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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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meneutik den Dichter selbst mit einem wahren Talent des Mißverstand auf
das unumwundenste und plumpste tadelt. Damit läugne -ich nicht seinen -ver¬
dienstlichen Fleiß i" Erwerbung und Zusammenstellung des actenmäßigcn Mate¬
rials für Goethes Leben und Wirten. Nur muß ich gestehen, daß der Gebrauch,
den Herr Düntzcr von dem erworbenen actenmaHige" Material macht, oft will-
kürlich und die Angabe der Actenmäßigkeit unzuverlässig ist.

Dieses Zeugniß will ich mit einem Beispiel belegen, welches ich wähle,
weil es der Zeit nach so alt ist, daß mein langes Schweigen darüber in all den
Jahren, in welchen Herr Düntzer nicht aufgehört hat, Jnvectiven gegen mich
loszulassen, wohl erkennen läßt, daß ich nicht "gereizt schreibe"; sodann darum,
weil es ganz heiterer Natur ist.

In Düntzers Ausgabe des brieflichen Nachlasses von Herder im ersten
Bande (vom Jahre 1866) S. 38 enthält Goethes Brief an Herder griechische
Worte aus Pindar. In einer Anmerkung dazu theilt,Herr DünHer eine deutsche
metrische Uebersetzung davon als von Goethe herrührend mit. Dies ist nur
seine unrichtige Vermuthung, die ich am wenigsten übel zu nehmen hätte, da
diese dem großen Dichter zugeschriebene Verdeutschung von mir ist. Ich hatte
zwölf Jahre, bevor sie in Düntzers Hände'kamen, Goethes Briefe an Herder
lange Zeit in -der Abschrift im Hause, welche Herders Enkel, der Geheime
Staatsrath Stichling, sich hatte fertigen lassen, und in dieses Exemplar schrieb
ich damals diese deutsche Uebersetzung der von Goethe angezogenen pindarischen
Sätze, wie Freund Stichling bezeugen kann, auch Geibel sich wohl noch-erinnern
wird, der 1844 die Briefe bei mir sah und an den Versen ("LernVolk ist vor¬
laut" u. s. w.) lebhaftes Vergnügen hatte. Ohne Stichlings Wissen ist. wie
jener ganze Nachlaß, so denn auch die Abschrift dieses Exemplars und meiner
Note dem Buchhändler überliefert worden; denn die Uebersetzung, wie sie der
Druck wiedergiebt, ist wörtlich die meinige, nur in schlechter Versabtheilung
abgesetzt. Hätte nun Herr Düntzer angemerkt: das Manuscript hat -unter dem
Text folgende anonyme Uebersetzung, von der ich vermuthe, daß Goethe sie -ge¬
macht; so wäre das wohl kein Zeichen einer feinen Kenntniß goethescher Ueber"
lragungsweise gewesen, aber seiner actenmäßigen Wahrhaftigkeit hätte es nichts
vergeben. Nun sagt aber seine Anmerkung: "Nach einer Angabe >im
- Riemers Nachlaß soll Goethe in einem in diesem Jahr an Herder
gerichteten Brief die betreffenden Stellen also übersetzt haben:"
Diese Angabe enthält eine Unmöglichkeit. Daß Goethe in einem 1772 geschrie¬
benen Brief Pindarische Verse mit Beobachtung des Metrums wiederzugeben
gesucht, wird kein Kenner des damaligen Formengcbrauchs deutscher Poesie und
gvetheschen Versbaus glauben, würde auch Riemer nicht angenommen haben.
Aber Riemer hat jenes Manuscript und meine Verdeutschung Pindars nie ge¬
sehen, konnte also weder etwas Richtiges noch Unrichtiges darüber sagen. Folg'


meneutik den Dichter selbst mit einem wahren Talent des Mißverstand auf
das unumwundenste und plumpste tadelt. Damit läugne -ich nicht seinen -ver¬
dienstlichen Fleiß i» Erwerbung und Zusammenstellung des actenmäßigcn Mate¬
rials für Goethes Leben und Wirten. Nur muß ich gestehen, daß der Gebrauch,
den Herr Düntzcr von dem erworbenen actenmaHige» Material macht, oft will-
kürlich und die Angabe der Actenmäßigkeit unzuverlässig ist.

Dieses Zeugniß will ich mit einem Beispiel belegen, welches ich wähle,
weil es der Zeit nach so alt ist, daß mein langes Schweigen darüber in all den
Jahren, in welchen Herr Düntzer nicht aufgehört hat, Jnvectiven gegen mich
loszulassen, wohl erkennen läßt, daß ich nicht „gereizt schreibe"; sodann darum,
weil es ganz heiterer Natur ist.

