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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Merkel (der den heiligen Geist an diesem Product, wozu er, wie es scheint,
nur die Finger hergeliehen Hai. so greulich lästerte), daß diese Rückkehr ins
Baterland, ohne eine Nachahmung von ?oril:s sentimental ^ourne^ zu seyn,
das einzige Gegenstück dieses Lieblingsbuchs aller Leute von Gefühl, Geschmack
und Geist ist, und daß es in jedem Betracht neben dem Exquisitesten, was
unsere Sprache aufzuweisen hat, stehen kann. Aber freylich solche Werkchen,
die mit freyer, ruhiger, in sich selbst und in der Natur wohnenden Seele
genossen seyn wollen, kann man nur auf dem Lande lesen.


Wieland.
II. Böttiger an Merkel.
1.

Weimar, 4. Jan. 1799.

In unserm kleinen Weimar werden nun große Borbereitungen zum Pic-
colomini getroffen, der den 30. Januar, den Geburtstag der regierenden Her¬
zogin, verherrlichen soll. Eine Herzogin von Friedland ist aus Regensburg ver¬
schrieben, Mad. Teller, die Mutterrollen trefflich spielen soll. D. Hagemann spielt
das fürstliche Fräulein, Greiff den Wallenstein u. f. w. Schiller ist mit Weib
und Kind herübergezogen, um allen Proben zu assistiren, und ist in ein herzog¬
liches Schloß einlogirt. Dekorationen werden gemahlt, Costüms (die Jffland
hier nachzeichnen läßt) geschneidert, Rollen scandirt (denn die bösen Jamben
wollen nicht recht klappen), Epiloge fabrizirt. In dieser süßen Musolepsie ver¬
gessen wir nun selbst die Rastadter Friedensbasis und die Niederlagen, welche
die Franzosen Schlag auf Schlag in den Zeitungen erleiden. Jean Paul wächst
täglich in der Gunst unserer Damen und schreibt rüstig an "Meinem künftigen
Lebenslauf", der zur Ostermesse erscheinen und unter anderen einen Brief an
"meinen künftigen Sohn auf der Universität" der einige bittere Pillen für die
jetzigen Philosophen enthalten wird. Freund Scherer ist nach Ilmenau geflogen
und muß auf hohe Ordre für jedermann chemische Vorlesungen hier halten, wo¬
zu der Herzog die Kosten giebt. Ich aber -- machen Sie sich auf eine schreck¬
liche Nachricht gefaßt -- leide seit drei Wochen an Gicht in den Füßen. Die
Podagristen wollen mich in ihren Orden aufnehmen, ich aber behaupte, ich sei
noch immer ein Profaner. Wirklich bin ich viele Tage ein lahmer Vulcan,
höchstens nur mit der Feder thätig gewesen. Das arme Jena hat zwei harte
Schläge erhalten. Ein schändlicher Duellmord hat neue häßliche Ordensgräuel
veroffenbart, und von Dresden ist eine Insinuation an die fürstlichen Nutritoren
gekommen, daß, wofern sie dem atheistischen Unwesen der Hrn. Fichte und Con-
sorten in Jena nicht Einhalt thäten, Chursachsen allen seinen Landeskindern,
die dort frequentirten, einen Bannfluch sprechen würde. Schütz schwärmt eum
uxoreula in Berlin.

Im Reimarus'schen Hause erinnern Sie fleißig mein Andenken. Wird der


Merkel (der den heiligen Geist an diesem Product, wozu er, wie es scheint,
nur die Finger hergeliehen Hai. so greulich lästerte), daß diese Rückkehr ins
Baterland, ohne eine Nachahmung von ?oril:s sentimental ^ourne^ zu seyn,
das einzige Gegenstück dieses Lieblingsbuchs aller Leute von Gefühl, Geschmack
und Geist ist, und daß es in jedem Betracht neben dem Exquisitesten, was
unsere Sprache aufzuweisen hat, stehen kann. Aber freylich solche Werkchen,
die mit freyer, ruhiger, in sich selbst und in der Natur wohnenden Seele
genossen seyn wollen, kann man nur auf dem Lande lesen.


Wieland.
II. Böttiger an Merkel.
1.

Weimar, 4. Jan. 1799.

