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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Wächter ihrer Seckel besaßen. Daher denn dos unaufhörliche Sollicitiren bei
der Landschaft und die ebenso unaufhörlichen Remonstrationen derselben. Hoch,
fleus tropfenweise ließen sich "getreue Stände" einmal etwas auspressen, in
den sehnlichst gewünschten regulären Fluß wollte diese Geldquelle niemals
kommen und sie durch einen Gewaltstreich nach eigenem Bedürfniß ,zu reguliren,
dazu war man nicht zu gewissenhaft, aber zu ängstlich, zu phlegmatisch und zu
ungeschickt. --

Unser Herzog Friedrich von Würtemberg trägt alle Hauptzüge dieses
wahrheitsgetreuer Porträts deutscher Durchschnittssürstcn seiner Zeit, aber die
bedenklichen darin sind weniger auffallend als bei den meisten und die erfreu¬
licheren stärker herausgearbeitet. Schon sein Aeußeres, wie es in guten und
schlechten Bildern aller Art auf uns gekommen ist. vergegenwärtigt den wohl¬
bekannten Typus der Zeit, aber in einer ansprechenden Individualisirung. Auch
er gehört zu jenen fleischigen derben Gestalten mit breitem Nacken und statt¬
lichem Haupte, an denen das damalige Deutschland so unendlich reich gewesen
sein muß. Wenigstens sind alle die unzähligen Fürsten, Ritter, Räthe, Pastoren.
Bürgermeister, Rathsherren, Schoßer und Vögte, deren Bildnisse entweder die
Plastik oder die Malerei oder der Kupferstich erhalten hat, alle nach einem
Modell geformt, dem von der rein anatomischen Seite beurtheilt nichts vorzu¬
werfen ist. Auch Herzog Friedrich zeigt wie alle Gesichter der Zeit jene wun¬
derlich emporgezogenem Augenbrauen, für deren Verständniß wir von jeher keine
andere Erklärung gewußt haben, als daß sie durch den einzigen Gegenstand ab-
stracten Denkens, mit welchem sich ihre Besitzer beschäftigen und zu Gottes
Ehre rechtschaffen abzumühen wußten, durch die Tüfteleien über die Ubiquität,
die Gnadenwahl und die Adiaphora aus ihrer natürlichen Nichte gekommen und
wie die Formeln des Dogmas zu einer Fratze erstarrt sind. Augen und Mund
sind die gewöhnlichen der Zeit, aber die Nase ist nicht die des gewohnheits¬
mäßigen Zechers, der wir sonst überall begegnen, sondern die eines zwar sinn¬
lich gearteten, aber doch dabei von höherer Cultur berührten Mannes, Der
Bart weist auch sofort darauf hin. woher diese Cultur stammt. Er ist nämlich
schon in den früheren Abbildungen des Fürsten nach der neuesten französischen
Mode der Zeit als Knebelbart zugestutzt, wie er seit Heinrich des Dritten Zeit
am Hofe zu Se. Cloud getragen wurde, und nicht mehr jener stattliche Vollbart,
der sonst noch in Deutschland eines bei den meisten fürstlichen Herren Mode
war, wie seit den Tcigen Franz des Ersten von Frankreich.

Französische Cultur war es, die den Herzog Friedrich gleichsam als seine
natürliche Landesart erfaßt hatte, während sie bei den anderen deutschen Fürsten
und an anderen Höfen nur als ein importirtcs Gewächs auftrat. Denn er
gehörte jener Seitenlinie des würtembergischen Hauses an, die damals seit
beinahe hundert^Jahren die Grafschaft Mömpelgard, das überwiegend franzö-


Wächter ihrer Seckel besaßen. Daher denn dos unaufhörliche Sollicitiren bei
der Landschaft und die ebenso unaufhörlichen Remonstrationen derselben. Hoch,
fleus tropfenweise ließen sich „getreue Stände" einmal etwas auspressen, in
den sehnlichst gewünschten regulären Fluß wollte diese Geldquelle niemals
kommen und sie durch einen Gewaltstreich nach eigenem Bedürfniß ,zu reguliren,
dazu war man nicht zu gewissenhaft, aber zu ängstlich, zu phlegmatisch und zu
ungeschickt. —

Unser Herzog Friedrich von Würtemberg trägt alle Hauptzüge dieses
wahrheitsgetreuer Porträts deutscher Durchschnittssürstcn seiner Zeit, aber die
bedenklichen darin sind weniger auffallend als bei den meisten und die erfreu¬
licheren stärker herausgearbeitet. Schon sein Aeußeres, wie es in guten und
schlechten Bildern aller Art auf uns gekommen ist. vergegenwärtigt den wohl¬
bekannten Typus der Zeit, aber in einer ansprechenden Individualisirung. Auch
er gehört zu jenen fleischigen derben Gestalten mit breitem Nacken und statt¬
lichem Haupte, an denen das damalige Deutschland so unendlich reich gewesen
sein muß. Wenigstens sind alle die unzähligen Fürsten, Ritter, Räthe, Pastoren.
Bürgermeister, Rathsherren, Schoßer und Vögte, deren Bildnisse entweder die
Plastik oder die Malerei oder der Kupferstich erhalten hat, alle nach einem
Modell geformt, dem von der rein anatomischen Seite beurtheilt nichts vorzu¬
werfen ist. Auch Herzog Friedrich zeigt wie alle Gesichter der Zeit jene wun¬
derlich emporgezogenem Augenbrauen, für deren Verständniß wir von jeher keine
andere Erklärung gewußt haben, als daß sie durch den einzigen Gegenstand ab-
stracten Denkens, mit welchem sich ihre Besitzer beschäftigen und zu Gottes
Ehre rechtschaffen abzumühen wußten, durch die Tüfteleien über die Ubiquität,
die Gnadenwahl und die Adiaphora aus ihrer natürlichen Nichte gekommen und
wie die Formeln des Dogmas zu einer Fratze erstarrt sind. Augen und Mund
sind die gewöhnlichen der Zeit, aber die Nase ist nicht die des gewohnheits¬
mäßigen Zechers, der wir sonst überall begegnen, sondern die eines zwar sinn¬
lich gearteten, aber doch dabei von höherer Cultur berührten Mannes, Der
Bart weist auch sofort darauf hin. woher diese Cultur stammt. Er ist nämlich
schon in den früheren Abbildungen des Fürsten nach der neuesten französischen
Mode der Zeit als Knebelbart zugestutzt, wie er seit Heinrich des Dritten Zeit
am Hofe zu Se. Cloud getragen wurde, und nicht mehr jener stattliche Vollbart,
der sonst noch in Deutschland eines bei den meisten fürstlichen Herren Mode
war, wie seit den Tcigen Franz des Ersten von Frankreich.

Französische Cultur war es, die den Herzog Friedrich gleichsam als seine
natürliche Landesart erfaßt hatte, während sie bei den anderen deutschen Fürsten
und an anderen Höfen nur als ein importirtcs Gewächs auftrat. Denn er
gehörte jener Seitenlinie des würtembergischen Hauses an, die damals seit
beinahe hundert^Jahren die Grafschaft Mömpelgard, das überwiegend franzö-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/14>, abgerufen am 22.07.2024.