Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Am 18, Februar bei Eröffnung des Landtags verlas der Statthalter das
ministerielle Communique der k. k. Entschließung betreffs Auslassung des "außer¬
ordentlichen " und Berufung des "verfassungsmäßigen" Rciehsraths. Vorher
hielt der neue Landeshauptmann nach Bestätigung seimr Wahl zum Abgeord¬
nete" und Ab!egung des Handgelübdes seine Antrittsrede. Er betonte darin,
daß ihm schon früher das Vertrauen von 207 Gemeinden entgegengekommen,
die ihn (als Held der Glaubenseinheit) zum Ehrenbürger ernannt, und glaubte
auch unter allen Abgeordneten keinen Feind zu habe!,, weil er der Freund aller
sei. Wie er dies meinte, sollte sich bald zeigen. Vor der zweiten Sitzung
übergab Professor Wildaucr eine Jnterpellation, ob die Ncgieuuig das neue
Wehrgesetz für Tirol bis auf Weiteres zu beseitigen denke, da eine Abänderung
des gegenwärtigen erst durch den Reichsrath erfolgen könne. Der Landeshaupt¬
mann veNveigcitc deren Bckanmgcbung angeblich wegen Abwesenheit des Statt¬
halters, dem das Recht sofortiger Beantwortung zustehe, verlas sie aber, obschon
der Staathalter wieder wegblieb, Tags nachher zugleich mit einem Antrage der
Klerikalen, der vielmehr Sistirung jenes Gesetzes anstrebte. Auffallend genug
war dieser von ihm selbst geschrieben und in solcher Eile verfaßt, daß er das
Datum vom 18. December 1866 trug, um welche Zeit das neue Wehrgcsctz
noch gar nicht erschienen war. Alle Welt merkte die Absicht, den Liberalen mit
diesem Antrage zuvorzukommen, nur der Landeshauptmann setzte sich darüber
hinweg. Mit de>selber Gewandtheit handhabte er auch die Geschäftsordnung.
Schien ihm abweichende Manipulation für seinen Zweck entsprechender, so ließ
er über seine "Auslegung", wie er das nannte, aller Einsprache ungeachtet ab¬
stimmen -- eine Praxis, die, weiter ausgebildet, hübsche Erfolge verspricht.

In der Sitzung vom 27. Februar stellten 14 Liberale eine Jnterpellation
an die Regierung, ob der schon erwähnte Erlaß an die Beamten betreffs ihrer
Stimmgebung bei den Landtagswahlen wirklich bestehe und wie sich eine solche
Beeinflussung gegenüber der Landtagewahlordnung, die es jedem Wähler zur
Pflicht mache, nach eigener Ueberzeugung zu stimmen, rechtfertigen lasse? Der
Statthalter erklärte darauf sichtlich ergriffen: die angeregten Erlasse seien in die
O.ffentlichkeit gelangt, die Regierung mache kein Hehl daraus; sie sei sich be¬
wußt in ihrem vollen Rechte und redlich gehandelt zu haben sowohl gegen die
Beamten als gegen die anderen Wähler; sie hätten eben erfahren, woran sie
seien. Indem das Gesetz die Beamten wahlberechtigt gemacht, habe sie die¬
selben von den Pflichten ihrer dienstlichen Stellung nicht entbunden, kein Wort
sei aus ihrem Diensteid gestrichen. Mit der Wahlordnung sehe er keine Kolli¬
sion: der Beamte sei nicht verpflichtet zur Wahl zu gehen, fühle er in seiner
Brust einen Pfliehtcncvnflict, so werde er von der Urne fern bleiben, stehe ihm
aber sein politisches Recht höher, nun so möge er sich der dienstlichen Bande
entledigen. In dieser Nöthigung erblicke er keine Demüthigung. Demüthigend


Am 18, Februar bei Eröffnung des Landtags verlas der Statthalter das
