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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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viel umrungener Paragraphen. Noch kurz vor Eröffnung der Schlußberathung
war außerhalb des Hauses zwischen den Nationalliberalen und der freien con-
servativen Vereinigung ein Übereinkommen geschlossen worden, ihre beiderseitigen
Vorschläge in einem Amendement zu Artikel 62 zu verschmelzen, das. von
Bennigsen und dem Herzog von Ujest unterzeichnet, vorschlägt: "nach dem 31. De¬
cember 1871 diese Beträge von den einzelnen Staaten des Bundes zur Bundes¬
kasse fortzahlen zu lassen und zur Berechnung derselben die im Artikel 60 inter¬
imistisch festgestellte Friedenspräsenzzeit so lange festzuhalten, bis sie durch ein
Bundesgesetz abgeändert ist; die Verausgabung dieser Summe für das Bundes-
heer und dessen Einrichtungen solle durch das Etatgesetz festgestellt, bei der
Feststellung des Miiitärausgabeetats die auf Grund dieser Verfassung gesetzlich
bestehende Organisation des Bundeshceres zu Grunde gelegt werden." Gegen
dieses Amendement, durch welches Herr v. Vincke bereits die "preußische Armee
in die Lust gesprengt" sah, richtete sich sein ganzer Zorn. Aber das Dräuen
fand keinen rechten Glauben. Um so weniger, als eine direct von Bethusy
provocirte Erklärung des Grafen Bismarck durchaus nicht die Hoffnung völlig
abzuscl'meiden schien, auch die so amendirte Verfassung bei den verbündeten
Regierungen und besonders beim Bundcspräsidium zur Annahme zu bringen.
Nach Abwerfung des von der Rechten begünstigten Amendements Stolberg
wurde die Fassung Das bennigseu-ujeslschen Zusatzes mit bedeutender Majorität
in namentlicher Abstimmung, welche manche überraschende Erscheinungen bot
(z. B. Prinz Friedrich Karl und Moltke dasür, Bismarck dagegen votirend,
Gneist sich enthaliend), angenommen.

Von da ab ging es wieder im Fluge bis zu § 72 Heiter. Ein Versuch
Wizards, hinter Abschnitt XII noch einen besondern, ein dem in der preu¬
ßischen Verfassung garantirten entsprechendes Miuimalmciß der Volksrechte
und Freiheiten sichernden Abschnitt einzuschalten, fand, wie zu erwarte", nur
sehr geringe Unterstützung. Ader wichtig und interessant wurde noch die von
Simon mit vielem Geschick eingeflechtene Episode. Ehe der Präsident seine
völlige Abschweifung von der Sache abwehren konnte, hatte er den Grasen
Bismarck fast unabweislich zu nöthigen gewußt, sich noch jetzt über die Frage
zu erklären, ob eine Annahme von Eutschädigungsgeldern durch die Reichstags¬
mitglieder als Ersatz der wegfallenden vom Staat gezählten Diäten von der
Regierung gestattet werden würde. Die Antwort klang diplomatisch, war aber
wohl für die Beamten deutlich genug: wir können nur denen etwas verbieten,
denen wir befehlen können.

Nicht unbedingt taclvoll versuchte Miquol noch bei dem Schlußartikel recht
eigentlich die Gelegenheit vom Zaum zu brechen, einen Rückblick auf das ganze
Versassungswerk zu thun; der Präsident mußte seiner Rede mitten im schönsten


viel umrungener Paragraphen. Noch kurz vor Eröffnung der Schlußberathung
war außerhalb des Hauses zwischen den Nationalliberalen und der freien con-
servativen Vereinigung ein Übereinkommen geschlossen worden, ihre beiderseitigen
Vorschläge in einem Amendement zu Artikel 62 zu verschmelzen, das. von
Bennigsen und dem Herzog von Ujest unterzeichnet, vorschlägt: „nach dem 31. De¬
cember 1871 diese Beträge von den einzelnen Staaten des Bundes zur Bundes¬
kasse fortzahlen zu lassen und zur Berechnung derselben die im Artikel 60 inter¬
imistisch festgestellte Friedenspräsenzzeit so lange festzuhalten, bis sie durch ein
Bundesgesetz abgeändert ist; die Verausgabung dieser Summe für das Bundes-
heer und dessen Einrichtungen solle durch das Etatgesetz festgestellt, bei der
Feststellung des Miiitärausgabeetats die auf Grund dieser Verfassung gesetzlich
bestehende Organisation des Bundeshceres zu Grunde gelegt werden." Gegen
dieses Amendement, durch welches Herr v. Vincke bereits die „preußische Armee
in die Lust gesprengt" sah, richtete sich sein ganzer Zorn. Aber das Dräuen
fand keinen rechten Glauben. Um so weniger, als eine direct von Bethusy
provocirte Erklärung des Grafen Bismarck durchaus nicht die Hoffnung völlig
abzuscl'meiden schien, auch die so amendirte Verfassung bei den verbündeten
Regierungen und besonders beim Bundcspräsidium zur Annahme zu bringen.
Nach Abwerfung des von der Rechten begünstigten Amendements Stolberg
wurde die Fassung Das bennigseu-ujeslschen Zusatzes mit bedeutender Majorität
in namentlicher Abstimmung, welche manche überraschende Erscheinungen bot
(z. B. Prinz Friedrich Karl und Moltke dasür, Bismarck dagegen votirend,
Gneist sich enthaliend), angenommen.

