Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Cardinalpunkt hielten, von welchem die Annahme des Verfassungsentwurfs durch
die Regierungen abhänge. Es blieb kein Zweifel, daß diese Erklärung ernst¬
haft gemeint und das letzte Wort der Regierungen sei. Und da in diesen Privat¬
besprechungen kein Einvernehmen erzielt wurde und die nationale Partei noch
an den Diäten festhielt, so brachte, wie erzählt wurde, Graf Bismarck in die
Schlußberathung des Reichstags über die Diäten eine Ordre des Bundes¬
präsidiums mit, welche die sofortige Auflösung des Reichstags verfügte, für
den Fall, daß die Majorität auf Zahlung der Diäten für die Mitglieder be¬
stehen würde. Ein Theil der nationalen Partei legte von Anfang an aus die
Diätenzahlung kein großes Gewicht, andere hatten die Ueberzeugung, daß die
Diätenfrage unter keinen Umständen das Scheitern der Vereinbarung verursachen
dürfe, so kam es, daß bei der Abstimmung auch die Stimmen der liberalen ^
Partei auseinandergingen und daß unter großer Erregung des Hauses das
Ministerium eine Majorität für Herstellung der ursprünglichen Regierungs¬
vorlage erhielt. Die Eifriger, welche in Nichtzahlung der Diäten an einen
künftigen Reichstag das größte Unheil sahen und heftig den Parteigenossen
grollten, weil diese sehr verständig die Diäten der Verfassung opferten, sie
mögen sich damit trösten, daß ein Reichstag aus einem allgemeinen Stimmrecht
gewählt und zwar ohne Diäten bei den gegenwärtigen Culturverhältnissen Deutsch¬
lands keine Erfindung ist, welche das preußische Abgeordnetenhaus auf die
Dauer in den Hintergrund rücken oder entbehrlich machen kann. Und das
wird ganz in der Ordnung sein. Ja dieser Umstand wird dazu beitragen, den
Reichstag recht bald in die richtige Stelle zu dem bestehenden Staatsbäu zu
setzen, d. h. in die Stellung eines deutschen Oberhauses, welchem ein durch Bei¬
tritt der Bundesgenossen erweitertes preußisches Abgeordnetenhaus mit beschränktem
Wahlrecht und mit Diäten zur Seite steht. Denn trotz Reichsapfel und Reichs-
sahne und aller Feierlichkeit, womit dieser Reichstag eröffnet wurde und trotz
dem Vertrauen, womit ihm Regierung und Nation entgegenkamen, wird er in
Zukunft doch nur ein Festgebäck des deutschen Volkes sein, das preußische Abgeord¬
netenhaus aber das tägliche Brod, und nicht für die Preußen allein. Erst wenn
der Reichstag fest in den Bau des neuen Staates eingefügt ist, werden die
zahlreichen Inconsequenzen, welche seiner Bildung anhaften, überwunden werden,
und wir werden uns alsdann freuen, auch die Vertreter der Regierungen als
Bundesgenossen und Mitglieder mit ausgezeichnetem Sitz und Stimme darin
zu begrüßen, dieselben Kommissare, denen das Haus jetzt gegenübersaß,
Bundescommissare und Linke wie zwei Kollegien von Auguren, welche
nach verschiedenem Glaubenssystem den Vogelflug deuten und einander zuweilen
die Vögel scheuchen. -- Und wir werden es, wenn dieser erwünschte Zeitpunkt
eintritt, für einen Vortheil halten, wenn sich dann bei den Schlußberathungen
des Reichstages hinter der Schranke der Commissarien noch die purpurnen Thron-


Cardinalpunkt hielten, von welchem die Annahme des Verfassungsentwurfs durch
die Regierungen abhänge. Es blieb kein Zweifel, daß diese Erklärung ernst¬
haft gemeint und das letzte Wort der Regierungen sei. Und da in diesen Privat¬
besprechungen kein Einvernehmen erzielt wurde und die nationale Partei noch
an den Diäten festhielt, so brachte, wie erzählt wurde, Graf Bismarck in die
Schlußberathung des Reichstags über die Diäten eine Ordre des Bundes¬
präsidiums mit, welche die sofortige Auflösung des Reichstags verfügte, für
den Fall, daß die Majorität auf Zahlung der Diäten für die Mitglieder be¬
stehen würde. Ein Theil der nationalen Partei legte von Anfang an aus die
Diätenzahlung kein großes Gewicht, andere hatten die Ueberzeugung, daß die
Diätenfrage unter keinen Umständen das Scheitern der Vereinbarung verursachen
dürfe, so kam es, daß bei der Abstimmung auch die Stimmen der liberalen ^
Partei auseinandergingen und daß unter großer Erregung des Hauses das
Ministerium eine Majorität für Herstellung der ursprünglichen Regierungs¬
vorlage erhielt. Die Eifriger, welche in Nichtzahlung der Diäten an einen
