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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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wenigsten unsere eigene Regierung zu verantworten sich getrauen würde. Wenn
man auf feudaler Seite gewohnt ist, gegen uns den Vorwurf der Herabwür¬
digung unseres Heimathlandes zu erheben, so beantworten wir diesen Vorwurf
mit der Frage, ob derjenige unsere Bevölkerung herabwürdigt, welcher sich be¬
klagt, daß sie nicht gleiche politische Freiheit wie die anderen deutschen Volts-
siämme genieße und diese, für sie zu erreichen strebt, oder derjenige, welcher er¬
klärt, daß er sie dessen nicht für würdig halte. Die gewonnene bundesstaat-
liche Einheit wird auch darauf hinwirken, daß die Abweichungen des mecklen¬
burgischen Wahlgesetzes von seiner Norm, dem Reichswahlgesetze vom 12. April
1849, im Wege einer Revision des ersteren, welche durch die Bundesverfassung
keineswegs ausgeschlossen ist, beseitigt und ausgeglichen werden. Das in der
Bundesverfassung festgestellte gemeinsame Jndigenat erfordert die Aufhebung
der Beschränkung des activen und passiven Wahlrechts auf Mecklenburger oder
vielmehr respective Mecklenburg-Schweriner und Mecklenburg-Strelitzer. Die
Einheitlichkeit des deutschen Heeres, welche durch die Bundesverfassung einge¬
führt wird, verlangt die Aufhebung des Unterschiedes der Militärpersonen hin¬
sichtlich der Ausübung ihres Wahlrechts, also die Aufhebung der Bestimmung,
daß die mecklenburgischen Militärs sich an den Wahlen für den Reichstag nicht
betheiligen dürfen. Die Einheit des Reichstages und die bereits von dem er¬
sten Reichstage getroffene Entscheidung verlangen, daß die Bestimmung des
Reichswahlgesetzes, wonach erlittene Strafen wegen politischer Verbrechen von
dem Wahlrecht nicht ausschließen, auch aus Mecklenburg ihre Anwendung finde.

"Weiter ist der indirecte Einfluß nicht zu übersehen, welchen die Bundes¬
gesetzgebung auf die mecklenburgischen Verhältnisse unausbleiblich ausüben
wird. Ein großer und wichtiger Theil der Landesgcsetzgebung ist der Bundes¬
gewalt überwiesen und dadurch der Competenzkreis der Factoren der ersteren
wesentlich beschränkt worden. Auch ist zu beachten, daß der Kreis der Bundes-
competenz in der That weiter ist, als es auf den ersten Anblick erscheinen mag.
Dies zeigt sich unter Anderem in folgenden Punkten.

"Wir waren bestrebt, den Grundsatz der Gleichheit der bürgerlichen und
staatsbürgerlichen Rechte ohne Unterschied des religiösen Bekenntnisses zu einer
Verfassungsbestimmung zu machen. Durch die erfolgte Ablehnung unsers An¬
trages ist aber nicht ausgeschlossen, daß der Grundsatz solcher Gleichheit im
Wege der Bundesgesetzgebung zur Geltung gebracht werde. Denn in den Kreis
der Bundesgesetzgebung fällt die Gesetzgebung über das Staatsbürgerrecht.
Wenn demnach die Bundesgewalt den Umfang und Inhalt des Staatsbürger¬
rechts zu bestimmen hat, so hat sie auch zu bestimmen, ob zwischen einem
christlichen und einem israelitischen Staatsbürger ein Unterschied an politischen
Rechten bei Bestand bleiben soll. Die Bundesgesctzgebung erstreckt sich ferner
auf den Gewerbebetrieb, die Freizügigkeit, das Niederlassungsrecht. Sie hat


wenigsten unsere eigene Regierung zu verantworten sich getrauen würde. Wenn
man auf feudaler Seite gewohnt ist, gegen uns den Vorwurf der Herabwür¬
digung unseres Heimathlandes zu erheben, so beantworten wir diesen Vorwurf
mit der Frage, ob derjenige unsere Bevölkerung herabwürdigt, welcher sich be¬
klagt, daß sie nicht gleiche politische Freiheit wie die anderen deutschen Volts-
siämme genieße und diese, für sie zu erreichen strebt, oder derjenige, welcher er¬
klärt, daß er sie dessen nicht für würdig halte. Die gewonnene bundesstaat-
liche Einheit wird auch darauf hinwirken, daß die Abweichungen des mecklen¬
burgischen Wahlgesetzes von seiner Norm, dem Reichswahlgesetze vom 12. April
1849, im Wege einer Revision des ersteren, welche durch die Bundesverfassung
keineswegs ausgeschlossen ist, beseitigt und ausgeglichen werden. Das in der
Bundesverfassung festgestellte gemeinsame Jndigenat erfordert die Aufhebung
der Beschränkung des activen und passiven Wahlrechts auf Mecklenburger oder
vielmehr respective Mecklenburg-Schweriner und Mecklenburg-Strelitzer. Die
Einheitlichkeit des deutschen Heeres, welche durch die Bundesverfassung einge¬
führt wird, verlangt die Aufhebung des Unterschiedes der Militärpersonen hin¬
sichtlich der Ausübung ihres Wahlrechts, also die Aufhebung der Bestimmung,
daß die mecklenburgischen Militärs sich an den Wahlen für den Reichstag nicht
betheiligen dürfen. Die Einheit des Reichstages und die bereits von dem er¬
sten Reichstage getroffene Entscheidung verlangen, daß die Bestimmung des
Reichswahlgesetzes, wonach erlittene Strafen wegen politischer Verbrechen von
dem Wahlrecht nicht ausschließen, auch aus Mecklenburg ihre Anwendung finde.

„Weiter ist der indirecte Einfluß nicht zu übersehen, welchen die Bundes¬
gesetzgebung auf die mecklenburgischen Verhältnisse unausbleiblich ausüben
wird. Ein großer und wichtiger Theil der Landesgcsetzgebung ist der Bundes¬
gewalt überwiesen und dadurch der Competenzkreis der Factoren der ersteren
wesentlich beschränkt worden. Auch ist zu beachten, daß der Kreis der Bundes-
competenz in der That weiter ist, als es auf den ersten Anblick erscheinen mag.
Dies zeigt sich unter Anderem in folgenden Punkten.

„Wir waren bestrebt, den Grundsatz der Gleichheit der bürgerlichen und
staatsbürgerlichen Rechte ohne Unterschied des religiösen Bekenntnisses zu einer
Verfassungsbestimmung zu machen. Durch die erfolgte Ablehnung unsers An¬
trages ist aber nicht ausgeschlossen, daß der Grundsatz solcher Gleichheit im
Wege der Bundesgesetzgebung zur Geltung gebracht werde. Denn in den Kreis
der Bundesgesetzgebung fällt die Gesetzgebung über das Staatsbürgerrecht.
Wenn demnach die Bundesgewalt den Umfang und Inhalt des Staatsbürger¬
rechts zu bestimmen hat, so hat sie auch zu bestimmen, ob zwischen einem
christlichen und einem israelitischen Staatsbürger ein Unterschied an politischen
Rechten bei Bestand bleiben soll. Die Bundesgesctzgebung erstreckt sich ferner
auf den Gewerbebetrieb, die Freizügigkeit, das Niederlassungsrecht. Sie hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/82>, abgerufen am 15.01.2025.