem An¬
fang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. wird ein schriftliches Targum des Buches
Hiob erwähnt und ein ebensolches soll schon zwei Generationen früher existirt haben.
Näheres ist über diese leider nicht bekannt. Nach und nach erwies sich jedoch
die schriftliche Fixirung auch auf diesem Gebiet als unumgänglich.

Geiger, welcher sich ein großes Verdienst um die richtigere Würdigung der
Targume, wie überhaupt der alten Uebersetzungen in ihrem Verhältniß zum


Grenzboten II. 1867. 23
Die frühen Übersetzungen des Alten Testaments.
2.

Kaum später als in Aegypten war auch im jüdischen Lande selbst das
Bedürfniß nach einer Übersetzung der heiligen Schriften rege geworden. Die
hebräische Sprache verschwand allmälig aus dem Leben und wenn sie sich auch
im schriftlichen und selbst mündlichen Gebrauch der Gelehrten noch lange erhielt,
so ward sie doch dem gemeinen Manne unverständlich. Man half sich nun
dadurch, daß man nach der Vorlesung der Textabschnitte in den Synagogen für
das Volk eine mündliche Uebertragung in die nunmehrige Landessprache, das
Aramäische (sog. Chaldäische) gab. Diese Uebersetzung (aramäisch ?Al-güm), galt
aber immer nur als Begleitung des Textes und sollte nie die Autorität des¬
selben verdrängen. Eben deshalb verbot man auch die schriftliche Aufzeichnung
des Targums. Da sich dieses in den Händen einer bestimmten Gelehrtenclasse
(der MethurgemÄne) befand, die natürlich an die herrschende Auffassung gebunden
war, so bildete sich eine bestimmte Norm aus, welche zwar nicht für jedes
einzelne Wort ganz fest war, aber doch eine im Wesentlichen gleichlautende
Ueberlieferung darstellte, durch welche die individuelle Willkür sehr beschränkt
ward. Dem Wesen einer populären Erläuterung des Textes gemäß enthielten
diese Targume mancherlei Umschreibungen, sowie erklärende und erbauliche Zu«
säpe, obwohl fast überall eine wörtliche Übersetzung den Grundstock bildete.
Da sich diese Uebersetzungsmanier in einer Zeit festsetzte, in welcher der Schrift¬
text noch nicht ganz die später recipirte Gestalt hatte und namentlich auch die
Auffassung der gesetzlichen Bestimmungen noch vielfach eine andre war als die
nachher in den Schulen üblich gewordene, so ergab sich später manche Differenz
zwischen den durch einen beharrlichen Gebrauch starr gewordnen Uebersetzungen
und den officiellen Erklärungen der Gelehrten, so daß diese ihre Mißbilligung
über die Methurgemane nicht immer verschweigen konnten und schließlich eine
völlige Umformung des Targums veranstalteten.

Aufgezeichnet wurde in dieser Zeit das Targum nur vereinzelt unter ent-
schiedner Mißbilligung von Seiten der herrschenden Gelehrten. Aus dem An¬
fang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. wird ein schriftliches Targum des Buches
Hiob erwähnt und ein ebensolches soll schon zwei Generationen früher existirt haben.
Näheres ist über diese leider nicht bekannt. Nach und nach erwies sich jedoch
die schriftliche Fixirung auch auf diesem Gebiet als unumgänglich.

Geiger, welcher sich ein großes Verdienst um die richtigere Würdigung der
Targume, wie überhaupt der alten Uebersetzungen in ihrem Verhältniß zum


Grenzboten II. 1867. 23
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[0181] Die frühen Übersetzungen des Alten Testaments. 2. Kaum später als in Aegypten war auch im jüdischen Lande selbst das Bedürfniß nach einer Übersetzung der heiligen Schriften rege geworden. Die hebräische Sprache verschwand allmälig aus dem Leben und wenn sie sich auch im schriftlichen und selbst mündlichen Gebrauch der Gelehrten noch lange erhielt, so ward sie doch dem gemeinen Manne unverständlich. Man half sich nun dadurch, daß man nach der Vorlesung der Textabschnitte in den Synagogen für das Volk eine mündliche Uebertragung in die nunmehrige Landessprache, das Aramäische (sog. Chaldäische) gab. Diese Uebersetzung (aramäisch ?Al-güm), galt aber immer nur als Begleitung des Textes und sollte nie die Autorität des¬ selben verdrängen. Eben deshalb verbot man auch die schriftliche Aufzeichnung des Targums. Da sich dieses in den Händen einer bestimmten Gelehrtenclasse (der MethurgemÄne) befand, die natürlich an die herrschende Auffassung gebunden war, so bildete sich eine bestimmte Norm aus, welche zwar nicht für jedes einzelne Wort ganz fest war, aber doch eine im Wesentlichen gleichlautende Ueberlieferung darstellte, durch welche die individuelle Willkür sehr beschränkt ward. Dem Wesen einer populären Erläuterung des Textes gemäß enthielten diese Targume mancherlei Umschreibungen, sowie erklärende und erbauliche Zu« säpe, obwohl fast überall eine wörtliche Übersetzung den Grundstock bildete. Da sich diese Uebersetzungsmanier in einer Zeit festsetzte, in welcher der Schrift¬ text noch nicht ganz die später recipirte Gestalt hatte und namentlich auch die Auffassung der gesetzlichen Bestimmungen noch vielfach eine andre war als die nachher in den Schulen üblich gewordene, so ergab sich später manche Differenz zwischen den durch einen beharrlichen Gebrauch starr gewordnen Uebersetzungen und den officiellen Erklärungen der Gelehrten, so daß diese ihre Mißbilligung über die Methurgemane nicht immer verschweigen konnten und schließlich eine völlige Umformung des Targums veranstalteten. Aufgezeichnet wurde in dieser Zeit das Targum nur vereinzelt unter ent- schiedner Mißbilligung von Seiten der herrschenden Gelehrten. Aus dem An¬ fang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. wird ein schriftliches Targum des Buches Hiob erwähnt und ein ebensolches soll schon zwei Generationen früher existirt haben. Näheres ist über diese leider nicht bekannt. Nach und nach erwies sich jedoch die schriftliche Fixirung auch auf diesem Gebiet als unumgänglich. Geiger, welcher sich ein großes Verdienst um die richtigere Würdigung der Targume, wie überhaupt der alten Uebersetzungen in ihrem Verhältniß zum Grenzboten II. 1867. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/181>, abgerufen am 03.07.2024.