künftigen Reichstag das größte Unheil sahen und heftig den Parteigenossen
grollten, weil diese sehr verständig die Diäten der Verfassung opferten, sie
mögen sich damit trösten, daß ein Reichstag aus einem allgemeinen Stimmrecht
gewählt und zwar ohne Diäten bei den gegenwärtigen Culturverhältnissen Deutsch¬
lands keine Erfindung ist, welche das preußische Abgeordnetenhaus auf die
Dauer in den Hintergrund rücken oder entbehrlich machen kann. Und das
wird ganz in der Ordnung sein. Ja dieser Umstand wird dazu beitragen, den
Reichstag recht bald in die richtige Stelle zu dem bestehenden Staatsbäu zu
setzen, d. h. in die Stellung eines deutschen Oberhauses, welchem ein durch Bei¬
tritt der Bundesgenossen erweitertes preußisches Abgeordnetenhaus mit beschränktem
Wahlrecht und mit Diäten zur Seite steht. Denn trotz Reichsapfel und Reichs-
sahne und aller Feierlichkeit, womit dieser Reichstag eröffnet wurde und trotz
dem Vertrauen, womit ihm Regierung und Nation entgegenkamen, wird er in
Zukunft doch nur ein Festgebäck des deutschen Volkes sein, das preußische Abgeord¬
netenhaus aber das tägliche Brod, und nicht für die Preußen allein. Erst wenn
der Reichstag fest in den Bau des neuen Staates eingefügt ist, werden die
zahlreichen Inconsequenzen, welche seiner Bildung anhaften, überwunden werden,
und wir werden uns alsdann freuen, auch die Vertreter der Regierungen als
Bundesgenossen und Mitglieder mit ausgezeichnetem Sitz und Stimme darin
zu begrüßen, dieselben Kommissare, denen das Haus jetzt gegenübersaß,
Bundescommissare und Linke wie zwei Kollegien von Auguren, welche
nach verschiedenem Glaubenssystem den Vogelflug deuten und einander zuweilen
die Vögel scheuchen. — Und wir werden es, wenn dieser erwünschte Zeitpunkt
eintritt, für einen Vortheil halten, wenn sich dann bei den Schlußberathungen
des Reichstages hinter der Schranke der Commissarien noch die purpurnen Thron-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190864"/>
          <p xml:id="ID_510" prev="#ID_509" next="#ID_511"> Cardinalpunkt hielten, von welchem die Annahme des Verfassungsentwurfs durch<lb/>
die Regierungen abhänge. Es blieb kein Zweifel, daß diese Erklärung ernst¬<lb/>
haft gemeint und das letzte Wort der Regierungen sei. Und da in diesen Privat¬<lb/>
besprechungen kein Einvernehmen erzielt wurde und die nationale Partei noch<lb/>
an den Diäten festhielt, so brachte, wie erzählt wurde, Graf Bismarck in die<lb/>
Schlußberathung des Reichstags über die Diäten eine Ordre des Bundes¬<lb/>
präsidiums mit, welche die sofortige Auflösung des Reichstags verfügte, für<lb/>
den Fall, daß die Majorität auf Zahlung der Diäten für die Mitglieder be¬<lb/>
stehen würde. Ein Theil der nationalen Partei legte von Anfang an aus die<lb/>
Diätenzahlung kein großes Gewicht, andere hatten die Ueberzeugung, daß die<lb/>
Diätenfrage unter keinen Umständen das Scheitern der Vereinbarung verursachen<lb/>
dürfe, so kam es, daß bei der Abstimmung auch die Stimmen der liberalen ^<lb/>
Partei auseinandergingen und daß unter großer Erregung des Hauses das<lb/>
Ministerium eine Majorität für Herstellung der ursprünglichen Regierungs¬<lb/>
vorlage erhielt. Die Eifriger, welche in Nichtzahlung der Diäten an einen<lb/>
künftigen Reichstag das größte Unheil sahen und heftig den Parteigenossen<lb/>
grollten, weil diese sehr verständig die Diäten der Verfassung opferten, sie<lb/>
mögen sich damit trösten, daß ein Reichstag aus einem allgemeinen Stimmrecht<lb/>
gewählt und zwar ohne Diäten bei den gegenwärtigen Culturverhältnissen Deutsch¬<lb/>
lands keine Erfindung ist, welche das preußische Abgeordnetenhaus auf die<lb/>
Dauer in den Hintergrund rücken oder entbehrlich machen kann. Und das<lb/>
wird ganz in der Ordnung sein. Ja dieser Umstand wird dazu beitragen, den<lb/>
Reichstag recht bald in die richtige Stelle zu dem bestehenden Staatsbäu zu<lb/>
setzen, d. h. in die Stellung eines deutschen Oberhauses, welchem ein durch Bei¬<lb/>
tritt der Bundesgenossen erweitertes preußisches Abgeordnetenhaus mit beschränktem<lb/>
Wahlrecht und mit Diäten zur Seite steht. Denn trotz Reichsapfel und Reichs-<lb/>
sahne und aller Feierlichkeit, womit dieser Reichstag eröffnet wurde und trotz<lb/>
dem Vertrauen, womit ihm Regierung und Nation entgegenkamen, wird er in<lb/>
