Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

i" welchem über alles Mögliche ein strenges Urtheil gefällt wird. Beiläufig
bemerkt, es scheint, als sollten diese treisräthlichen Jahresberichte die in Waldeck
(ob aus Scheu vor den Kosten oder vor den Resultaten -- ?) durchaus
mangelnde Statistik ersetzen. Der Zweck würde alsdann jedenfalls nur sehr
ungenügend erreicht, besonders da nicht einmal eine einheitliche Norm beobachtet
wird und die Verfasser ihrer Phantasie nach Belieben die Zügel schießen lassen.
Der eine preist die vermeintliche Blüthe der Landwirths haft, der andere liebt
es, die sittlichen Zustände in den düstersten Tinten zu schildern, das harmlose
Völkchen aber findet es ganz natürlich, wenn der Maler in seinem eigensten
Lebenselemente so meisterhaft den Pinsel zu führen versteht.

Kein Zweifel also, unsere reformatorische Gesetzgebung, Kreisordnung, Ge¬
meindeordnung u> s. w., so vollendet sie uns die Form des Selsgovernments
gegeben haben mag, in der Sache beließ sie dennoch die Vielregierei, den
allbevormundeten Polizeistaat. Das waldectsche Beamtenthum ist noch heute
eine büreaukratische Kaste, gegen welche die übrige Bevölkerung äußerlich scheue
Ehrerbietung zeigt, innerlich aber ein unausrottbares Mißtrauen empfindet.
Nirgends ist einer solchen Stimmung reislichere Nahrung geboten als in den
unvermeidlichen Verhältnissen eines Zwergstaats. Der ganze Beamtenstand ist
in sich veischwistert und verschwägert, was Wunder, daß das Volk argwöhnt,
die Mitglieder desselben werden gegen einander die Gesetze nicht mit gleicher
Sttenge und Gewissenhaftigkeit handhaben als gegen andere? Man braucht
diese Zweifel nicht zu theilen, so viel aber läßt sich nickt läugnen: es sind der
schreiendsten Uebelstände auch in diesem Gebiete genug vorhanden, nur daß sie
bei dem ganzen patriarchalisch - gemüthlichen Wesen unseres Staatslebens nicht
allzu stechend in die Augen falle". Ein bis ans Unglaubliche streifender Nepo-
tismus, die Zurdispvsitionstellung notousch unfähiger Männer, weil die eigent¬
lichen Pensionssätze zu gering sind, der nicht selten bemerkbare Versuch, sich
durch Reisediäten zu bereichern -- das und vieles andere sind Dinge, die i"
unserm unseligen Gesammtzustande ihre letzte Wurzel haben. --

Wir stehen am Ende unserer Darstellung und ziehen das Facit. Was wir
geschildert haben, waren vorzugsweise die Verhältnisse des eigentlichen Fürsten-
thums Waldeck. Das getrennt gelegene kleine Phrmont indeß, so sehr es mit
seinen socialen Zuständen auf ganz anderen und günstigeren Bedingungen be¬
ruht (auf nicht ganz 1"/" Quadratmeilen hat es 7,317 Einwohner), den Jn-
stituiionen des Staats gegenüber befindet es sich in derselben Lage, ja hat noch
seine besondern Beschwerden über Vernachlässigung des Bades, die Klage über
Fortdauer der Spulhölle u, s. w.

Ueberall demnach dieselben Seuizer, hervorgepreßt aus der Brust einer
armen Bevölkerung durch den Druck des eigenen Gemeinwesens. Eine unheilbare
Krankheit haftet an diesem kleinen Staatsorganismus: die einer unschönen und


i» welchem über alles Mögliche ein strenges Urtheil gefällt wird. Beiläufig
bemerkt, es scheint, als sollten diese treisräthlichen Jahresberichte die in Waldeck
(ob aus Scheu vor den Kosten oder vor den Resultaten — ?) durchaus
mangelnde Statistik ersetzen. Der Zweck würde alsdann jedenfalls nur sehr
ungenügend erreicht, besonders da nicht einmal eine einheitliche Norm beobachtet
wird und die Verfasser ihrer Phantasie nach Belieben die Zügel schießen lassen.
Der eine preist die vermeintliche Blüthe der Landwirths haft, der andere liebt
es, die sittlichen Zustände in den düstersten Tinten zu schildern, das harmlose
Völkchen aber findet es ganz natürlich, wenn der Maler in seinem eigensten
Lebenselemente so meisterhaft den Pinsel zu führen versteht.