ministerielle Communique der k. k. Entschließung betreffs Auslassung des „außer¬
ordentlichen " und Berufung des „verfassungsmäßigen" Rciehsraths. Vorher
hielt der neue Landeshauptmann nach Bestätigung seimr Wahl zum Abgeord¬
nete» und Ab!egung des Handgelübdes seine Antrittsrede. Er betonte darin,
daß ihm schon früher das Vertrauen von 207 Gemeinden entgegengekommen,
die ihn (als Held der Glaubenseinheit) zum Ehrenbürger ernannt, und glaubte
auch unter allen Abgeordneten keinen Feind zu habe!,, weil er der Freund aller
sei. Wie er dies meinte, sollte sich bald zeigen. Vor der zweiten Sitzung
übergab Professor Wildaucr eine Jnterpellation, ob die Ncgieuuig das neue
Wehrgesetz für Tirol bis auf Weiteres zu beseitigen denke, da eine Abänderung
des gegenwärtigen erst durch den Reichsrath erfolgen könne. Der Landeshaupt¬
mann veNveigcitc deren Bckanmgcbung angeblich wegen Abwesenheit des Statt¬
halters, dem das Recht sofortiger Beantwortung zustehe, verlas sie aber, obschon
der Staathalter wieder wegblieb, Tags nachher zugleich mit einem Antrage der
Klerikalen, der vielmehr Sistirung jenes Gesetzes anstrebte. Auffallend genug
war dieser von ihm selbst geschrieben und in solcher Eile verfaßt, daß er das
Datum vom 18. December 1866 trug, um welche Zeit das neue Wehrgcsctz
noch gar nicht erschienen war. Alle Welt merkte die Absicht, den Liberalen mit
diesem Antrage zuvorzukommen, nur der Landeshauptmann setzte sich darüber
hinweg. Mit de>selber Gewandtheit handhabte er auch die Geschäftsordnung.
Schien ihm abweichende Manipulation für seinen Zweck entsprechender, so ließ
er über seine „Auslegung", wie er das nannte, aller Einsprache ungeachtet ab¬
stimmen — eine Praxis, die, weiter ausgebildet, hübsche Erfolge verspricht.

In der Sitzung vom 27. Februar stellten 14 Liberale eine Jnterpellation
an die Regierung, ob der schon erwähnte Erlaß an die Beamten betreffs ihrer
Stimmgebung bei den Landtagswahlen wirklich bestehe und wie sich eine solche
Beeinflussung gegenüber der Landtagewahlordnung, die es jedem Wähler zur
Pflicht mache, nach eigener Ueberzeugung zu stimmen, rechtfertigen lasse? Der
Statthalter erklärte darauf sichtlich ergriffen: die angeregten Erlasse seien in die
O.ffentlichkeit gelangt, die Regierung mache kein Hehl daraus; sie sei sich be¬
wußt in ihrem vollen Rechte und redlich gehandelt zu haben sowohl gegen die
Beamten als gegen die anderen Wähler; sie hätten eben erfahren, woran sie
seien. Indem das Gesetz die Beamten wahlberechtigt gemacht, habe sie die¬
selben von den Pflichten ihrer dienstlichen Stellung nicht entbunden, kein Wort
sei aus ihrem Diensteid gestrichen. Mit der Wahlordnung sehe er keine Kolli¬
sion: der Beamte sei nicht verpflichtet zur Wahl zu gehen, fühle er in seiner
Brust einen Pfliehtcncvnflict, so werde er von der Urne fern bleiben, stehe ihm
aber sein politisches Recht höher, nun so möge er sich der dienstlichen Bande
entledigen. In dieser Nöthigung erblicke er keine Demüthigung. Demüthigend


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190836"/>
          <p xml:id="ID_430"> Am 18, Februar bei Eröffnung des Landtags verlas der Statthalter das<lb/>
ministerielle Communique der k. k. Entschließung betreffs Auslassung des &#x201E;außer¬<lb/>