Von da ab ging es wieder im Fluge bis zu § 72 Heiter. Ein Versuch
Wizards, hinter Abschnitt XII noch einen besondern, ein dem in der preu¬
ßischen Verfassung garantirten entsprechendes Miuimalmciß der Volksrechte
und Freiheiten sichernden Abschnitt einzuschalten, fand, wie zu erwarte», nur
sehr geringe Unterstützung. Ader wichtig und interessant wurde noch die von
Simon mit vielem Geschick eingeflechtene Episode. Ehe der Präsident seine
völlige Abschweifung von der Sache abwehren konnte, hatte er den Grasen
Bismarck fast unabweislich zu nöthigen gewußt, sich noch jetzt über die Frage
zu erklären, ob eine Annahme von Eutschädigungsgeldern durch die Reichstags¬
mitglieder als Ersatz der wegfallenden vom Staat gezählten Diäten von der
Regierung gestattet werden würde. Die Antwort klang diplomatisch, war aber
wohl für die Beamten deutlich genug: wir können nur denen etwas verbieten,
denen wir befehlen können.

Nicht unbedingt taclvoll versuchte Miquol noch bei dem Schlußartikel recht
eigentlich die Gelegenheit vom Zaum zu brechen, einen Rückblick auf das ganze
Versassungswerk zu thun; der Präsident mußte seiner Rede mitten im schönsten


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[0162] viel umrungener Paragraphen. Noch kurz vor Eröffnung der Schlußberathung war außerhalb des Hauses zwischen den Nationalliberalen und der freien con- servativen Vereinigung ein Übereinkommen geschlossen worden, ihre beiderseitigen Vorschläge in einem Amendement zu Artikel 62 zu verschmelzen, das. von Bennigsen und dem Herzog von Ujest unterzeichnet, vorschlägt: „nach dem 31. De¬ cember 1871 diese Beträge von den einzelnen Staaten des Bundes zur Bundes¬ kasse fortzahlen zu lassen und zur Berechnung derselben die im Artikel 60 inter¬ imistisch festgestellte Friedenspräsenzzeit so lange festzuhalten, bis sie durch ein Bundesgesetz abgeändert ist; die Verausgabung dieser Summe für das Bundes- heer und dessen Einrichtungen solle durch das Etatgesetz festgestellt, bei der Feststellung des Miiitärausgabeetats die auf Grund dieser Verfassung gesetzlich bestehende Organisation des Bundeshceres zu Grunde gelegt werden." Gegen dieses Amendement, durch welches Herr v. Vincke bereits die „preußische Armee in die Lust gesprengt" sah, richtete sich sein ganzer Zorn. Aber das Dräuen fand keinen rechten Glauben. Um so weniger, als eine direct von Bethusy provocirte Erklärung des Grafen Bismarck durchaus nicht die Hoffnung völlig abzuscl'meiden schien, auch die so amendirte Verfassung bei den verbündeten Regierungen und besonders beim Bundcspräsidium zur Annahme zu bringen. Nach Abwerfung des von der Rechten begünstigten Amendements Stolberg wurde die Fassung Das bennigseu-ujeslschen Zusatzes mit bedeutender Majorität in namentlicher Abstimmung, welche manche überraschende Erscheinungen bot (z. B. Prinz Friedrich Karl und Moltke dasür, Bismarck dagegen votirend, Gneist sich enthaliend), angenommen. Von da ab ging es wieder im Fluge bis zu § 72 Heiter. Ein Versuch Wizards, hinter Abschnitt XII noch einen besondern, ein dem in der preu¬ ßischen Verfassung garantirten entsprechendes Miuimalmciß der Volksrechte und Freiheiten sichernden Abschnitt einzuschalten, fand, wie zu erwarte», nur sehr geringe Unterstützung. Ader wichtig und interessant wurde noch die von Simon mit vielem Geschick eingeflechtene Episode. Ehe der Präsident seine völlige Abschweifung von der Sache abwehren konnte, hatte er den Grasen Bismarck fast unabweislich zu nöthigen gewußt, sich noch jetzt über die Frage zu erklären, ob eine Annahme von Eutschädigungsgeldern durch die Reichstags¬ mitglieder als Ersatz der wegfallenden vom Staat gezählten Diäten von der Regierung gestattet werden würde. Die Antwort klang diplomatisch, war aber wohl für die Beamten deutlich genug: wir können nur denen etwas verbieten, denen wir befehlen können. Nicht unbedingt taclvoll versuchte Miquol noch bei dem Schlußartikel recht eigentlich die Gelegenheit vom Zaum zu brechen, einen Rückblick auf das ganze Versassungswerk zu thun; der Präsident mußte seiner Rede mitten im schönsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/162>, abgerufen am 03.07.2024.