Kein Zweifel also, unsere reformatorische Gesetzgebung, Kreisordnung, Ge¬
meindeordnung u> s. w., so vollendet sie uns die Form des Selsgovernments
gegeben haben mag, in der Sache beließ sie dennoch die Vielregierei, den
allbevormundeten Polizeistaat. Das waldectsche Beamtenthum ist noch heute
eine büreaukratische Kaste, gegen welche die übrige Bevölkerung äußerlich scheue
Ehrerbietung zeigt, innerlich aber ein unausrottbares Mißtrauen empfindet.
Nirgends ist einer solchen Stimmung reislichere Nahrung geboten als in den
unvermeidlichen Verhältnissen eines Zwergstaats. Der ganze Beamtenstand ist
in sich veischwistert und verschwägert, was Wunder, daß das Volk argwöhnt,
die Mitglieder desselben werden gegen einander die Gesetze nicht mit gleicher
Sttenge und Gewissenhaftigkeit handhaben als gegen andere? Man braucht
diese Zweifel nicht zu theilen, so viel aber läßt sich nickt läugnen: es sind der
schreiendsten Uebelstände auch in diesem Gebiete genug vorhanden, nur daß sie
bei dem ganzen patriarchalisch - gemüthlichen Wesen unseres Staatslebens nicht
allzu stechend in die Augen falle». Ein bis ans Unglaubliche streifender Nepo-
tismus, die Zurdispvsitionstellung notousch unfähiger Männer, weil die eigent¬
lichen Pensionssätze zu gering sind, der nicht selten bemerkbare Versuch, sich
durch Reisediäten zu bereichern — das und vieles andere sind Dinge, die i»
unserm unseligen Gesammtzustande ihre letzte Wurzel haben. —

Wir stehen am Ende unserer Darstellung und ziehen das Facit. Was wir
geschildert haben, waren vorzugsweise die Verhältnisse des eigentlichen Fürsten-
thums Waldeck. Das getrennt gelegene kleine Phrmont indeß, so sehr es mit
seinen socialen Zuständen auf ganz anderen und günstigeren Bedingungen be¬
ruht (auf nicht ganz 1»/» Quadratmeilen hat es 7,317 Einwohner), den Jn-
stituiionen des Staats gegenüber befindet es sich in derselben Lage, ja hat noch
seine besondern Beschwerden über Vernachlässigung des Bades, die Klage über
Fortdauer der Spulhölle u, s. w.