ordentlichen " und Berufung des &#x201E;verfassungsmäßigen" Rciehsraths. Vorher<lb/>
hielt der neue Landeshauptmann nach Bestätigung seimr Wahl zum Abgeord¬<lb/>
nete» und Ab!egung des Handgelübdes seine Antrittsrede. Er betonte darin,<lb/>
daß ihm schon früher das Vertrauen von 207 Gemeinden entgegengekommen,<lb/>
die ihn (als Held der Glaubenseinheit) zum Ehrenbürger ernannt, und glaubte<lb/>
auch unter allen Abgeordneten keinen Feind zu habe!,, weil er der Freund aller<lb/>
sei. Wie er dies meinte, sollte sich bald zeigen. Vor der zweiten Sitzung<lb/>
übergab Professor Wildaucr eine Jnterpellation, ob die Ncgieuuig das neue<lb/>
Wehrgesetz für Tirol bis auf Weiteres zu beseitigen denke, da eine Abänderung<lb/>
des gegenwärtigen erst durch den Reichsrath erfolgen könne. Der Landeshaupt¬<lb/>
mann veNveigcitc deren Bckanmgcbung angeblich wegen Abwesenheit des Statt¬<lb/>
halters, dem das Recht sofortiger Beantwortung zustehe, verlas sie aber, obschon<lb/>
der Staathalter wieder wegblieb, Tags nachher zugleich mit einem Antrage der<lb/>
Klerikalen, der vielmehr Sistirung jenes Gesetzes anstrebte. Auffallend genug<lb/>
war dieser von ihm selbst geschrieben und in solcher Eile verfaßt, daß er das<lb/>
Datum vom 18. December 1866 trug, um welche Zeit das neue Wehrgcsctz<lb/>
noch gar nicht erschienen war. Alle Welt merkte die Absicht, den Liberalen mit<lb/>
diesem Antrage zuvorzukommen, nur der Landeshauptmann setzte sich darüber<lb/>
hinweg. Mit de&gt;selber Gewandtheit handhabte er auch die Geschäftsordnung.<lb/>
Schien ihm abweichende Manipulation für seinen Zweck entsprechender, so ließ<lb/>
er über seine &#x201E;Auslegung", wie er das nannte, aller Einsprache ungeachtet ab¬<lb/>
stimmen &#x2014; eine Praxis, die, weiter ausgebildet, hübsche Erfolge verspricht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_431" next="#ID_432"> In der Sitzung vom 27. Februar stellten 14 Liberale eine Jnterpellation<lb/>
an die Regierung, ob der schon erwähnte Erlaß an die Beamten betreffs ihrer<lb/>
Stimmgebung bei den Landtagswahlen wirklich bestehe und wie sich eine solche<lb/>
Beeinflussung gegenüber der Landtagewahlordnung, die es jedem Wähler zur<lb/>
Pflicht mache, nach eigener Ueberzeugung zu stimmen, rechtfertigen lasse? Der<lb/>
Statthalter erklärte darauf sichtlich ergriffen: die angeregten Erlasse seien in die<lb/>
O.ffentlichkeit gelangt, die Regierung mache kein Hehl daraus; sie sei sich be¬<lb/>
wußt in ihrem vollen Rechte und redlich gehandelt zu haben sowohl gegen die<lb/>
Beamten als gegen die anderen Wähler; sie hätten eben erfahren, woran sie<lb/>
seien. Indem das Gesetz die Beamten wahlberechtigt gemacht, habe sie die¬<lb/>
selben von den Pflichten ihrer dienstlichen Stellung nicht entbunden, kein Wort<lb/>
sei aus ihrem Diensteid gestrichen. Mit der Wahlordnung sehe er keine Kolli¬<lb/>
sion: der Beamte sei nicht verpflichtet zur Wahl zu gehen, fühle er in seiner<lb/>
Brust einen Pfliehtcncvnflict, so werde er von der Urne fern bleiben, stehe ihm<lb/>
aber sein politisches Recht höher, nun so möge er sich der dienstlichen Bande<lb/>
