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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Polnischer Monatsbericht.

X

Der Charakter der Unsicherheit und des Schwankens, welchen unsere öffent¬
lichen Zustände seit dem londoner Abkommen über Luxemburg tragen, hat sich
während des abgelaufenen Monats sast zur Caricatur verzerrt. Indessen die
Theilnahme für die Aufgaben des inneren Staatslebens im Abnehmen begriffen
erscheint, selbst die Agitation für die Reichstagswahlen mit einer Flausen be¬
trieben wird, die von der Unsicherheit und Gestaltlosigkeit des öffentlichen Urtheils
über innere Angelegenheiten deutliches Zeugniß ablegt, sind es die Fragen der aus¬
wärtigen Politik, und immer nur diese, welche Aller Köpfe und Herzen erfüllen.
Beim Beginn des Augustmonats hatten die zum Schluß der französischen Kammer
gehaltenen Reden, die Gerüchte über eine pariser Depesche in der schleswigschen
Angelegenheit, Besieh Reise nach Dänemark u. s. w. die Befürchtungen vor
einem Zusammenstoß mit dem westlichen Nachbar auf das höchste Maß gesteigert;
dann folgten ein paar ruhigere Wochen, während welcher man sich mit den
Ordres und Contreordres bezüglich der neupreußischen Provinzen und deren
Kritik beschäftigte und noch ehe man mit diesen zum Abschluß gekommen, hat
die salzburger Kaiserzusammenkunft Publikum und Publicisten wiederum in ein
Meer von Hoffnungen und Befürchtungen versenkt und jede ruhige Discussion
darüber, was wir am heimischen Heerd zu thun und zu lassen haben, unmöglich
gemacht. Indessen Freund und Feind darüber klagen, daß der preußische
Premier nur für die große auswärtige Politik Sinn habe und den Aufgaben
des inneren Staatslebens nur einzelne verflogene Augenblicke widme, machen
sie es selbst nicht besser: wenn wir das Geschrei gegen neue Steuern, directe
wie indirecte, in Abzug bringen, in welchem jener Bruchtheil der Demokratie
sich bewegt, der nur Forderungen an den Staat kennt und grundsätzlich nicht
nach den Mitteln fragt, welche demselben zu Gebote stehen -- so ist kein neuer
Gedanke ausgesprochen, kein neues Programm aufgestellt worden, das irgend¬
wo ein lebhaftes Echo gefunden hätte. Unerschöpflich an neuen Gedanken, Pro¬
gramms und Combinationen sind Zeitungsleser und Zeitungsschreiber dagegen,
sobald es sich darum handelt, für die salzburger Zusammenkunft eine Erklärung
oder Deutung zu finden. Zwar beginnt jeder der Versuche zur Feststellung
dessen, was die beiden Kaiser geredet und geplant, mit der Versicherung, daß
niemand genau wissen könne, worum es sich in den Konferenzen der abgelaufenen
Woche eigentlich gehandelt habe -- nichts desto weniger glaubt jeder, das Ge¬
heimniß derselben errathen zu können. Thatsache ist nur eins: daß um die Zeit
des napoleonischen Besuchs in Salzburg der Gedanke an einen mit östreichisch-


Polnischer Monatsbericht.

