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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Ziel in keiner Weise erreicht. Dazu genügte schon seine Sprachkenntniß keines¬
wegs. Wie frei er verfuhr, erteilt daraus, daß er ganze Stellen einfach wegließ,
wenn sie ihm zu schwierig waren. Auch andere Bücher sind sehr frei übersetzt.
Reine Willkür herrscht in den Uebersetzungen der Bücher Esther und Daniel,
welche ma" wohl "och nicht für so heilig hielt, um sie einer sorgfäliigeren Be¬
handlung zu würdige". Selbst die Propheten sind meist nur mäßig übersetzt,
namentlich der wichtigste von allen, Jesaias. Besser ist im Ganzen die Ueber-
seizung der geschichtlichen Bücher. Nur von einem einzigen dieser Uebersetzer
wissen wir etwas Näheres, nämlich dem des Sirachbuchcs, welcher sich in einer
Borrede selbst als Enkel des Verfassers bezeichnet und seine Zeit so angiebt,
daß wir sie ungefähr ins Jak'r 120 v. Chr. setzen müssen. Das Buch Esther
ist nach der leider nicht ganz klaren Unterschrift wahrscheinlich erst gegen cas
Ende dieses Jahrhunderts übertragen. In noch spätere Zeit führt uns die
Uebersetzung des ersten Mattabäerbuches und gar des Buches Henoch. Da in
Alexandria kein wesentlicher Unterschied zwischen apokiyphen und kanonischen
Büchern gemacht ward, so dürfen wir sie bei dieser Uebersetzungsliteratur nicht
trennen. Dieselbe hat sich mithin auf wenigstens zwei volle Jahrhunderte er¬
streckt. Dieser große Zeitraum würde allein schon die bedeutenden inneren Ver¬
schiedenheiten erklären.

Mit Ausnahme der Pentateuchst'bersetzung baden wir in ihnen allen nur
Privatunternehmungen zu sehen. Dies ergiebt sich für manche schon aus der
geringen Sorgfalt, mit der sie gemacht sind. Für viele Schriften stand damals
ja das kanonische Ansehen noch gar nicht fest und ihre etwas leichtfertige Be¬
handlung erschien deshalb nicht so schlimm. Bei dem raschen Verschwinden der
alten Sprache ans dem wirklichen Gebrauch, ohne daß ein Versuch gemacht
wäre, ihre Kenntniß durch wissenschaftliche Sprachstudien zu ersetzen, konnte
allerdings eine einigermaßen befriedigende Uebersetzung der älteren put schen
Schriften kaum mehr gelingen. An grammatischem Sinne fehlte es durchweg
und den meisten Uebersetzern kommt es gar nicht darauf an, die deutlichsten
grammatischen Formen mit einander zu verwechseln. Daß jedoch so junge Bücher
wie Esther und Daniel damals noch genau hätten übersetzt werden können,
leidet keinen Zweifel. Aber es ist allerdings bezeichnend für die damalige ge-
ringe Kenntniß des Hebräischen in Alexandria, daß so schlechte Arbeiten allgemein
angenommen wurden.

Einzelne Br-eher sind mehrmals übersetzt. Das sogenannte dritte Buch
Esra ist wenigstens eine Uebersetzung ausgewählter Stücke aus der Chronik und
dem Buche Esra, welche von den sonstigen Übersetzungen dieser Bücher unab¬
hängig ist.

, Die Texte, nach denen diese Uebersetzungen gemacht sind, weichen von dem
später recipirten mehr oder weniger ab. Sehr groß ist der Unterschied nur bei


19*

Ziel in keiner Weise erreicht. Dazu genügte schon seine Sprachkenntniß keines¬
wegs. Wie frei er verfuhr, erteilt daraus, daß er ganze Stellen einfach wegließ,
wenn sie ihm zu schwierig waren. Auch andere Bücher sind sehr frei übersetzt.
Reine Willkür herrscht in den Uebersetzungen der Bücher Esther und Daniel,
welche ma» wohl »och nicht für so heilig hielt, um sie einer sorgfäliigeren Be¬
handlung zu würdige». Selbst die Propheten sind meist nur mäßig übersetzt,
namentlich der wichtigste von allen, Jesaias. Besser ist im Ganzen die Ueber-
seizung der geschichtlichen Bücher. Nur von einem einzigen dieser Uebersetzer
wissen wir etwas Näheres, nämlich dem des Sirachbuchcs, welcher sich in einer
Borrede selbst als Enkel des Verfassers bezeichnet und seine Zeit so angiebt,
daß wir sie ungefähr ins Jak'r 120 v. Chr. setzen müssen. Das Buch Esther
ist nach der leider nicht ganz klaren Unterschrift wahrscheinlich erst gegen cas
Ende dieses Jahrhunderts übertragen. In noch spätere Zeit führt uns die
Uebersetzung des ersten Mattabäerbuches und gar des Buches Henoch. Da in
Alexandria kein wesentlicher Unterschied zwischen apokiyphen und kanonischen
Büchern gemacht ward, so dürfen wir sie bei dieser Uebersetzungsliteratur nicht
trennen. Dieselbe hat sich mithin auf wenigstens zwei volle Jahrhunderte er¬
streckt. Dieser große Zeitraum würde allein schon die bedeutenden inneren Ver¬
schiedenheiten erklären.

