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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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mit der Regierung einigte, war in Wirklichkeit die Hauptschwierigkeit beseitigt.
Es sei deshalb hier von liberaler Seite nicht eine Beurtheilung der in der
Schlußberathung durchgebrachten Amendements, sondern eine kurze Betrachtung
über die Principien der festgestellten Heeresorganisation unternommen.

Die Abkürzung der Dienstpflicht auf 12 Jahre statt der 19 Jahre nach
alter preußischer Hecresvcrfassung und der 16 Jahre nach der Reorganisation
ist mit Recht als Fortschritt begrüßt worden. In der That ist die darnach zu
hoffende Befreiung der preußischen Männer vom 32.-39. Lebensjahr eine
große Erleichterung für das Volk. Denn es war der ganze spartanische und
an Opfer gewöhnte Sinn der Preußen nöthig, um die Last zu ertragen, welche
die alte Pflicht kinderreichen Familienvätern und Vorstehern festeingerichteter
Geschäfte noch in der Blüthe ihres Mannesalters auflegte. Es ist ein großer
Fortschritt, und seine Bedeutung ist freudig zu würdigen. Nur dürfen wir
uns nicht verhehlen. daß die Erleichterung, welche er gewährt, auch in Preußen
nur allmälig, allerdings nach jedem Friedensjahr in stärkerem Maße eintreten
und daß sein voller Segen nicht eher als nach zwölf Jahren fühlbar sein wird.
Denn erst nach und nach vermag die neue Einrichtung die frühere entbehrlich
zu machen, wenn die Wehrkraft des Staates nicht desorganifirt werden soll.
Grade wie Pflanzen und Bäume wachsen auch Truppenkörper nur langsam im
Laufe der Jahre ihrer völligen Ausbildung zu.

Jedes ncuformirte Jnfantcriebataillon würde, wenn es sich nur aus seinem
jährlichen Contingent von Recruten zu bilden hätte, drei Jahre brauchen, bevor
es die Friedensstärke von 534 Mann erreicht, und wieder neue vier Jahre,
bevor es die volle Kriegsstärke von 1,000 Mann erhält, wenn man den unver¬
meidlichen Abgang durch Tod, Untauglichkeit und die für das sogenannte Reserve¬
bataillon abzugebende Mannschaft einrechnet. Else nach sieben Jahren aber-
maligen Wachsens vermag ein Bataillon den ersten Jahrgang der Landwehr
abzustoßen. Wird eher seine volle Kriegsstärke verlangt, als vor dem achten
Jahre seines Bestehens, wie im Jahr 186K bei den Neubildungen Preußens
hier und da der Fall war, so muß es sich aus den jüngsten Jahrgängen der
Landwehr completiren, und wieder zur Ergänzung der Landwehr müssen die
letzten Altersclassen derselben herangezogen werden. Da wir nun gegenwärtig
in einer Periode der größten militärischen Neubildungen sind, so ist selbstver¬
ständlich, daß eine Befreiung der höheren Altersclassen der Landwehr erst nach
und nach stattfinden kann. Das dämpft die Freude über eine große Verbesserung
nicht, aber es macht sie ruhiger.

Von liberaler Seite hatte man in dem ursprünglichen Wortlaut des Re¬
gierungsentwurfes: "Jeder wehrfähige norddeutsche gehört sieben
Jahre lang dem stehenden Heere an", eine bedenkliche Bestimmung ge¬
sunden, welche der Regierung Spielraum gewähre, die dreijährige Dienstzeit


mit der Regierung einigte, war in Wirklichkeit die Hauptschwierigkeit beseitigt.
Es sei deshalb hier von liberaler Seite nicht eine Beurtheilung der in der
Schlußberathung durchgebrachten Amendements, sondern eine kurze Betrachtung
über die Principien der festgestellten Heeresorganisation unternommen.

Die Abkürzung der Dienstpflicht auf 12 Jahre statt der 19 Jahre nach
alter preußischer Hecresvcrfassung und der 16 Jahre nach der Reorganisation
ist mit Recht als Fortschritt begrüßt worden. In der That ist die darnach zu
hoffende Befreiung der preußischen Männer vom 32.-39. Lebensjahr eine
große Erleichterung für das Volk. Denn es war der ganze spartanische und
an Opfer gewöhnte Sinn der Preußen nöthig, um die Last zu ertragen, welche
die alte Pflicht kinderreichen Familienvätern und Vorstehern festeingerichteter
Geschäfte noch in der Blüthe ihres Mannesalters auflegte. Es ist ein großer
Fortschritt, und seine Bedeutung ist freudig zu würdigen. Nur dürfen wir
uns nicht verhehlen. daß die Erleichterung, welche er gewährt, auch in Preußen
nur allmälig, allerdings nach jedem Friedensjahr in stärkerem Maße eintreten
und daß sein voller Segen nicht eher als nach zwölf Jahren fühlbar sein wird.
Denn erst nach und nach vermag die neue Einrichtung die frühere entbehrlich
zu machen, wenn die Wehrkraft des Staates nicht desorganifirt werden soll.
Grade wie Pflanzen und Bäume wachsen auch Truppenkörper nur langsam im
Laufe der Jahre ihrer völligen Ausbildung zu.

Jedes ncuformirte Jnfantcriebataillon würde, wenn es sich nur aus seinem
jährlichen Contingent von Recruten zu bilden hätte, drei Jahre brauchen, bevor
es die Friedensstärke von 534 Mann erreicht, und wieder neue vier Jahre,
bevor es die volle Kriegsstärke von 1,000 Mann erhält, wenn man den unver¬
meidlichen Abgang durch Tod, Untauglichkeit und die für das sogenannte Reserve¬
bataillon abzugebende Mannschaft einrechnet. Else nach sieben Jahren aber-
maligen Wachsens vermag ein Bataillon den ersten Jahrgang der Landwehr
abzustoßen. Wird eher seine volle Kriegsstärke verlangt, als vor dem achten
Jahre seines Bestehens, wie im Jahr 186K bei den Neubildungen Preußens
hier und da der Fall war, so muß es sich aus den jüngsten Jahrgängen der
Landwehr completiren, und wieder zur Ergänzung der Landwehr müssen die
letzten Altersclassen derselben herangezogen werden. Da wir nun gegenwärtig
in einer Periode der größten militärischen Neubildungen sind, so ist selbstver¬
ständlich, daß eine Befreiung der höheren Altersclassen der Landwehr erst nach
und nach stattfinden kann. Das dämpft die Freude über eine große Verbesserung
nicht, aber es macht sie ruhiger.

Von liberaler Seite hatte man in dem ursprünglichen Wortlaut des Re¬
gierungsentwurfes: „Jeder wehrfähige norddeutsche gehört sieben
Jahre lang dem stehenden Heere an", eine bedenkliche Bestimmung ge¬
sunden, welche der Regierung Spielraum gewähre, die dreijährige Dienstzeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/172>, abgerufen am 24.08.2024.