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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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sie nicht.sind. Unter keinen Umständen konnte den Preußen das Gefühl erspart
werden, daß sie aus ihrer heimischen Staatsordnung Opfer bringen mußten für
ein ungewisses Neues. Denn niemand vermag vorauszusagen, wie weit Rechte
und Kompetenzen des Reichstags unserer Zukunft dienen werden, dagegen ist
ziemlich sicher, was die preußische Landesvertretung von ihren Befugnissen dahin¬
gehen muß.

Schon bei der Generaldebatte für die Vorberathung des Reichstags wurde
offenbar, wo der Conflict zwischen der Negierung und der liberalen Seite
des Hauses zu finden sein würde, es war in der Diätenfrage und dem Militär¬
budget.

Es liegt im Wesen jeder repräsentativen Versammlung, ihre eigenen Be¬
fugnisse hoch und weit zu fassen, und der Reichstag hat von seinem Rechte
Gebrauch gemacht, einige Bedingungen festzustellen, welche nach Auffassung der
Majorität dem künftigen Reichstag eine gedeihliche Thätigkeit sichern. Daß der.
Reichstag die Beamten für wählbar erklärt hat, war in der Ordnung, es wird
auch den Regierungen als in der Ordnung erscheinen. Alle unsere Staaten
sind seit zwei Jahrhunderten in so eminenter Weise Beamtenstaaten gewesen,
und die politische Bildung der Nation liegt noch so sehr in den Beamtenkreisen,
daß ein principieller Ausschluß derselben die Autorität des Reichstags nicht
steigern, sondern beeinträchtigen würde, weil er denselben, zumal wenn die Mit¬
glieder keine Diäten erhalten sollten, fast nur mit großen Grundbesitzern und
Eisenbahninteresscntcn füllen würde.

Für die Diäten haben in der Vorberathung auch solche Abgeordnete ge¬
stimmt, welche persönlich gewöhnt sind, dem Staat, dem armen Mann, Geld zu
geben, nicht Geld von ihm zu empfangen, auch solche, welche eine Entschädigung
für ihre Auslagen da als gleichgiltig erachten, wo sie ihre höchsten politischen
Rechte und Pflichten ausüben. Sie haben aber dafür gestimmt, weil bei einem
Theile ihrer Wähler, namentlich in Ost- und Mitteldeutschland, die Besorgnis; sehr
verbreitet und lebendig war, daß die Wähler vor Candidaten ohne Diäten zu
Wählern zweiter Classe herabgedrückt werden könnten, welche nur dazu da sind,
um reichen oder vornehmen Männern durch ihre Stimmen den Weg zur poli¬
tischen Carriere zu öffnen. Denn der deutsche Wähler ist gewöhnt, seinen Depu¬
taten als seinen Beamten zu betrachten.

Durch eine kleine Majorität wurde bei der ersten Berathung des Ent¬
wurfes gegen die eifrigen Einwendungen der Bundescommissare Zahlung der
Diäten an die Abgeordneten des Reichstags angenommen. In den Privat¬
besprechungen, welche zwischen der ersten und zweiten Lesung des Gesetzentwurfes
unter den Ministern und einzelnen Fractionsführern stattfanden, wurde un¬
zweifelhaft, daß die Regierungen und persönlich Graf Vismarck die Nichtzah¬
lung von Diäten, also die Streichung des eingefügten Amendements für den


sie nicht.sind. Unter keinen Umständen konnte den Preußen das Gefühl erspart
werden, daß sie aus ihrer heimischen Staatsordnung Opfer bringen mußten für
ein ungewisses Neues. Denn niemand vermag vorauszusagen, wie weit Rechte
und Kompetenzen des Reichstags unserer Zukunft dienen werden, dagegen ist
ziemlich sicher, was die preußische Landesvertretung von ihren Befugnissen dahin¬
gehen muß.

Schon bei der Generaldebatte für die Vorberathung des Reichstags wurde
offenbar, wo der Conflict zwischen der Negierung und der liberalen Seite
des Hauses zu finden sein würde, es war in der Diätenfrage und dem Militär¬
budget.

Es liegt im Wesen jeder repräsentativen Versammlung, ihre eigenen Be¬
fugnisse hoch und weit zu fassen, und der Reichstag hat von seinem Rechte
Gebrauch gemacht, einige Bedingungen festzustellen, welche nach Auffassung der
Majorität dem künftigen Reichstag eine gedeihliche Thätigkeit sichern. Daß der.
Reichstag die Beamten für wählbar erklärt hat, war in der Ordnung, es wird
auch den Regierungen als in der Ordnung erscheinen. Alle unsere Staaten
sind seit zwei Jahrhunderten in so eminenter Weise Beamtenstaaten gewesen,
und die politische Bildung der Nation liegt noch so sehr in den Beamtenkreisen,
daß ein principieller Ausschluß derselben die Autorität des Reichstags nicht
steigern, sondern beeinträchtigen würde, weil er denselben, zumal wenn die Mit¬
glieder keine Diäten erhalten sollten, fast nur mit großen Grundbesitzern und
Eisenbahninteresscntcn füllen würde.

Für die Diäten haben in der Vorberathung auch solche Abgeordnete ge¬
stimmt, welche persönlich gewöhnt sind, dem Staat, dem armen Mann, Geld zu
geben, nicht Geld von ihm zu empfangen, auch solche, welche eine Entschädigung
für ihre Auslagen da als gleichgiltig erachten, wo sie ihre höchsten politischen
Rechte und Pflichten ausüben. Sie haben aber dafür gestimmt, weil bei einem
Theile ihrer Wähler, namentlich in Ost- und Mitteldeutschland, die Besorgnis; sehr
verbreitet und lebendig war, daß die Wähler vor Candidaten ohne Diäten zu
Wählern zweiter Classe herabgedrückt werden könnten, welche nur dazu da sind,
um reichen oder vornehmen Männern durch ihre Stimmen den Weg zur poli¬
tischen Carriere zu öffnen. Denn der deutsche Wähler ist gewöhnt, seinen Depu¬
taten als seinen Beamten zu betrachten.

Durch eine kleine Majorität wurde bei der ersten Berathung des Ent¬
wurfes gegen die eifrigen Einwendungen der Bundescommissare Zahlung der
Diäten an die Abgeordneten des Reichstags angenommen. In den Privat¬
besprechungen, welche zwischen der ersten und zweiten Lesung des Gesetzentwurfes
unter den Ministern und einzelnen Fractionsführern stattfanden, wurde un¬
zweifelhaft, daß die Regierungen und persönlich Graf Vismarck die Nichtzah¬
lung von Diäten, also die Streichung des eingefügten Amendements für den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/169>, abgerufen am 02.10.2024.