Ueberall demnach dieselben Seuizer, hervorgepreßt aus der Brust einer
armen Bevölkerung durch den Druck des eigenen Gemeinwesens. Eine unheilbare
Krankheit haftet an diesem kleinen Staatsorganismus: die einer unschönen und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190794"/>
          <p xml:id="ID_310" prev="#ID_309"> i» welchem über alles Mögliche ein strenges Urtheil gefällt wird. Beiläufig<lb/>
bemerkt, es scheint, als sollten diese treisräthlichen Jahresberichte die in Waldeck<lb/>
(ob aus Scheu vor den Kosten oder vor den Resultaten &#x2014; ?) durchaus<lb/>
mangelnde Statistik ersetzen. Der Zweck würde alsdann jedenfalls nur sehr<lb/>
ungenügend erreicht, besonders da nicht einmal eine einheitliche Norm beobachtet<lb/>
wird und die Verfasser ihrer Phantasie nach Belieben die Zügel schießen lassen.<lb/>
Der eine preist die vermeintliche Blüthe der Landwirths haft, der andere liebt<lb/>
es, die sittlichen Zustände in den düstersten Tinten zu schildern, das harmlose<lb/>
Völkchen aber findet es ganz natürlich, wenn der Maler in seinem eigensten<lb/>
Lebenselemente so meisterhaft den Pinsel zu führen versteht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_311"> Kein Zweifel also, unsere reformatorische Gesetzgebung, Kreisordnung, Ge¬<lb/>
meindeordnung u&gt; s. w., so vollendet sie uns die Form des Selsgovernments<lb/>
gegeben haben mag, in der Sache beließ sie dennoch die Vielregierei, den<lb/>
allbevormundeten Polizeistaat. Das waldectsche Beamtenthum ist noch heute<lb/>
eine büreaukratische Kaste, gegen welche die übrige Bevölkerung äußerlich scheue<lb/>
Ehrerbietung zeigt, innerlich aber ein unausrottbares Mißtrauen empfindet.<lb/>
Nirgends ist einer solchen Stimmung reislichere Nahrung geboten als in den<lb/>
unvermeidlichen Verhältnissen eines Zwergstaats. Der ganze Beamtenstand ist<lb/>
in sich veischwistert und verschwägert, was Wunder, daß das Volk argwöhnt,<lb/>
die Mitglieder desselben werden gegen einander die Gesetze nicht mit gleicher<lb/>
Sttenge und Gewissenhaftigkeit handhaben als gegen andere? Man braucht<lb/>
diese Zweifel nicht zu theilen, so viel aber läßt sich nickt läugnen: es sind der<lb/>
schreiendsten Uebelstände auch in diesem Gebiete genug vorhanden, nur daß sie<lb/>
bei dem ganzen patriarchalisch - gemüthlichen Wesen unseres Staatslebens nicht<lb/>
allzu stechend in die Augen falle». Ein bis ans Unglaubliche streifender Nepo-<lb/>
tismus, die Zurdispvsitionstellung notousch unfähiger Männer, weil die eigent¬<lb/>
lichen Pensionssätze zu gering sind, der nicht selten bemerkbare Versuch, sich<lb/>
durch Reisediäten zu bereichern &#x2014; das und vieles andere sind Dinge, die i»<lb/>
unserm unseligen Gesammtzustande ihre letzte Wurzel haben. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312"> Wir stehen am Ende unserer Darstellung und ziehen das Facit. Was wir<lb/>
geschildert haben, waren vorzugsweise die Verhältnisse des eigentlichen Fürsten-<lb/>
thums Waldeck. Das getrennt gelegene kleine Phrmont indeß, so sehr es mit<lb/>
seinen socialen Zuständen auf ganz anderen und günstigeren Bedingungen be¬<lb/>
ruht (auf nicht ganz 1»/» Quadratmeilen hat es 7,317 Einwohner), den Jn-<lb/>
stituiionen des Staats gegenüber befindet es sich in derselben Lage, ja hat noch<lb/>
seine besondern Beschwerden über Vernachlässigung des Bades, die Klage über<lb/>
Fortdauer der Spulhölle u, s. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_313" next="#ID_314"> Ueberall demnach dieselben Seuizer, hervorgepreßt aus der Brust einer<lb/>
armen Bevölkerung durch den Druck des eigenen Gemeinwesens. Eine unheilbare<lb/>
Krankheit haftet an diesem kleinen Staatsorganismus: die einer unschönen und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0100] i» welchem über alles Mögliche ein strenges Urtheil gefällt wird. Beiläufig bemerkt, es scheint, als sollten diese treisräthlichen Jahresberichte die in Waldeck (ob aus Scheu vor den Kosten oder vor den Resultaten — ?) durchaus mangelnde Statistik ersetzen. Der Zweck würde alsdann jedenfalls nur sehr ungenügend erreicht, besonders da nicht einmal eine einheitliche Norm beobachtet wird und die Verfasser ihrer Phantasie nach Belieben die Zügel schießen lassen. Der eine preist die vermeintliche Blüthe der Landwirths haft, der andere liebt es, die sittlichen Zustände in den düstersten Tinten zu schildern, das harmlose Völkchen aber findet es ganz natürlich, wenn der Maler in seinem eigensten Lebenselemente so meisterhaft den Pinsel zu führen versteht. Kein Zweifel also, unsere reformatorische Gesetzgebung, Kreisordnung, Ge¬ meindeordnung u> s. w., so vollendet sie uns die Form des Selsgovernments gegeben haben mag, in der Sache beließ sie dennoch die Vielregierei, den allbevormundeten Polizeistaat. Das waldectsche Beamtenthum ist noch heute eine büreaukratische Kaste, gegen welche die übrige Bevölkerung äußerlich scheue Ehrerbietung zeigt, innerlich aber ein unausrottbares Mißtrauen empfindet. Nirgends ist einer solchen Stimmung reislichere Nahrung geboten als in den unvermeidlichen Verhältnissen eines Zwergstaats. Der ganze Beamtenstand ist in sich veischwistert und verschwägert, was Wunder, daß das Volk argwöhnt, die Mitglieder desselben werden gegen einander die Gesetze nicht mit gleicher Sttenge und Gewissenhaftigkeit handhaben als gegen andere? Man braucht diese Zweifel nicht zu theilen, so viel aber läßt sich nickt läugnen: es sind der schreiendsten Uebelstände auch in diesem Gebiete genug vorhanden, nur daß sie bei dem ganzen patriarchalisch - gemüthlichen Wesen unseres Staatslebens nicht allzu stechend in die Augen falle». Ein bis ans Unglaubliche streifender Nepo- tismus, die Zurdispvsitionstellung notousch unfähiger Männer, weil die eigent¬ lichen Pensionssätze zu gering sind, der nicht selten bemerkbare Versuch, sich durch Reisediäten zu bereichern — das und vieles andere sind Dinge, die i» unserm unseligen Gesammtzustande ihre letzte Wurzel haben. — Wir stehen am Ende unserer Darstellung und ziehen das Facit. Was wir geschildert haben, waren vorzugsweise die Verhältnisse des eigentlichen Fürsten- thums Waldeck. Das getrennt gelegene kleine Phrmont indeß, so sehr es mit seinen socialen Zuständen auf ganz anderen und günstigeren Bedingungen be¬ ruht (auf nicht ganz 1»/» Quadratmeilen hat es 7,317 Einwohner), den Jn- stituiionen des Staats gegenüber befindet es sich in derselben Lage, ja hat noch seine besondern Beschwerden über Vernachlässigung des Bades, die Klage über Fortdauer der Spulhölle u, s. w. Ueberall demnach dieselben Seuizer, hervorgepreßt aus der Brust einer armen Bevölkerung durch den Druck des eigenen Gemeinwesens. Eine unheilbare Krankheit haftet an diesem kleinen Staatsorganismus: die einer unschönen und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/100
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/100>, abgerufen am 24.08.2024.