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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Provinzen, die drohenden Gespenster neuer Tabaks- und Salzsteuern, die Be¬
fürchtungen vor einer französischen Einmischung in die nordschleswigsche An¬
gelegenheit, endlich die peinlichen Eindrücke wegen der "salzburger Visite".
Selbst der Ausgleich mit Ungarn die Königskrönung Franz Josefs in
Osen-Pesth und die liberalen Anläufe, welche Herr von Beust im wiener Reichs¬
tage nahm, wurden von den Gegnern als Erfolge der großdeutschen über die
kleindeutsche Politik ausgegeben und die Mehrzahl der antinationalen Blätter
sprach um jene Zeit mit zunehmender Keckheit von einem sichtlichen Nieder¬
gange der letzteren. Und was ist während derselben Zeit nicht alles im eigenen
Hause, in den Hauptquartieren des preußischen Lagers gesündigt worden? Wäh¬
rend die Zahl der Unzufriedenen in den neuen Provinzen beinahe geflissentlich
vermehrt wurde, sorgte die Regierung in den alten Theilen der Monarchie
durch den Obergschen Fall und durch die fortgesetzte Verfolgung Twestens und Las-
ters dafür, daß ihre eigenen Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Unverständiger
und gewissenloser denn je declamirte während dessen die radicale Presse gegen
alle die mühsamen Errungenschaften des vorigen Jahres und gegen diejenigen
Liberalen, die sich aus der alten Sündfluth abstracter Principien und Phrasen
auf den festen Boden der Wirklichkeit gerettet hatten: wollte man den sittlich
entrüsteten Manifesten der "Zukunft" und der "Volkszeitung" Glauben schenken,
so gab es in der alten Fortschrittspartei, wie weiland in Sodom, nichl zehn
Gerechte mehr und selbst Männer wie Schulze-Delitzsch entgingen der Pro-
scription durch die radicalen Tnumvirn nur mit Mühe. Am schlimmsten war
es, daß diese Rodomontaden, denen gelegentliche Liebeserklärungen an gro߬
deutsche und particularistische "starke Charaktere" beigemischt waren, eine gewisse
Pression auf die national-liberale Partei ausübten und die berliner Vertreter
derselben zu Verständigungs- und Compromißversuchen veranlaßten, die wenig
dazu angethan waren, den Einfluß, die Festigkeit und das Ansehen der einzigen
liberalen Fraction zu kräftigen, die sich an der Begründung des neuen Staats¬
baues einen Antheil gesichert hatte. Hohnlachend sahen Reactionäre und Preu¬
ßenfeinde der Selbstvernichtung des preußischen Liberalismus zu und als die
Nationalliberalen in der eilften Stunde noch einmal den Versuch machten, mit
den fortschrittlichen Gegnern der Bundesverfassung bezüglich der Wahlen zu¬
sammenzugehen, schien die Auflösung dieser Partei unterschrieben.

Und das Volk, jene große Majorität der Wähler, welche sechsundneunzig
Altliberale und Nationalliberale in das Parlament gewählt hat (und diese
können in einer großen Anzahl von Fragen auf die Unterstützung von dreiund¬
zwanzig Freiconservativen rechnen), -- es hat sich weder durch die Mißgriffe der
Regierung, noch durch das Geschrei der Radikalen -- selbst nicht durch die Un¬
sicherheit seiner Führer beirren lassen; die eine Thatsache der Zolleinigung mit
dem Süden hat schwerer gewogen als alles, was gegen die Durchführbarkeit


Provinzen, die drohenden Gespenster neuer Tabaks- und Salzsteuern, die Be¬
fürchtungen vor einer französischen Einmischung in die nordschleswigsche An¬
gelegenheit, endlich die peinlichen Eindrücke wegen der „salzburger Visite".
Selbst der Ausgleich mit Ungarn die Königskrönung Franz Josefs in
Osen-Pesth und die liberalen Anläufe, welche Herr von Beust im wiener Reichs¬
tage nahm, wurden von den Gegnern als Erfolge der großdeutschen über die
kleindeutsche Politik ausgegeben und die Mehrzahl der antinationalen Blätter
sprach um jene Zeit mit zunehmender Keckheit von einem sichtlichen Nieder¬
gange der letzteren. Und was ist während derselben Zeit nicht alles im eigenen
Hause, in den Hauptquartieren des preußischen Lagers gesündigt worden? Wäh¬
rend die Zahl der Unzufriedenen in den neuen Provinzen beinahe geflissentlich
vermehrt wurde, sorgte die Regierung in den alten Theilen der Monarchie
durch den Obergschen Fall und durch die fortgesetzte Verfolgung Twestens und Las-
ters dafür, daß ihre eigenen Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Unverständiger
und gewissenloser denn je declamirte während dessen die radicale Presse gegen
alle die mühsamen Errungenschaften des vorigen Jahres und gegen diejenigen
Liberalen, die sich aus der alten Sündfluth abstracter Principien und Phrasen
auf den festen Boden der Wirklichkeit gerettet hatten: wollte man den sittlich
entrüsteten Manifesten der „Zukunft" und der „Volkszeitung" Glauben schenken,
so gab es in der alten Fortschrittspartei, wie weiland in Sodom, nichl zehn
Gerechte mehr und selbst Männer wie Schulze-Delitzsch entgingen der Pro-
scription durch die radicalen Tnumvirn nur mit Mühe. Am schlimmsten war
es, daß diese Rodomontaden, denen gelegentliche Liebeserklärungen an gro߬
deutsche und particularistische „starke Charaktere" beigemischt waren, eine gewisse
Pression auf die national-liberale Partei ausübten und die berliner Vertreter
derselben zu Verständigungs- und Compromißversuchen veranlaßten, die wenig
dazu angethan waren, den Einfluß, die Festigkeit und das Ansehen der einzigen
liberalen Fraction zu kräftigen, die sich an der Begründung des neuen Staats¬
baues einen Antheil gesichert hatte. Hohnlachend sahen Reactionäre und Preu¬
ßenfeinde der Selbstvernichtung des preußischen Liberalismus zu und als die
Nationalliberalen in der eilften Stunde noch einmal den Versuch machten, mit
den fortschrittlichen Gegnern der Bundesverfassung bezüglich der Wahlen zu¬
sammenzugehen, schien die Auflösung dieser Partei unterschrieben.