In Düntzers Ausgabe des brieflichen Nachlasses von Herder im ersten
Bande (vom Jahre 1866) S. 38 enthält Goethes Brief an Herder griechische
Worte aus Pindar. In einer Anmerkung dazu theilt,Herr DünHer eine deutsche
metrische Uebersetzung davon als von Goethe herrührend mit. Dies ist nur
seine unrichtige Vermuthung, die ich am wenigsten übel zu nehmen hätte, da
diese dem großen Dichter zugeschriebene Verdeutschung von mir ist. Ich hatte
zwölf Jahre, bevor sie in Düntzers Hände'kamen, Goethes Briefe an Herder
lange Zeit in -der Abschrift im Hause, welche Herders Enkel, der Geheime
Staatsrath Stichling, sich hatte fertigen lassen, und in dieses Exemplar schrieb
ich damals diese deutsche Uebersetzung der von Goethe angezogenen pindarischen
Sätze, wie Freund Stichling bezeugen kann, auch Geibel sich wohl noch-erinnern
wird, der 1844 die Briefe bei mir sah und an den Versen („LernVolk ist vor¬
laut" u. s. w.) lebhaftes Vergnügen hatte. Ohne Stichlings Wissen ist. wie
jener ganze Nachlaß, so denn auch die Abschrift dieses Exemplars und meiner
Note dem Buchhändler überliefert worden; denn die Uebersetzung, wie sie der
Druck wiedergiebt, ist wörtlich die meinige, nur in schlechter Versabtheilung
abgesetzt. Hätte nun Herr Düntzer angemerkt: das Manuscript hat -unter dem
Text folgende anonyme Uebersetzung, von der ich vermuthe, daß Goethe sie -ge¬
macht; so wäre das wohl kein Zeichen einer feinen Kenntniß goethescher Ueber«
lragungsweise gewesen, aber seiner actenmäßigen Wahrhaftigkeit hätte es nichts
vergeben. Nun sagt aber seine Anmerkung: „Nach einer Angabe >im
- Riemers Nachlaß soll Goethe in einem in diesem Jahr an Herder
gerichteten Brief die betreffenden Stellen also übersetzt haben:"
Diese Angabe enthält eine Unmöglichkeit. Daß Goethe in einem 1772 geschrie¬
benen Brief Pindarische Verse mit Beobachtung des Metrums wiederzugeben
gesucht, wird kein Kenner des damaligen Formengcbrauchs deutscher Poesie und
gvetheschen Versbaus glauben, würde auch Riemer nicht angenommen haben.
Aber Riemer hat jenes Manuscript und meine Verdeutschung Pindars nie ge¬
sehen, konnte also weder etwas Richtiges noch Unrichtiges darüber sagen. Folg'


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[0116] meneutik den Dichter selbst mit einem wahren Talent des Mißverstand auf das unumwundenste und plumpste tadelt. Damit läugne -ich nicht seinen -ver¬ dienstlichen Fleiß i» Erwerbung und Zusammenstellung des actenmäßigcn Mate¬ rials für Goethes Leben und Wirten. Nur muß ich gestehen, daß der Gebrauch, den Herr Düntzcr von dem erworbenen actenmaHige» Material macht, oft will- kürlich und die Angabe der Actenmäßigkeit unzuverlässig ist. Dieses Zeugniß will ich mit einem Beispiel belegen, welches ich wähle, weil es der Zeit nach so alt ist, daß mein langes Schweigen darüber in all den Jahren, in welchen Herr Düntzer nicht aufgehört hat, Jnvectiven gegen mich loszulassen, wohl erkennen läßt, daß ich nicht „gereizt schreibe"; sodann darum, weil es ganz heiterer Natur ist. In Düntzers Ausgabe des brieflichen Nachlasses von Herder im ersten Bande (vom Jahre 1866) S. 38 enthält Goethes Brief an Herder griechische Worte aus Pindar. In einer Anmerkung dazu theilt,Herr DünHer eine deutsche metrische Uebersetzung davon als von Goethe herrührend mit. Dies ist nur seine unrichtige Vermuthung, die ich am wenigsten übel zu nehmen hätte, da diese dem großen Dichter zugeschriebene Verdeutschung von mir ist. Ich hatte zwölf Jahre, bevor sie in Düntzers Hände'kamen, Goethes Briefe an Herder lange Zeit in -der Abschrift im Hause, welche Herders Enkel, der Geheime Staatsrath Stichling, sich hatte fertigen lassen, und in dieses Exemplar schrieb ich damals diese deutsche Uebersetzung der von Goethe angezogenen pindarischen Sätze, wie Freund Stichling bezeugen kann, auch Geibel sich wohl noch-erinnern wird, der 1844 die Briefe bei mir sah und an den Versen („LernVolk ist vor¬ laut" u. s. w.) lebhaftes Vergnügen hatte. Ohne Stichlings Wissen ist. wie jener ganze Nachlaß, so denn auch die Abschrift dieses Exemplars und meiner Note dem Buchhändler überliefert worden; denn die Uebersetzung, wie sie der Druck wiedergiebt, ist wörtlich die meinige, nur in schlechter Versabtheilung abgesetzt. Hätte nun Herr Düntzer angemerkt: das Manuscript hat -unter dem Text folgende anonyme Uebersetzung, von der ich vermuthe, daß Goethe sie -ge¬ macht; so wäre das wohl kein Zeichen einer feinen Kenntniß goethescher Ueber« lragungsweise gewesen, aber seiner actenmäßigen Wahrhaftigkeit hätte es nichts vergeben. Nun sagt aber seine Anmerkung: „Nach einer Angabe >im - Riemers Nachlaß soll Goethe in einem in diesem Jahr an Herder gerichteten Brief die betreffenden Stellen also übersetzt haben:" Diese Angabe enthält eine Unmöglichkeit. Daß Goethe in einem 1772 geschrie¬ benen Brief Pindarische Verse mit Beobachtung des Metrums wiederzugeben gesucht, wird kein Kenner des damaligen Formengcbrauchs deutscher Poesie und gvetheschen Versbaus glauben, würde auch Riemer nicht angenommen haben. Aber Riemer hat jenes Manuscript und meine Verdeutschung Pindars nie ge¬ sehen, konnte also weder etwas Richtiges noch Unrichtiges darüber sagen. Folg'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/116>, abgerufen am 22.07.2024.