Mit Ausnahme der Pentateuchst'bersetzung baden wir in ihnen allen nur
Privatunternehmungen zu sehen. Dies ergiebt sich für manche schon aus der
geringen Sorgfalt, mit der sie gemacht sind. Für viele Schriften stand damals
ja das kanonische Ansehen noch gar nicht fest und ihre etwas leichtfertige Be¬
handlung erschien deshalb nicht so schlimm. Bei dem raschen Verschwinden der
alten Sprache ans dem wirklichen Gebrauch, ohne daß ein Versuch gemacht
wäre, ihre Kenntniß durch wissenschaftliche Sprachstudien zu ersetzen, konnte
allerdings eine einigermaßen befriedigende Uebersetzung der älteren put schen
Schriften kaum mehr gelingen. An grammatischem Sinne fehlte es durchweg
und den meisten Uebersetzern kommt es gar nicht darauf an, die deutlichsten
grammatischen Formen mit einander zu verwechseln. Daß jedoch so junge Bücher
wie Esther und Daniel damals noch genau hätten übersetzt werden können,
leidet keinen Zweifel. Aber es ist allerdings bezeichnend für die damalige ge-
ringe Kenntniß des Hebräischen in Alexandria, daß so schlechte Arbeiten allgemein
angenommen wurden.

Einzelne Br-eher sind mehrmals übersetzt. Das sogenannte dritte Buch
Esra ist wenigstens eine Uebersetzung ausgewählter Stücke aus der Chronik und
dem Buche Esra, welche von den sonstigen Übersetzungen dieser Bücher unab¬
hängig ist.

, Die Texte, nach denen diese Uebersetzungen gemacht sind, weichen von dem
später recipirten mehr oder weniger ab. Sehr groß ist der Unterschied nur bei


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[0151] Ziel in keiner Weise erreicht. Dazu genügte schon seine Sprachkenntniß keines¬ wegs. Wie frei er verfuhr, erteilt daraus, daß er ganze Stellen einfach wegließ, wenn sie ihm zu schwierig waren. Auch andere Bücher sind sehr frei übersetzt. Reine Willkür herrscht in den Uebersetzungen der Bücher Esther und Daniel, welche ma» wohl »och nicht für so heilig hielt, um sie einer sorgfäliigeren Be¬ handlung zu würdige». Selbst die Propheten sind meist nur mäßig übersetzt, namentlich der wichtigste von allen, Jesaias. Besser ist im Ganzen die Ueber- seizung der geschichtlichen Bücher. Nur von einem einzigen dieser Uebersetzer wissen wir etwas Näheres, nämlich dem des Sirachbuchcs, welcher sich in einer Borrede selbst als Enkel des Verfassers bezeichnet und seine Zeit so angiebt, daß wir sie ungefähr ins Jak'r 120 v. Chr. setzen müssen. Das Buch Esther ist nach der leider nicht ganz klaren Unterschrift wahrscheinlich erst gegen cas Ende dieses Jahrhunderts übertragen. In noch spätere Zeit führt uns die Uebersetzung des ersten Mattabäerbuches und gar des Buches Henoch. Da in Alexandria kein wesentlicher Unterschied zwischen apokiyphen und kanonischen Büchern gemacht ward, so dürfen wir sie bei dieser Uebersetzungsliteratur nicht trennen. Dieselbe hat sich mithin auf wenigstens zwei volle Jahrhunderte er¬ streckt. Dieser große Zeitraum würde allein schon die bedeutenden inneren Ver¬ schiedenheiten erklären. Mit Ausnahme der Pentateuchst'bersetzung baden wir in ihnen allen nur Privatunternehmungen zu sehen. Dies ergiebt sich für manche schon aus der geringen Sorgfalt, mit der sie gemacht sind. Für viele Schriften stand damals ja das kanonische Ansehen noch gar nicht fest und ihre etwas leichtfertige Be¬ handlung erschien deshalb nicht so schlimm. Bei dem raschen Verschwinden der alten Sprache ans dem wirklichen Gebrauch, ohne daß ein Versuch gemacht wäre, ihre Kenntniß durch wissenschaftliche Sprachstudien zu ersetzen, konnte allerdings eine einigermaßen befriedigende Uebersetzung der älteren put schen Schriften kaum mehr gelingen. An grammatischem Sinne fehlte es durchweg und den meisten Uebersetzern kommt es gar nicht darauf an, die deutlichsten grammatischen Formen mit einander zu verwechseln. Daß jedoch so junge Bücher wie Esther und Daniel damals noch genau hätten übersetzt werden können, leidet keinen Zweifel. Aber es ist allerdings bezeichnend für die damalige ge- ringe Kenntniß des Hebräischen in Alexandria, daß so schlechte Arbeiten allgemein angenommen wurden. Einzelne Br-eher sind mehrmals übersetzt. Das sogenannte dritte Buch Esra ist wenigstens eine Uebersetzung ausgewählter Stücke aus der Chronik und dem Buche Esra, welche von den sonstigen Übersetzungen dieser Bücher unab¬ hängig ist. , Die Texte, nach denen diese Uebersetzungen gemacht sind, weichen von dem später recipirten mehr oder weniger ab. Sehr groß ist der Unterschied nur bei 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/151>, abgerufen am 24.08.2024.