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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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war, von der Hellebarde eines Schweizers zurechtgewiesen wurde. Er lernte
übrigens, zumal beim Aufenthalt in der Campagna, auch Engländer kennen,
mit denen er sehr befreundet wurde. Aber dann regte ihr Umgang nur aufs
neue jenes peinliche Gefühl der Demüthigung in ihm an. Ich erröthete --
sind seine Worte -- ein Italiener zu sein. Ich kann es gar nicht sagen, welche
Scham ich über den damaligen politischen Zustand Italiens empfand. Es war
mir, als trüge ich die Schuld daran, als sei mir ein Brandmal auf die Stirn
gedrückt, in jedem Wort witterte ich eine Anspielung, alle Blicke schienen aus
mich gerichtet. Die Kälte der Engländer, die Gleichgiltigkeit, welche die meisten
von ihnen, wie natürlich, einem Jungen wie mir gegenüber zur Schau trugen,
der ruhige, sichere Stolz, der ihnen auf der Stirn stand, schienen mir eigens
für mich gemacht, um mich zu quälen, um mich meine Niedrigkeit fühlen zu
lassen, um mir zu verstehen zu geben, daß, wenn eine Nation seit Jahrhunderten
jedem gehört, der sie nimmt, wenn sie zugiebt, daß von allen vier Winden
kommt wer mag, um sich da gütlich zu thun, wie die Jäger da sich zusammen¬
finden, wo es viel Wild giebt, daß dann der Angehörige einer solchen Nation unter
den Fremden wohl geduldet sein, aber niemals als einer ihresgleichen sich fühlen
kann. Dieses Gefühl der Erniedrigung hat mir fast mein ganzes Leben traurige
Gesellschaft geleistet, es ist zum Theil Schuld daran, daß ich so wenig Lust hatte
Reisen außerhalb Italiens zu machen oder Gesellschaft von Fremden zu besuchen.
Immer bin ich in diesem Punkt von krankhafter Empfindlichkeit gewesen, anders
als der glückliche Gioberti, der sich freute, bei den Italienern den Primat zu
entdecken! Erst in den Jahren 1848 bis 18S9, gesteht Azcgliv, sei dieser pein¬
liche Gedanke völlig bei ihm verschwunden.

Bezeichnend ist nun aber für seinen gesunden Menschenverstand und die
Loyalität seiner Denkart, daß er von Anfang an ein abgesagter Feind aller
Conspiration war. Er befand sich im Frühjahr 1820 in Turin, als die Be¬
wegung sich vorbereitete, die im folgenden Jahr zum Ausbruch kam. Er haßte
die Fremdherrschaft, er brannte vor Begierde sich mit den Oestreichern zu schlagen,
aber er sah für den Augenblick keine Möglichkeit dazu. Er war mit dem größten
Theil der Verschworenen bekannt, zum Theil verwandt, aber er selbst trat in
keine geheime Verbindung, war nie Carbonaro, nicht einmal Freimaurer. Nicht
blos von seinen spätern Erfahrungen aus spricht er ein scharfes Urtheil über
diese Revolution, sondern schon damals sah er in einer Militärverschwvrung
die schlimmste und verwerflichste aller Revolutionen, in den geheimen Gesell¬
schaften einen Auswuchs des brutalen Absolutismus, der von dem gewünschten
Ziele nur abführen könne. Er erkannte überdies, daß die in den geheimen Ge¬
sellschaften ausgebrüteten Ideen nicht den mindesten Boden im Volke selbst
hatten. Allzusrisch war in Italien die Erinnerung an die napoleonische Militär-
Herrschaft, an die Evntinentalspene, an die willkürlichen Staatenbildungen und


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war, von der Hellebarde eines Schweizers zurechtgewiesen wurde. Er lernte
übrigens, zumal beim Aufenthalt in der Campagna, auch Engländer kennen,
mit denen er sehr befreundet wurde. Aber dann regte ihr Umgang nur aufs
neue jenes peinliche Gefühl der Demüthigung in ihm an. Ich erröthete —
sind seine Worte — ein Italiener zu sein. Ich kann es gar nicht sagen, welche
Scham ich über den damaligen politischen Zustand Italiens empfand. Es war
mir, als trüge ich die Schuld daran, als sei mir ein Brandmal auf die Stirn
gedrückt, in jedem Wort witterte ich eine Anspielung, alle Blicke schienen aus
mich gerichtet. Die Kälte der Engländer, die Gleichgiltigkeit, welche die meisten
von ihnen, wie natürlich, einem Jungen wie mir gegenüber zur Schau trugen,
der ruhige, sichere Stolz, der ihnen auf der Stirn stand, schienen mir eigens
für mich gemacht, um mich zu quälen, um mich meine Niedrigkeit fühlen zu
lassen, um mir zu verstehen zu geben, daß, wenn eine Nation seit Jahrhunderten
jedem gehört, der sie nimmt, wenn sie zugiebt, daß von allen vier Winden
kommt wer mag, um sich da gütlich zu thun, wie die Jäger da sich zusammen¬
finden, wo es viel Wild giebt, daß dann der Angehörige einer solchen Nation unter
den Fremden wohl geduldet sein, aber niemals als einer ihresgleichen sich fühlen
kann. Dieses Gefühl der Erniedrigung hat mir fast mein ganzes Leben traurige
Gesellschaft geleistet, es ist zum Theil Schuld daran, daß ich so wenig Lust hatte
Reisen außerhalb Italiens zu machen oder Gesellschaft von Fremden zu besuchen.
Immer bin ich in diesem Punkt von krankhafter Empfindlichkeit gewesen, anders
als der glückliche Gioberti, der sich freute, bei den Italienern den Primat zu
entdecken! Erst in den Jahren 1848 bis 18S9, gesteht Azcgliv, sei dieser pein¬
liche Gedanke völlig bei ihm verschwunden.

Bezeichnend ist nun aber für seinen gesunden Menschenverstand und die
Loyalität seiner Denkart, daß er von Anfang an ein abgesagter Feind aller
Conspiration war. Er befand sich im Frühjahr 1820 in Turin, als die Be¬
wegung sich vorbereitete, die im folgenden Jahr zum Ausbruch kam. Er haßte
die Fremdherrschaft, er brannte vor Begierde sich mit den Oestreichern zu schlagen,
aber er sah für den Augenblick keine Möglichkeit dazu. Er war mit dem größten
Theil der Verschworenen bekannt, zum Theil verwandt, aber er selbst trat in
keine geheime Verbindung, war nie Carbonaro, nicht einmal Freimaurer. Nicht
blos von seinen spätern Erfahrungen aus spricht er ein scharfes Urtheil über
diese Revolution, sondern schon damals sah er in einer Militärverschwvrung
die schlimmste und verwerflichste aller Revolutionen, in den geheimen Gesell¬
schaften einen Auswuchs des brutalen Absolutismus, der von dem gewünschten
Ziele nur abführen könne. Er erkannte überdies, daß die in den geheimen Ge¬
sellschaften ausgebrüteten Ideen nicht den mindesten Boden im Volke selbst
hatten. Allzusrisch war in Italien die Erinnerung an die napoleonische Militär-
Herrschaft, an die Evntinentalspene, an die willkürlichen Staatenbildungen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/389>, abgerufen am 15.01.2025.