entledigen. In dieser Nöthigung erblicke er keine Demüthigung. Demüthigend</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0142] Am 18, Februar bei Eröffnung des Landtags verlas der Statthalter das ministerielle Communique der k. k. Entschließung betreffs Auslassung des „außer¬ ordentlichen " und Berufung des „verfassungsmäßigen" Rciehsraths. Vorher hielt der neue Landeshauptmann nach Bestätigung seimr Wahl zum Abgeord¬ nete» und Ab!egung des Handgelübdes seine Antrittsrede. Er betonte darin, daß ihm schon früher das Vertrauen von 207 Gemeinden entgegengekommen, die ihn (als Held der Glaubenseinheit) zum Ehrenbürger ernannt, und glaubte auch unter allen Abgeordneten keinen Feind zu habe!,, weil er der Freund aller sei. Wie er dies meinte, sollte sich bald zeigen. Vor der zweiten Sitzung übergab Professor Wildaucr eine Jnterpellation, ob die Ncgieuuig das neue Wehrgesetz für Tirol bis auf Weiteres zu beseitigen denke, da eine Abänderung des gegenwärtigen erst durch den Reichsrath erfolgen könne. Der Landeshaupt¬ mann veNveigcitc deren Bckanmgcbung angeblich wegen Abwesenheit des Statt¬ halters, dem das Recht sofortiger Beantwortung zustehe, verlas sie aber, obschon der Staathalter wieder wegblieb, Tags nachher zugleich mit einem Antrage der Klerikalen, der vielmehr Sistirung jenes Gesetzes anstrebte. Auffallend genug war dieser von ihm selbst geschrieben und in solcher Eile verfaßt, daß er das Datum vom 18. December 1866 trug, um welche Zeit das neue Wehrgcsctz noch gar nicht erschienen war. Alle Welt merkte die Absicht, den Liberalen mit diesem Antrage zuvorzukommen, nur der Landeshauptmann setzte sich darüber hinweg. Mit de>selber Gewandtheit handhabte er auch die Geschäftsordnung. Schien ihm abweichende Manipulation für seinen Zweck entsprechender, so ließ er über seine „Auslegung", wie er das nannte, aller Einsprache ungeachtet ab¬ stimmen — eine Praxis, die, weiter ausgebildet, hübsche Erfolge verspricht. In der Sitzung vom 27. Februar stellten 14 Liberale eine Jnterpellation an die Regierung, ob der schon erwähnte Erlaß an die Beamten betreffs ihrer Stimmgebung bei den Landtagswahlen wirklich bestehe und wie sich eine solche Beeinflussung gegenüber der Landtagewahlordnung, die es jedem Wähler zur Pflicht mache, nach eigener Ueberzeugung zu stimmen, rechtfertigen lasse? Der Statthalter erklärte darauf sichtlich ergriffen: die angeregten Erlasse seien in die O.ffentlichkeit gelangt, die Regierung mache kein Hehl daraus; sie sei sich be¬ wußt in ihrem vollen Rechte und redlich gehandelt zu haben sowohl gegen die Beamten als gegen die anderen Wähler; sie hätten eben erfahren, woran sie seien. Indem das Gesetz die Beamten wahlberechtigt gemacht, habe sie die¬ selben von den Pflichten ihrer dienstlichen Stellung nicht entbunden, kein Wort sei aus ihrem Diensteid gestrichen. Mit der Wahlordnung sehe er keine Kolli¬ sion: der Beamte sei nicht verpflichtet zur Wahl zu gehen, fühle er in seiner Brust einen Pfliehtcncvnflict, so werde er von der Urne fern bleiben, stehe ihm aber sein politisches Recht höher, nun so möge er sich der dienstlichen Bande entledigen. In dieser Nöthigung erblicke er keine Demüthigung. Demüthigend

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/142
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/142>, abgerufen am 22.07.2024.