In unserm kleinen Weimar werden nun große Borbereitungen zum Pic-
colomini getroffen, der den 30. Januar, den Geburtstag der regierenden Her¬
zogin, verherrlichen soll. Eine Herzogin von Friedland ist aus Regensburg ver¬
schrieben, Mad. Teller, die Mutterrollen trefflich spielen soll. D. Hagemann spielt
das fürstliche Fräulein, Greiff den Wallenstein u. f. w. Schiller ist mit Weib
und Kind herübergezogen, um allen Proben zu assistiren, und ist in ein herzog¬
liches Schloß einlogirt. Dekorationen werden gemahlt, Costüms (die Jffland
hier nachzeichnen läßt) geschneidert, Rollen scandirt (denn die bösen Jamben
wollen nicht recht klappen), Epiloge fabrizirt. In dieser süßen Musolepsie ver¬
gessen wir nun selbst die Rastadter Friedensbasis und die Niederlagen, welche
die Franzosen Schlag auf Schlag in den Zeitungen erleiden. Jean Paul wächst
täglich in der Gunst unserer Damen und schreibt rüstig an „Meinem künftigen
Lebenslauf", der zur Ostermesse erscheinen und unter anderen einen Brief an
„meinen künftigen Sohn auf der Universität" der einige bittere Pillen für die
jetzigen Philosophen enthalten wird. Freund Scherer ist nach Ilmenau geflogen
und muß auf hohe Ordre für jedermann chemische Vorlesungen hier halten, wo¬
zu der Herzog die Kosten giebt. Ich aber — machen Sie sich auf eine schreck¬
liche Nachricht gefaßt — leide seit drei Wochen an Gicht in den Füßen. Die
Podagristen wollen mich in ihren Orden aufnehmen, ich aber behaupte, ich sei
noch immer ein Profaner. Wirklich bin ich viele Tage ein lahmer Vulcan,
höchstens nur mit der Feder thätig gewesen. Das arme Jena hat zwei harte
Schläge erhalten. Ein schändlicher Duellmord hat neue häßliche Ordensgräuel
veroffenbart, und von Dresden ist eine Insinuation an die fürstlichen Nutritoren
gekommen, daß, wofern sie dem atheistischen Unwesen der Hrn. Fichte und Con-
sorten in Jena nicht Einhalt thäten, Chursachsen allen seinen Landeskindern,
die dort frequentirten, einen Bannfluch sprechen würde. Schütz schwärmt eum
uxoreula in Berlin.

Im Reimarus'schen Hause erinnern Sie fleißig mein Andenken. Wird der


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[0438] Merkel (der den heiligen Geist an diesem Product, wozu er, wie es scheint, nur die Finger hergeliehen Hai. so greulich lästerte), daß diese Rückkehr ins Baterland, ohne eine Nachahmung von ?oril:s sentimental ^ourne^ zu seyn, das einzige Gegenstück dieses Lieblingsbuchs aller Leute von Gefühl, Geschmack und Geist ist, und daß es in jedem Betracht neben dem Exquisitesten, was unsere Sprache aufzuweisen hat, stehen kann. Aber freylich solche Werkchen, die mit freyer, ruhiger, in sich selbst und in der Natur wohnenden Seele genossen seyn wollen, kann man nur auf dem Lande lesen. Wieland. II. Böttiger an Merkel. 1. Weimar, 4. Jan. 1799. In unserm kleinen Weimar werden nun große Borbereitungen zum Pic- colomini getroffen, der den 30. Januar, den Geburtstag der regierenden Her¬ zogin, verherrlichen soll. Eine Herzogin von Friedland ist aus Regensburg ver¬ schrieben, Mad. Teller, die Mutterrollen trefflich spielen soll. D. Hagemann spielt das fürstliche Fräulein, Greiff den Wallenstein u. f. w. Schiller ist mit Weib und Kind herübergezogen, um allen Proben zu assistiren, und ist in ein herzog¬ liches Schloß einlogirt. Dekorationen werden gemahlt, Costüms (die Jffland hier nachzeichnen läßt) geschneidert, Rollen scandirt (denn die bösen Jamben wollen nicht recht klappen), Epiloge fabrizirt. In dieser süßen Musolepsie ver¬ gessen wir nun selbst die Rastadter Friedensbasis und die Niederlagen, welche die Franzosen Schlag auf Schlag in den Zeitungen erleiden. Jean Paul wächst täglich in der Gunst unserer Damen und schreibt rüstig an „Meinem künftigen Lebenslauf", der zur Ostermesse erscheinen und unter anderen einen Brief an „meinen künftigen Sohn auf der Universität" der einige bittere Pillen für die jetzigen Philosophen enthalten wird. Freund Scherer ist nach Ilmenau geflogen und muß auf hohe Ordre für jedermann chemische Vorlesungen hier halten, wo¬ zu der Herzog die Kosten giebt. Ich aber — machen Sie sich auf eine schreck¬ liche Nachricht gefaßt — leide seit drei Wochen an Gicht in den Füßen. Die Podagristen wollen mich in ihren Orden aufnehmen, ich aber behaupte, ich sei noch immer ein Profaner. Wirklich bin ich viele Tage ein lahmer Vulcan, höchstens nur mit der Feder thätig gewesen. Das arme Jena hat zwei harte Schläge erhalten. Ein schändlicher Duellmord hat neue häßliche Ordensgräuel veroffenbart, und von Dresden ist eine Insinuation an die fürstlichen Nutritoren gekommen, daß, wofern sie dem atheistischen Unwesen der Hrn. Fichte und Con- sorten in Jena nicht Einhalt thäten, Chursachsen allen seinen Landeskindern, die dort frequentirten, einen Bannfluch sprechen würde. Schütz schwärmt eum uxoreula in Berlin. Im Reimarus'schen Hause erinnern Sie fleißig mein Andenken. Wird der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/438>, abgerufen am 15.01.2025.