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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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einen heiligen, allgemeinen, apostolischen, altrechtgläubigen und katholischen
Kirche" gerichtete "encyklische Botschaft", welche den Nachweis führte, daß für
die Altgläubigen hierarchischer Observanz dogmatisch kein Grund zum Haß und
zur Feindschaft gegen die griechisch orthodoxe Kirche vorliege, die hierarchische
Secte dieser vielmehr innerlich näher stehe als den anomistischen pricsterlosen
Secten, mit denen sie blos durch das Band gemeinsamer Nichtanerkennung der
Reformation des Patriarchen nitor und durch gemeinsames Märtyrerthum ver¬
bunden seien; nach einer ausführlichen Deduction derjenigen Punkte, in welchen
man mit der herrschenden Kirche übereinstimme, schloß die Botschaft mit Wünschen
für künftige gegenseitige Toleranz und Bruderliebe.

Dieses Actenstück, welches einen Einsiedler Hilarion Jegorow aus Polossa
zum Versasser hat, ist für die Geschichte der Neligionsgesellschaft, von welcher
die vorliegenden Blätter handeln, von großer Wichtigkeit gewesen und es hat
bei dem engen Zusammenhang aller Glieder derselben nicht ausbleiben können,
daß es in der Bukowina und am Bosporus eine ebenso große Rolle spielte,
wie an der Moskwa, am Don oder an den eisigen Gestaden des weißen Meeres.
Es enthält eine directe und ausdrückliche Verurteilung und Anathcmisirung
Herzens, der londoner Eirigwtion und der gottlosen und staatsgefährlichen Lehren,
durch welche diese "Söhne des gottlosen Voltaire" den Staat und die Kirche
Rußlands zu stürzen gedroht.

Die "encyklische Botschaft" hat ebensowohl Anhänger wie erbitterte Geg¬
ner gefunden, letztere namentlich in der Türkei und unter den rohen, fanati-
sirten Massen in Moskau; sie ist von dem "Concil" und vom Metropoliten
wiederholt verurtheilt und verworfen, bei veränderten Umständen wieder ganz
oder zum Theil anerkannt worden, ans der Welt zu schaffen war sie aber
nicht mehr. Ihre Hauptwirkung war die, daß die mühsam hergestellte Ein¬
heit aller Gemeinden und die Unterordnung unter den Metropoliten von Bjelokrinitz
gesprengt wurde; derselbe wird gegenwärtig von einem Theil der russischen alt¬
gläubigen Bischöfe anerkannt, von der Mehrzahl verworfen, die Zersetzung des
sectirerischen Organismus ist im Zunehmen begriffen, hervorragende Glieder
derselben sind zum "glaubensvereinten Ritus" (einer staatlich anerkannten
Spielart der griechisch orthodoxen Kirche, welche an die Grundsätze dieser
sich anlehnt, aber gewisse rituale Bräuche der Altgläubigen adoptirt hat) über¬
getreten -- kurz um die politische Bedeutung des Papstthums von Bjelokrinitz
ist es geschehen. Die Ungläubigkeit hat aufgehört eine Waffe der politischen
Propaganda zu sein, ihre Beziehungen zu der londoner Emigration und zu den
Polnischen Flüchtlingen in der Türkei bestehen nicht mehr, oder spielen keine
Rolle -- trotzdem, daß Genossen Herzens bis in die neueste Zeit versucht haben,
Bjelokrinitz zum Centrum einer Agitation zu machen, deren Aufgabe es sein
sollte, den Schwerpunkt des Schisma in die Bukowina oder Türkei zu verlegen und


Grenzboten III. 1867. 50

einen heiligen, allgemeinen, apostolischen, altrechtgläubigen und katholischen
Kirche" gerichtete „encyklische Botschaft", welche den Nachweis führte, daß für
die Altgläubigen hierarchischer Observanz dogmatisch kein Grund zum Haß und
zur Feindschaft gegen die griechisch orthodoxe Kirche vorliege, die hierarchische
Secte dieser vielmehr innerlich näher stehe als den anomistischen pricsterlosen
Secten, mit denen sie blos durch das Band gemeinsamer Nichtanerkennung der
Reformation des Patriarchen nitor und durch gemeinsames Märtyrerthum ver¬
bunden seien; nach einer ausführlichen Deduction derjenigen Punkte, in welchen
man mit der herrschenden Kirche übereinstimme, schloß die Botschaft mit Wünschen
für künftige gegenseitige Toleranz und Bruderliebe.

Dieses Actenstück, welches einen Einsiedler Hilarion Jegorow aus Polossa
zum Versasser hat, ist für die Geschichte der Neligionsgesellschaft, von welcher
die vorliegenden Blätter handeln, von großer Wichtigkeit gewesen und es hat
bei dem engen Zusammenhang aller Glieder derselben nicht ausbleiben können,
daß es in der Bukowina und am Bosporus eine ebenso große Rolle spielte,
wie an der Moskwa, am Don oder an den eisigen Gestaden des weißen Meeres.
Es enthält eine directe und ausdrückliche Verurteilung und Anathcmisirung
Herzens, der londoner Eirigwtion und der gottlosen und staatsgefährlichen Lehren,
durch welche diese „Söhne des gottlosen Voltaire" den Staat und die Kirche
Rußlands zu stürzen gedroht.

Die „encyklische Botschaft" hat ebensowohl Anhänger wie erbitterte Geg¬
ner gefunden, letztere namentlich in der Türkei und unter den rohen, fanati-
sirten Massen in Moskau; sie ist von dem „Concil" und vom Metropoliten
wiederholt verurtheilt und verworfen, bei veränderten Umständen wieder ganz
oder zum Theil anerkannt worden, ans der Welt zu schaffen war sie aber
nicht mehr. Ihre Hauptwirkung war die, daß die mühsam hergestellte Ein¬
heit aller Gemeinden und die Unterordnung unter den Metropoliten von Bjelokrinitz
gesprengt wurde; derselbe wird gegenwärtig von einem Theil der russischen alt¬
gläubigen Bischöfe anerkannt, von der Mehrzahl verworfen, die Zersetzung des
sectirerischen Organismus ist im Zunehmen begriffen, hervorragende Glieder
derselben sind zum „glaubensvereinten Ritus" (einer staatlich anerkannten
Spielart der griechisch orthodoxen Kirche, welche an die Grundsätze dieser
sich anlehnt, aber gewisse rituale Bräuche der Altgläubigen adoptirt hat) über¬
getreten — kurz um die politische Bedeutung des Papstthums von Bjelokrinitz
ist es geschehen. Die Ungläubigkeit hat aufgehört eine Waffe der politischen
Propaganda zu sein, ihre Beziehungen zu der londoner Emigration und zu den
Polnischen Flüchtlingen in der Türkei bestehen nicht mehr, oder spielen keine
Rolle — trotzdem, daß Genossen Herzens bis in die neueste Zeit versucht haben,
Bjelokrinitz zum Centrum einer Agitation zu machen, deren Aufgabe es sein
sollte, den Schwerpunkt des Schisma in die Bukowina oder Türkei zu verlegen und


Grenzboten III. 1867. 50
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/403>, abgerufen am 15.01.2025.