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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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ketzerischen) Regierung sorgfältig gehütet hatten und in Verdanke standen, weder
diese noch den Kaiser anzuerkennen, fragten in der Stille bei dnn moskauer
Generalgouvemeur General Tutschkow an, ob man es gern sehen würde, wenn
sie Namens ihrer sämmtlichen Glaubensgenossen Sr. Majestät eine Loyalitäts¬
adresse unterbreiteten. Tutschkow, der beim Empfang dieser unerhörten Neuig¬
keit kaum seinen Ohren trauen wollte, fragte in Petersburg an und erhielt
eine zustimmende Antwort. Auf die Nachricht von dieser war der Entschluß der
maßgebenden Aeltestenpartci rasch gefaßt. Am 28. Februar 1863 überreichte
eine größere Anzahl einflußreicher Gemeindeglieder dem noch immer versammel¬
ten bischöflichen Concil eine ausführliche Eingabe, in welcher sie die Bischöfe
ersuchten, in Anbetracht des Verdachtes, welchen der Verkehr mit einem Aus¬
länder, wie der Metropolit einer sei, in den gegenwärtigen unruhigen Zeit¬
läuften bei der Obrigkeit erwecken könne, sowie in Anbetracht dessen, daß Se.
Majestät der Kaiser wegen des zur Zeit tobenden polnischen Aufstandes einen
besonderen Anspruch an die unbedingte Hingabe und Loyalität aller getreuen
Unterthanen habe, dahin zu wirken, daß der hochwürdige Metropolit sofort
Rußland verlasse und seine Beziehungen zu den russischen Gemeinden wenig¬
stens für einige Zeit einstelle. Die gegen den Oberhirten bereits erbitterten
Bischöfe nahmen an dieser Erklärung Veranlassung, Kyrill zur Abreise zu ver¬
mögen und diesem blieb nichts übrig, als nach Ernennung eines interimistischen
Stellvertreters das Feld zu räumen. Ermuthigt durch diese raschen Erfolge
gingen die Männer, welche auf eine Aussöhnung mit der Regierung rechneten,
raschen Schritts weiter. Sie erließen sofort eine an den Kaiser gerichtete Adresse,
in welcher versichert wurde, die Altgläubigen hierarchischer Observanz hielten
zwar mit unerschütterlicher Treue an den Satzungen und Gebräuchen der Väter
fest, seien aber nichts desto weniger streng loyale Unterthanen, die gern bereit
seien, für Thron und Vaterland den letzten Blutstropfen zu verspritzen. Der
Eindruck, den diese Erklärung im gesammten russischen Reich machte, war größer,
als die Altgläubigen selbst erwartet hatten und rechtfertigte ihre Erwartungen
in jeder Beziehung.

Zu einer förmlichen Anerkennung der sectirerischcn Rcligionsgesellschaft und
ihres Klerus konnte die Regierung sich, namentlich aus Rücksicht auf die or¬
thodoxe Geistlichkeit, zwar nicht verstehen -- sie that aber, was unter den ge¬
gebenen Verhältnissen irgend möglich und thunlich schien. Die Gouverneure,
Polizei und Verwaltungsbeamten wurden unter der Hand angewiesen, die Alt¬
gläubigen zuvorkommend und schonend zu behandeln, die Ausschließung der Kin¬
der derselben von den öffentlichen Lehranstalten wurde, gleichfalls in der Stille,
aufgehoben und die Anerkennung der von altgläubigen Priestern eingesegneten
Ehen von Fall zu Fall nicht mehr verweigert. Jetzt gingen auch die Altgläu¬
bigen einen Schritt weiter: im März erschien eine "an alle geliebten Kinder der


ketzerischen) Regierung sorgfältig gehütet hatten und in Verdanke standen, weder
diese noch den Kaiser anzuerkennen, fragten in der Stille bei dnn moskauer
Generalgouvemeur General Tutschkow an, ob man es gern sehen würde, wenn
sie Namens ihrer sämmtlichen Glaubensgenossen Sr. Majestät eine Loyalitäts¬
adresse unterbreiteten. Tutschkow, der beim Empfang dieser unerhörten Neuig¬
keit kaum seinen Ohren trauen wollte, fragte in Petersburg an und erhielt
eine zustimmende Antwort. Auf die Nachricht von dieser war der Entschluß der
maßgebenden Aeltestenpartci rasch gefaßt. Am 28. Februar 1863 überreichte
eine größere Anzahl einflußreicher Gemeindeglieder dem noch immer versammel¬
ten bischöflichen Concil eine ausführliche Eingabe, in welcher sie die Bischöfe
ersuchten, in Anbetracht des Verdachtes, welchen der Verkehr mit einem Aus¬
länder, wie der Metropolit einer sei, in den gegenwärtigen unruhigen Zeit¬
läuften bei der Obrigkeit erwecken könne, sowie in Anbetracht dessen, daß Se.
Majestät der Kaiser wegen des zur Zeit tobenden polnischen Aufstandes einen
besonderen Anspruch an die unbedingte Hingabe und Loyalität aller getreuen
Unterthanen habe, dahin zu wirken, daß der hochwürdige Metropolit sofort
Rußland verlasse und seine Beziehungen zu den russischen Gemeinden wenig¬
stens für einige Zeit einstelle. Die gegen den Oberhirten bereits erbitterten
Bischöfe nahmen an dieser Erklärung Veranlassung, Kyrill zur Abreise zu ver¬
mögen und diesem blieb nichts übrig, als nach Ernennung eines interimistischen
Stellvertreters das Feld zu räumen. Ermuthigt durch diese raschen Erfolge
gingen die Männer, welche auf eine Aussöhnung mit der Regierung rechneten,
raschen Schritts weiter. Sie erließen sofort eine an den Kaiser gerichtete Adresse,
in welcher versichert wurde, die Altgläubigen hierarchischer Observanz hielten
zwar mit unerschütterlicher Treue an den Satzungen und Gebräuchen der Väter
fest, seien aber nichts desto weniger streng loyale Unterthanen, die gern bereit
seien, für Thron und Vaterland den letzten Blutstropfen zu verspritzen. Der
Eindruck, den diese Erklärung im gesammten russischen Reich machte, war größer,
als die Altgläubigen selbst erwartet hatten und rechtfertigte ihre Erwartungen
in jeder Beziehung.

Zu einer förmlichen Anerkennung der sectirerischcn Rcligionsgesellschaft und
ihres Klerus konnte die Regierung sich, namentlich aus Rücksicht auf die or¬
thodoxe Geistlichkeit, zwar nicht verstehen — sie that aber, was unter den ge¬
gebenen Verhältnissen irgend möglich und thunlich schien. Die Gouverneure,
Polizei und Verwaltungsbeamten wurden unter der Hand angewiesen, die Alt¬
gläubigen zuvorkommend und schonend zu behandeln, die Ausschließung der Kin¬
der derselben von den öffentlichen Lehranstalten wurde, gleichfalls in der Stille,
aufgehoben und die Anerkennung der von altgläubigen Priestern eingesegneten
Ehen von Fall zu Fall nicht mehr verweigert. Jetzt gingen auch die Altgläu¬
bigen einen Schritt weiter: im März erschien eine „an alle geliebten Kinder der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/402>, abgerufen am 15.01.2025.