Und das Volk, jene große Majorität der Wähler, welche sechsundneunzig
Altliberale und Nationalliberale in das Parlament gewählt hat (und diese
können in einer großen Anzahl von Fragen auf die Unterstützung von dreiund¬
zwanzig Freiconservativen rechnen), — es hat sich weder durch die Mißgriffe der
Regierung, noch durch das Geschrei der Radikalen — selbst nicht durch die Un¬
sicherheit seiner Führer beirren lassen; die eine Thatsache der Zolleinigung mit
dem Süden hat schwerer gewogen als alles, was gegen die Durchführbarkeit


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[0487] Provinzen, die drohenden Gespenster neuer Tabaks- und Salzsteuern, die Be¬ fürchtungen vor einer französischen Einmischung in die nordschleswigsche An¬ gelegenheit, endlich die peinlichen Eindrücke wegen der „salzburger Visite". Selbst der Ausgleich mit Ungarn die Königskrönung Franz Josefs in Osen-Pesth und die liberalen Anläufe, welche Herr von Beust im wiener Reichs¬ tage nahm, wurden von den Gegnern als Erfolge der großdeutschen über die kleindeutsche Politik ausgegeben und die Mehrzahl der antinationalen Blätter sprach um jene Zeit mit zunehmender Keckheit von einem sichtlichen Nieder¬ gange der letzteren. Und was ist während derselben Zeit nicht alles im eigenen Hause, in den Hauptquartieren des preußischen Lagers gesündigt worden? Wäh¬ rend die Zahl der Unzufriedenen in den neuen Provinzen beinahe geflissentlich vermehrt wurde, sorgte die Regierung in den alten Theilen der Monarchie durch den Obergschen Fall und durch die fortgesetzte Verfolgung Twestens und Las- ters dafür, daß ihre eigenen Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Unverständiger und gewissenloser denn je declamirte während dessen die radicale Presse gegen alle die mühsamen Errungenschaften des vorigen Jahres und gegen diejenigen Liberalen, die sich aus der alten Sündfluth abstracter Principien und Phrasen auf den festen Boden der Wirklichkeit gerettet hatten: wollte man den sittlich entrüsteten Manifesten der „Zukunft" und der „Volkszeitung" Glauben schenken, so gab es in der alten Fortschrittspartei, wie weiland in Sodom, nichl zehn Gerechte mehr und selbst Männer wie Schulze-Delitzsch entgingen der Pro- scription durch die radicalen Tnumvirn nur mit Mühe. Am schlimmsten war es, daß diese Rodomontaden, denen gelegentliche Liebeserklärungen an gro߬ deutsche und particularistische „starke Charaktere" beigemischt waren, eine gewisse Pression auf die national-liberale Partei ausübten und die berliner Vertreter derselben zu Verständigungs- und Compromißversuchen veranlaßten, die wenig dazu angethan waren, den Einfluß, die Festigkeit und das Ansehen der einzigen liberalen Fraction zu kräftigen, die sich an der Begründung des neuen Staats¬ baues einen Antheil gesichert hatte. Hohnlachend sahen Reactionäre und Preu¬ ßenfeinde der Selbstvernichtung des preußischen Liberalismus zu und als die Nationalliberalen in der eilften Stunde noch einmal den Versuch machten, mit den fortschrittlichen Gegnern der Bundesverfassung bezüglich der Wahlen zu¬ sammenzugehen, schien die Auflösung dieser Partei unterschrieben. Und das Volk, jene große Majorität der Wähler, welche sechsundneunzig Altliberale und Nationalliberale in das Parlament gewählt hat (und diese können in einer großen Anzahl von Fragen auf die Unterstützung von dreiund¬ zwanzig Freiconservativen rechnen), — es hat sich weder durch die Mißgriffe der Regierung, noch durch das Geschrei der Radikalen — selbst nicht durch die Un¬ sicherheit seiner Führer beirren lassen; die eine Thatsache der Zolleinigung mit dem Süden hat schwerer gewogen als alles, was gegen die Durchführbarkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/487>, abgerufen am 15.01.2025.