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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Die Städte selbst mochte der Staatssecretär des Innern nicht nennen, um den
Zweck der einzuleitenden Untersuchungen nicht zu beeinträchtigen. Nur so viel
wollte er mittheilen, daß nach den der Regierung gewordenen Eröffnungen
verbrecherische Handlungen in der Sphäre der Arbeitervereine nicht in Sheffield
allein vorgekommen zu sein scheinen, daß es aber zur Ermittelung derselben
unumgänglich nothwendig sein werde, gewissen Betheiligungen Straflosigkeit
zuzusichern und die Befugnisse der Negierung zu erweitern. Mr. Förster, der
bei dieser Gelegenheit die in Sheffield verübten Scheußlichkeiten auf das ent¬
schiedenste verdammte, sprach seinen Zweifel daran aus, daß es wirklich noth¬
wendig sei, den Angebern Straflosigkeit zuzusichern, um weiteren Verbrechen
auf die Spur zu kommen, denn es wäre diese Straflosigkeit in allen Fällen
ein trauriges Mittel, zu dem im Interesse der Gesetzesachtung und Moral nur
im äußersten Nothfall gegriffen werden dürfe. Schon sei man darin vielleicht
zu weit gegangen, trotzdem wolle er sich aber der zweiten Lesung der Bill nicht
widersetzen.

Also nicht allein in Sheffield, auch noch in anderen Städten sind Scheu߬
lichkeiten dieser Art verübt worden! und auch in diesen kann nur das Ver¬
sprechen der Straflosigkeit das Geschehene ans Tageslicht bringen I Der Ter¬
rorismus scheint sich epidemisch unter den arbeitenden Classen zu verbreiten
und die Begriffsverwirrung das gewöhnliche Maß weit zu überbieten. Unter
solchen abnormen Verhältnissen ist es nicht mehr auffällig, wenn man in der
Schrift des Professor Leone Levi: ""UaMS ana LarminZs ok tke 'UorKinZ
LlasLös die nachfolgende Beschuldigung findet: "Es ist eine traurige, sehr
traurige Thatsache, daß in dem Vereinigten Königreiche 89.000,000 Pfund
Sterling jährlich für geistige Getränke verausgabt werden, und daß von dieser
Summe 58,000.000 Pfund Sterling, mithin circa 400 Millionen Thaler allein
auf die arbeitenden Classen kommen." Es ist eine nur zu bekannte Erfahrung,
daß Verbrechen und Trunksucht meist Hand in Hand gehen. Nicht minder
schrecklich aber ist es, daß nur das Versprechen der Straflosigkeit, der Moral
zum Hohne, solche Greuel ans Licht zu bringen vermag!!

Diese bisher festgestellten Thatsachen verdienen aber nicht nur in Gro߬
britannien, sondern in allen Staaten, in denen die sociale Frage einer Lösung
harrt, Aufmerksamkeit. Sie sind nicht nur an und für sich, sondern als Sym¬
ptome einer socialen Krankheit bedeutsam, deren Spuren sich in fast allen Cul¬
turländern finden. Wir glauben die Aufmerksamkeit des Lesers ganz besonders
auf zwei in dieser Richtung liegende Vorgänge hinlenken zu können.

Am 28. September 1864 fand in London ein großes Arbeitermeeting
statt, welches die Gründung einer internationalen Arbeiterassociation zum
Zwecke der politischen und ökonomischen Emancipation der Arbeiterclassen be¬
schloß. Es wurde sofort ein Manifest an die Arbeiter Europas erlassen, dessen


Die Städte selbst mochte der Staatssecretär des Innern nicht nennen, um den
Zweck der einzuleitenden Untersuchungen nicht zu beeinträchtigen. Nur so viel
wollte er mittheilen, daß nach den der Regierung gewordenen Eröffnungen
verbrecherische Handlungen in der Sphäre der Arbeitervereine nicht in Sheffield
allein vorgekommen zu sein scheinen, daß es aber zur Ermittelung derselben
unumgänglich nothwendig sein werde, gewissen Betheiligungen Straflosigkeit
zuzusichern und die Befugnisse der Negierung zu erweitern. Mr. Förster, der
bei dieser Gelegenheit die in Sheffield verübten Scheußlichkeiten auf das ent¬
schiedenste verdammte, sprach seinen Zweifel daran aus, daß es wirklich noth¬
wendig sei, den Angebern Straflosigkeit zuzusichern, um weiteren Verbrechen
auf die Spur zu kommen, denn es wäre diese Straflosigkeit in allen Fällen
ein trauriges Mittel, zu dem im Interesse der Gesetzesachtung und Moral nur
im äußersten Nothfall gegriffen werden dürfe. Schon sei man darin vielleicht
zu weit gegangen, trotzdem wolle er sich aber der zweiten Lesung der Bill nicht
widersetzen.

