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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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fische Montbaillard in der Ecke zwischen Lothringen. Hochburgund und dem
Elsaß regierte. Erst als 1593 der Herzog Ludwig von der Hauptlinie ohne
Erben starb, gelangte dieser Vetter Friedrich, damals schon ein Mann von
36 Jahren, zum Besitz des eigentlichen deutschen Stammlandes. Früher hatte
er es nur in der damals üblichen Weise als Student auf der Landesuniversität
Tübingen und auf kurzen Gelegenheitsvisiten bei dem Haupte des fürstlichen
Hauses kennen gelernt. Das Bedenken der beiden Schwaben war daher ganz
gerechtfertigt, daß er von jener indefiniblen Eigenart seiner Unterthanen nicht
so, wie sie es zu fordern ein Recht hatten, schon mit der Muttermilch durch¬
tränkt sei, daß er namentlich Leuten, die als außerhalb der Landcsgrenzen ge¬
boren, Ausländer und deshalb schlechtweg nicht in der geistigen Verfassung
waren, sich in die Schwabcnart zu schicken, sein Vertrauen auch fortan schenken
werde, weil er ihre Treue und ihren Verstand während eines Menschenalters
erprobt hatte. Denn jenes berühmte "Du hast für unser Volk kein Herz, weil
Du kein Schwabe bist" galt schon damals am Neckar als Dogma, nur kümmerte
man sich höchsten Orts damals so wenig wie später darum, außer wenn es
grade paßte.

So blieb Herzog Friedrich fortwährend von einer Anzahl gebildeter Fran¬
zosen und Halbfranzosen umgeben, wie er denn auch den Blick für das, was
jenseits der Landesgrenze vor sich ging, ein für allemal auf jener Grenzwarte
großer Völker und Reiche sich geschärft hatte. Er verlor die große Politik nie
aus den Augen, obgleich er es nie zu einem wirklich nachhaltigen Eingreifen
in dieselbe, wie etwa sein Grcnznachbar, der Pfalzgraf Casimir, brachte. Wäre
er wie dieser calvinistisch gewesen und hätte er nicht infolge eigenthümlicher
Verhältnisse immer eine besondere Rücksicht auf das Haus Oestreich nehmen
müssen, so würde er wahrscheinlich über bloßes Ncgociiren und Projecte zu
Bündnissen etwas weiter hinaus zu wirklichem Thun gelangt sein, wozu er in
jeder Art gerüstet war. Ohnehin hatten ihn seine geborenen Gcwisscnswäcbter,
ein Jakob Andreä, Lucas Osiander, Johann Magirus immer in dem Verdacht
von kryptocalvinistischcr Gesinnung. Was dies in einem erz- und stocklutherischen
Lande damals besagen wollte, ist bekannt. ES war das einzige Verbrechen,
das einen Fürsten in den Augen der Unterthanen des Thrones unwürdig machte
und gelegentlich auch den Thron löste" konnte. Bei Herzog Friedrich lag der
Verdacht nicht so ferne, weil er von früher her in intimen Verkehr mit der
ganzen französischen calvinistischen baute voI6s stand und bei verschiedenen
Vorfällen, z, B. als es sich darum handelte, ob die calvinistischen Exulanten in
Mömpelgard freie Religionsübung haben sollten, etwas tolerantere Gesinnungen
kundgegeben hatte, als es für einen Unterzeichner der Concordienformel ziemte.
Doch sei sogleich zugefügt, daß er bei dieser und anderer Gelegenheit jedem
Conflict mit der lutherischen Klerisey vorsichtig aus dem Wege ging und über-


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fische Montbaillard in der Ecke zwischen Lothringen. Hochburgund und dem
Elsaß regierte. Erst als 1593 der Herzog Ludwig von der Hauptlinie ohne
Erben starb, gelangte dieser Vetter Friedrich, damals schon ein Mann von
36 Jahren, zum Besitz des eigentlichen deutschen Stammlandes. Früher hatte
er es nur in der damals üblichen Weise als Student auf der Landesuniversität
Tübingen und auf kurzen Gelegenheitsvisiten bei dem Haupte des fürstlichen
Hauses kennen gelernt. Das Bedenken der beiden Schwaben war daher ganz
gerechtfertigt, daß er von jener indefiniblen Eigenart seiner Unterthanen nicht
so, wie sie es zu fordern ein Recht hatten, schon mit der Muttermilch durch¬
tränkt sei, daß er namentlich Leuten, die als außerhalb der Landcsgrenzen ge¬
boren, Ausländer und deshalb schlechtweg nicht in der geistigen Verfassung
waren, sich in die Schwabcnart zu schicken, sein Vertrauen auch fortan schenken
werde, weil er ihre Treue und ihren Verstand während eines Menschenalters
erprobt hatte. Denn jenes berühmte „Du hast für unser Volk kein Herz, weil
Du kein Schwabe bist" galt schon damals am Neckar als Dogma, nur kümmerte
man sich höchsten Orts damals so wenig wie später darum, außer wenn es
grade paßte.

So blieb Herzog Friedrich fortwährend von einer Anzahl gebildeter Fran¬
zosen und Halbfranzosen umgeben, wie er denn auch den Blick für das, was
jenseits der Landesgrenze vor sich ging, ein für allemal auf jener Grenzwarte
großer Völker und Reiche sich geschärft hatte. Er verlor die große Politik nie
aus den Augen, obgleich er es nie zu einem wirklich nachhaltigen Eingreifen
in dieselbe, wie etwa sein Grcnznachbar, der Pfalzgraf Casimir, brachte. Wäre
er wie dieser calvinistisch gewesen und hätte er nicht infolge eigenthümlicher
Verhältnisse immer eine besondere Rücksicht auf das Haus Oestreich nehmen
müssen, so würde er wahrscheinlich über bloßes Ncgociiren und Projecte zu
Bündnissen etwas weiter hinaus zu wirklichem Thun gelangt sein, wozu er in
jeder Art gerüstet war. Ohnehin hatten ihn seine geborenen Gcwisscnswäcbter,
ein Jakob Andreä, Lucas Osiander, Johann Magirus immer in dem Verdacht
von kryptocalvinistischcr Gesinnung. Was dies in einem erz- und stocklutherischen
Lande damals besagen wollte, ist bekannt. ES war das einzige Verbrechen,
das einen Fürsten in den Augen der Unterthanen des Thrones unwürdig machte
und gelegentlich auch den Thron löste» konnte. Bei Herzog Friedrich lag der
Verdacht nicht so ferne, weil er von früher her in intimen Verkehr mit der
ganzen französischen calvinistischen baute voI6s stand und bei verschiedenen
Vorfällen, z, B. als es sich darum handelte, ob die calvinistischen Exulanten in
Mömpelgard freie Religionsübung haben sollten, etwas tolerantere Gesinnungen
kundgegeben hatte, als es für einen Unterzeichner der Concordienformel ziemte.
Doch sei sogleich zugefügt, daß er bei dieser und anderer Gelegenheit jedem
Conflict mit der lutherischen Klerisey vorsichtig aus dem Wege ging und über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/15>, abgerufen am 22.07.2024.