X

Der Charakter der Unsicherheit und des Schwankens, welchen unsere öffent¬
lichen Zustände seit dem londoner Abkommen über Luxemburg tragen, hat sich
während des abgelaufenen Monats sast zur Caricatur verzerrt. Indessen die
Theilnahme für die Aufgaben des inneren Staatslebens im Abnehmen begriffen
erscheint, selbst die Agitation für die Reichstagswahlen mit einer Flausen be¬
trieben wird, die von der Unsicherheit und Gestaltlosigkeit des öffentlichen Urtheils
über innere Angelegenheiten deutliches Zeugniß ablegt, sind es die Fragen der aus¬
wärtigen Politik, und immer nur diese, welche Aller Köpfe und Herzen erfüllen.
Beim Beginn des Augustmonats hatten die zum Schluß der französischen Kammer
gehaltenen Reden, die Gerüchte über eine pariser Depesche in der schleswigschen
Angelegenheit, Besieh Reise nach Dänemark u. s. w. die Befürchtungen vor
einem Zusammenstoß mit dem westlichen Nachbar auf das höchste Maß gesteigert;
dann folgten ein paar ruhigere Wochen, während welcher man sich mit den
Ordres und Contreordres bezüglich der neupreußischen Provinzen und deren
Kritik beschäftigte und noch ehe man mit diesen zum Abschluß gekommen, hat
die salzburger Kaiserzusammenkunft Publikum und Publicisten wiederum in ein
Meer von Hoffnungen und Befürchtungen versenkt und jede ruhige Discussion
darüber, was wir am heimischen Heerd zu thun und zu lassen haben, unmöglich
gemacht. Indessen Freund und Feind darüber klagen, daß der preußische
Premier nur für die große auswärtige Politik Sinn habe und den Aufgaben
des inneren Staatslebens nur einzelne verflogene Augenblicke widme, machen
sie es selbst nicht besser: wenn wir das Geschrei gegen neue Steuern, directe
wie indirecte, in Abzug bringen, in welchem jener Bruchtheil der Demokratie
sich bewegt, der nur Forderungen an den Staat kennt und grundsätzlich nicht
nach den Mitteln fragt, welche demselben zu Gebote stehen — so ist kein neuer
Gedanke ausgesprochen, kein neues Programm aufgestellt worden, das irgend¬
wo ein lebhaftes Echo gefunden hätte. Unerschöpflich an neuen Gedanken, Pro¬
gramms und Combinationen sind Zeitungsleser und Zeitungsschreiber dagegen,
sobald es sich darum handelt, für die salzburger Zusammenkunft eine Erklärung
oder Deutung zu finden. Zwar beginnt jeder der Versuche zur Feststellung
dessen, was die beiden Kaiser geredet und geplant, mit der Versicherung, daß
niemand genau wissen könne, worum es sich in den Konferenzen der abgelaufenen
Woche eigentlich gehandelt habe — nichts desto weniger glaubt jeder, das Ge¬
heimniß derselben errathen zu können. Thatsache ist nur eins: daß um die Zeit
des napoleonischen Besuchs in Salzburg der Gedanke an einen mit östreichisch-


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[0406] Polnischer Monatsbericht. X Der Charakter der Unsicherheit und des Schwankens, welchen unsere öffent¬ lichen Zustände seit dem londoner Abkommen über Luxemburg tragen, hat sich während des abgelaufenen Monats sast zur Caricatur verzerrt. Indessen die Theilnahme für die Aufgaben des inneren Staatslebens im Abnehmen begriffen erscheint, selbst die Agitation für die Reichstagswahlen mit einer Flausen be¬ trieben wird, die von der Unsicherheit und Gestaltlosigkeit des öffentlichen Urtheils über innere Angelegenheiten deutliches Zeugniß ablegt, sind es die Fragen der aus¬ wärtigen Politik, und immer nur diese, welche Aller Köpfe und Herzen erfüllen. Beim Beginn des Augustmonats hatten die zum Schluß der französischen Kammer gehaltenen Reden, die Gerüchte über eine pariser Depesche in der schleswigschen Angelegenheit, Besieh Reise nach Dänemark u. s. w. die Befürchtungen vor einem Zusammenstoß mit dem westlichen Nachbar auf das höchste Maß gesteigert; dann folgten ein paar ruhigere Wochen, während welcher man sich mit den Ordres und Contreordres bezüglich der neupreußischen Provinzen und deren Kritik beschäftigte und noch ehe man mit diesen zum Abschluß gekommen, hat die salzburger Kaiserzusammenkunft Publikum und Publicisten wiederum in ein Meer von Hoffnungen und Befürchtungen versenkt und jede ruhige Discussion darüber, was wir am heimischen Heerd zu thun und zu lassen haben, unmöglich gemacht. Indessen Freund und Feind darüber klagen, daß der preußische Premier nur für die große auswärtige Politik Sinn habe und den Aufgaben des inneren Staatslebens nur einzelne verflogene Augenblicke widme, machen sie es selbst nicht besser: wenn wir das Geschrei gegen neue Steuern, directe wie indirecte, in Abzug bringen, in welchem jener Bruchtheil der Demokratie sich bewegt, der nur Forderungen an den Staat kennt und grundsätzlich nicht nach den Mitteln fragt, welche demselben zu Gebote stehen — so ist kein neuer Gedanke ausgesprochen, kein neues Programm aufgestellt worden, das irgend¬ wo ein lebhaftes Echo gefunden hätte. Unerschöpflich an neuen Gedanken, Pro¬ gramms und Combinationen sind Zeitungsleser und Zeitungsschreiber dagegen, sobald es sich darum handelt, für die salzburger Zusammenkunft eine Erklärung oder Deutung zu finden. Zwar beginnt jeder der Versuche zur Feststellung dessen, was die beiden Kaiser geredet und geplant, mit der Versicherung, daß niemand genau wissen könne, worum es sich in den Konferenzen der abgelaufenen Woche eigentlich gehandelt habe — nichts desto weniger glaubt jeder, das Ge¬ heimniß derselben errathen zu können. Thatsache ist nur eins: daß um die Zeit des napoleonischen Besuchs in Salzburg der Gedanke an einen mit östreichisch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/406>, abgerufen am 15.01.2025.