Zukunft doch nur ein Festgebäck des deutschen Volkes sein, das preußische Abgeord¬<lb/>
netenhaus aber das tägliche Brod, und nicht für die Preußen allein. Erst wenn<lb/>
der Reichstag fest in den Bau des neuen Staates eingefügt ist, werden die<lb/>
zahlreichen Inconsequenzen, welche seiner Bildung anhaften, überwunden werden,<lb/>
und wir werden uns alsdann freuen, auch die Vertreter der Regierungen als<lb/>
Bundesgenossen und Mitglieder mit ausgezeichnetem Sitz und Stimme darin<lb/>
zu begrüßen, dieselben Kommissare, denen das Haus jetzt gegenübersaß,<lb/>
Bundescommissare und Linke wie zwei Kollegien von Auguren, welche<lb/>
nach verschiedenem Glaubenssystem den Vogelflug deuten und einander zuweilen<lb/>
die Vögel scheuchen. &#x2014; Und wir werden es, wenn dieser erwünschte Zeitpunkt<lb/>
eintritt, für einen Vortheil halten, wenn sich dann bei den Schlußberathungen<lb/>
des Reichstages hinter der Schranke der Commissarien noch die purpurnen Thron-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0170] Cardinalpunkt hielten, von welchem die Annahme des Verfassungsentwurfs durch die Regierungen abhänge. Es blieb kein Zweifel, daß diese Erklärung ernst¬ haft gemeint und das letzte Wort der Regierungen sei. Und da in diesen Privat¬ besprechungen kein Einvernehmen erzielt wurde und die nationale Partei noch an den Diäten festhielt, so brachte, wie erzählt wurde, Graf Bismarck in die Schlußberathung des Reichstags über die Diäten eine Ordre des Bundes¬ präsidiums mit, welche die sofortige Auflösung des Reichstags verfügte, für den Fall, daß die Majorität auf Zahlung der Diäten für die Mitglieder be¬ stehen würde. Ein Theil der nationalen Partei legte von Anfang an aus die Diätenzahlung kein großes Gewicht, andere hatten die Ueberzeugung, daß die Diätenfrage unter keinen Umständen das Scheitern der Vereinbarung verursachen dürfe, so kam es, daß bei der Abstimmung auch die Stimmen der liberalen ^ Partei auseinandergingen und daß unter großer Erregung des Hauses das Ministerium eine Majorität für Herstellung der ursprünglichen Regierungs¬ vorlage erhielt. Die Eifriger, welche in Nichtzahlung der Diäten an einen künftigen Reichstag das größte Unheil sahen und heftig den Parteigenossen grollten, weil diese sehr verständig die Diäten der Verfassung opferten, sie mögen sich damit trösten, daß ein Reichstag aus einem allgemeinen Stimmrecht gewählt und zwar ohne Diäten bei den gegenwärtigen Culturverhältnissen Deutsch¬ lands keine Erfindung ist, welche das preußische Abgeordnetenhaus auf die Dauer in den Hintergrund rücken oder entbehrlich machen kann. Und das wird ganz in der Ordnung sein. Ja dieser Umstand wird dazu beitragen, den Reichstag recht bald in die richtige Stelle zu dem bestehenden Staatsbäu zu setzen, d. h. in die Stellung eines deutschen Oberhauses, welchem ein durch Bei¬ tritt der Bundesgenossen erweitertes preußisches Abgeordnetenhaus mit beschränktem Wahlrecht und mit Diäten zur Seite steht. Denn trotz Reichsapfel und Reichs- sahne und aller Feierlichkeit, womit dieser Reichstag eröffnet wurde und trotz dem Vertrauen, womit ihm Regierung und Nation entgegenkamen, wird er in Zukunft doch nur ein Festgebäck des deutschen Volkes sein, das preußische Abgeord¬ netenhaus aber das tägliche Brod, und nicht für die Preußen allein. Erst wenn der Reichstag fest in den Bau des neuen Staates eingefügt ist, werden die zahlreichen Inconsequenzen, welche seiner Bildung anhaften, überwunden werden, und wir werden uns alsdann freuen, auch die Vertreter der Regierungen als Bundesgenossen und Mitglieder mit ausgezeichnetem Sitz und Stimme darin zu begrüßen, dieselben Kommissare, denen das Haus jetzt gegenübersaß, Bundescommissare und Linke wie zwei Kollegien von Auguren, welche nach verschiedenem Glaubenssystem den Vogelflug deuten und einander zuweilen die Vögel scheuchen. — Und wir werden es, wenn dieser erwünschte Zeitpunkt eintritt, für einen Vortheil halten, wenn sich dann bei den Schlußberathungen des Reichstages hinter der Schranke der Commissarien noch die purpurnen Thron-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/170
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/170>, abgerufen am 22.07.2024.