Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.Mus. mit welchem die Weimaraner sich von der "hoffnungslosen deutschen Realität" I. Wieland an Böttiger. Osmanstädt, d. 4. August 1798. Sie müssen mein lieber Freund und Bruder in Aristofanes, Merkels kleines 54"
Mus. mit welchem die Weimaraner sich von der „hoffnungslosen deutschen Realität" I. Wieland an Böttiger. Osmanstädt, d. 4. August 1798. Sie müssen mein lieber Freund und Bruder in Aristofanes, Merkels kleines 54"
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Mus. mit welchem die Weimaraner sich von der „hoffnungslosen deutschen Realität"
abwandten und geflissentlich „in einer Weise dichteten, die dem bisherigen Leben
des Volks entgegengesetzt war", eine Gefahr und glaubte die „Inhaltslosigkeit
der Wirklichkeit" und die UnHeilbarkeit der gegebenen Zustände, der Wirkung wegen
läugnen zu müssen, die ihre öffentliche Verkündigung politisch auf das Volk üben
mußten. Er beschließt seine Schilderung der unvergeßlichen in Weimar verlebten
Tage, welche er in fast täglichen Verkehr mit Wieland und Herder verbrachte, die ihn
häufig an lauen Sommerabenden in Tieffurt besuchten, um mit ihm in dem
herzoglichen Garten zur Nacht zu speisen, ohne sich durch die vorüberrauschenden
seidenen Gewänder der Herzogin Amalie stören zu lassen — er beschließt diese
Schilderung mit der nachstehenden höchst charakteristischen Bemerkung: „Wer
diese meine Lebensweise und den Verkehr mit den beiden großen Dichtern sah.
Pries mich sehr glücklich. Fühlte ich mich so? Nein. Ich hatte vom Baume
der Erkenntniß gegessen, in einer Reihe großer Städte das Leben in kräftig
strebender Thätigkeit gesehen, ich sehnte mich darnach selbst praktisch einzugreifen,
durch literarische Arbeiten, nicht blos für diese da zu sein." Weil der
Politische Beruf (denn ein solcher ist direct bezeichnet) dem Deutschen des 18.
Jahrhunderts versagt war, wurde ein talentvoller und patriotischer Publicist
zum schlechten ästhetischen Kritiker, mußte er als solcher enden. Für den sitt¬
lichen Werth des in der Zeit der goldenen Literaturperiode öffentlich wirkenden
Mannes gab es kein anderes Kriterium, als das des ästhetischen Geschmacks!
I. Wieland an Böttiger.
Osmanstädt, d. 4. August 1798.
Sie müssen mein lieber Freund und Bruder in Aristofanes, Merkels kleines
Buch (das hier mit Dank zurückkommt) nur in einer zerstreuten Viertelstunde
durchblättert haben, um mir schreiben zu können: „es werde mir vielleicht um
einiger Schilderungen willen nicht ganz mißfallen." O ihr Filologen und Poly¬
historen, auch Hof- und Weltmänner, wie kann ich mich zurückhalten. Euch nicht
e'n wenig rauh anzulassen! Dieses sogenannte Zwittergeschöpf hat nur einen
einzigen Flecken und der ist das schändliche, lästerliche nos Iraee rwvimus vsss
uikil. Das kann man mit Wahrheit von Myriaden hochgelehrter Folianten
und Quartanten sagen, die alle, was den innern, wahren Werth betrifft, von
diesem kleinen dünnleibigen Zwittergeschöpf bis an den Wagebalken heraufgezo¬
gen werden. Merkel hat noch nichts gemacht, das in jeder Betrachtung diesem
deliciösen Werkchen gleich käme, und wird schwerlich in seinem ganzen Leben
etwas Besseres machen. Wie kann man doch aus falscher Schaam vor den hoch¬
gelehrten Herren ein so albernes, ein so übel passendes, in die lieblichste Har¬
monie von Verstand, Einbildungskraft und Herz so widerlich mistönend hinein-
Ü'ächzcndcs Motto auf ein solches Werkchen setzen? Ich sage Ihnen und Hrn.
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