Also nicht allein in Sheffield, auch noch in anderen Städten sind Scheu߬
lichkeiten dieser Art verübt worden! und auch in diesen kann nur das Ver¬
sprechen der Straflosigkeit das Geschehene ans Tageslicht bringen I Der Ter¬
rorismus scheint sich epidemisch unter den arbeitenden Classen zu verbreiten
und die Begriffsverwirrung das gewöhnliche Maß weit zu überbieten. Unter
solchen abnormen Verhältnissen ist es nicht mehr auffällig, wenn man in der
Schrift des Professor Leone Levi: „"UaMS ana LarminZs ok tke 'UorKinZ
LlasLös die nachfolgende Beschuldigung findet: „Es ist eine traurige, sehr
traurige Thatsache, daß in dem Vereinigten Königreiche 89.000,000 Pfund
Sterling jährlich für geistige Getränke verausgabt werden, und daß von dieser
Summe 58,000.000 Pfund Sterling, mithin circa 400 Millionen Thaler allein
auf die arbeitenden Classen kommen." Es ist eine nur zu bekannte Erfahrung,
daß Verbrechen und Trunksucht meist Hand in Hand gehen. Nicht minder
schrecklich aber ist es, daß nur das Versprechen der Straflosigkeit, der Moral
zum Hohne, solche Greuel ans Licht zu bringen vermag!!

Diese bisher festgestellten Thatsachen verdienen aber nicht nur in Gro߬
britannien, sondern in allen Staaten, in denen die sociale Frage einer Lösung
harrt, Aufmerksamkeit. Sie sind nicht nur an und für sich, sondern als Sym¬
ptome einer socialen Krankheit bedeutsam, deren Spuren sich in fast allen Cul¬
turländern finden. Wir glauben die Aufmerksamkeit des Lesers ganz besonders
auf zwei in dieser Richtung liegende Vorgänge hinlenken zu können.

Am 28. September 1864 fand in London ein großes Arbeitermeeting
statt, welches die Gründung einer internationalen Arbeiterassociation zum
Zwecke der politischen und ökonomischen Emancipation der Arbeiterclassen be¬
schloß. Es wurde sofort ein Manifest an die Arbeiter Europas erlassen, dessen


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[0466] Die Städte selbst mochte der Staatssecretär des Innern nicht nennen, um den Zweck der einzuleitenden Untersuchungen nicht zu beeinträchtigen. Nur so viel wollte er mittheilen, daß nach den der Regierung gewordenen Eröffnungen verbrecherische Handlungen in der Sphäre der Arbeitervereine nicht in Sheffield allein vorgekommen zu sein scheinen, daß es aber zur Ermittelung derselben unumgänglich nothwendig sein werde, gewissen Betheiligungen Straflosigkeit zuzusichern und die Befugnisse der Negierung zu erweitern. Mr. Förster, der bei dieser Gelegenheit die in Sheffield verübten Scheußlichkeiten auf das ent¬ schiedenste verdammte, sprach seinen Zweifel daran aus, daß es wirklich noth¬ wendig sei, den Angebern Straflosigkeit zuzusichern, um weiteren Verbrechen auf die Spur zu kommen, denn es wäre diese Straflosigkeit in allen Fällen ein trauriges Mittel, zu dem im Interesse der Gesetzesachtung und Moral nur im äußersten Nothfall gegriffen werden dürfe. Schon sei man darin vielleicht zu weit gegangen, trotzdem wolle er sich aber der zweiten Lesung der Bill nicht widersetzen. Also nicht allein in Sheffield, auch noch in anderen Städten sind Scheu߬ lichkeiten dieser Art verübt worden! und auch in diesen kann nur das Ver¬ sprechen der Straflosigkeit das Geschehene ans Tageslicht bringen I Der Ter¬ rorismus scheint sich epidemisch unter den arbeitenden Classen zu verbreiten und die Begriffsverwirrung das gewöhnliche Maß weit zu überbieten. Unter solchen abnormen Verhältnissen ist es nicht mehr auffällig, wenn man in der Schrift des Professor Leone Levi: „"UaMS ana LarminZs ok tke 'UorKinZ LlasLös die nachfolgende Beschuldigung findet: „Es ist eine traurige, sehr traurige Thatsache, daß in dem Vereinigten Königreiche 89.000,000 Pfund Sterling jährlich für geistige Getränke verausgabt werden, und daß von dieser Summe 58,000.000 Pfund Sterling, mithin circa 400 Millionen Thaler allein auf die arbeitenden Classen kommen." Es ist eine nur zu bekannte Erfahrung, daß Verbrechen und Trunksucht meist Hand in Hand gehen. Nicht minder schrecklich aber ist es, daß nur das Versprechen der Straflosigkeit, der Moral zum Hohne, solche Greuel ans Licht zu bringen vermag!! Diese bisher festgestellten Thatsachen verdienen aber nicht nur in Gro߬ britannien, sondern in allen Staaten, in denen die sociale Frage einer Lösung harrt, Aufmerksamkeit. Sie sind nicht nur an und für sich, sondern als Sym¬ ptome einer socialen Krankheit bedeutsam, deren Spuren sich in fast allen Cul¬ turländern finden. Wir glauben die Aufmerksamkeit des Lesers ganz besonders auf zwei in dieser Richtung liegende Vorgänge hinlenken zu können. Am 28. September 1864 fand in London ein großes Arbeitermeeting statt, welches die Gründung einer internationalen Arbeiterassociation zum Zwecke der politischen und ökonomischen Emancipation der Arbeiterclassen be¬ schloß. Es wurde sofort ein Manifest an die Arbeiter Europas erlassen, dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/466>, abgerufen am 15.01.2025.