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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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und ihm nicht mit Worten die großen Wohlthaten, die er mir mit der That
erwiesen hat, vergelten wollte. Ich bin, wie ihr wißt, Bürger, so gut wie der
da -- und damit wies er auf seinen Nebenmann, der auch aufstand --und wir fuhren,
es ist jetzt das dritte Jahr, in dem Schiffe des Tolles zur See. Als das
Schiff am kaphareischen Vorgebirge gescheitert war, wurden unser von sehr vielen
nur ganz wenige gerettet. Einige, die noch etwas Geld im Beutel hatten
nahmen Purpurfischer auf. wir, die wir ganz nackt an den Strand geworfen
wurden, schlugen einen Fußpfad ein, in der Hoffnung, bei Hirten ein Unter-
kommen zu finden, da wir vor Hunger und Durst umkommen wollten. Mit
aller Noth kamen wir auch zu ein paar Hütten und stellten uns hin und riefen.
Da kam der Mann da heraus und führte uns hinein, machte dann ein
Feuer an, nicht gleich ein großes, sondern allmälig, und den einen rieb er. den
andern seine Frau mit Fett ein, denn Oel hatten sie nicht; darauf begossen
sie uns mit warmem Wasser, bis sie uns ganz wieder erwärmt hatten. Dann
mußten wir uns lagern und sie deckten uns zu mit dem was sie hatten und
setzten uns Weizenbrod vor, während sie Hirsebrei aßen, schenkten uns Wein
ein, während sie Wasser tranken und brieten und kochten für uns Wildpret
im Ueberfluß. Am folgenden Tage wollten wir fortgehen, aber sie hielten
uns drei Tage und gaben uns dann das Geleit bis in die Ebene und schenkten
uns noch beim Abschied Fleisch und jedem ein sehr schönes Fell. Da er sah,
daß ich von dem ausgestandenen Ungemach mich noch sehr unwohl befand, ließ
er mich das Kleid anziehen, welches seine Tochter ausziehen mußte,*) die sich
dann einen andern alten Lumpen umthat; das gab ich ihm wieder, als wir ins
Dorf kamen. So hat uns damals nächst den Göttern dieser Mann das Leben
gerettet.

Das hörte das Volk nun mit Vergnügen an und man rief mir Beifall zu.
Mir war auch alles wieder ins Gedächtniß gekommen, ich sagte i Willkommen
Sotades! ging auf ihn zu und küßte ihn wie den andern. Darüber lachte das
Volk sehr und ich merkte, daß man in der Stadt einander nicht küßt. Nun
trat der Mann wieder auf, der schon vorher so billig gesprochen hatte und
sagte: Mitbürger, ich schlage vor, daß wir diesen Mann ins Stadthaus zu
Gaste laden.**) Wenn er im Kriege einen Bürger beschützt und gerettet hätte,
würden ihm große Belohnungen zu Theil; soll er, der zwei Bürger erhalten hat,
vielleicht auch mehrere, die jetzt nur nickt zugegen sind, ohne Anerkennung bleiben?




") Der einfache dorische Chiton bestand aus zwei Stücken Zeug, welche auf den Schultern
durch Spangen zusammengehalten und um den Leib gegürtet wurden. Es konnte daher mit
einiger Accommodotion von Männern und Frauen dasselbe Kleidungsstück getragen werden.
Im Prytaneivn wurden auf öffentliche Kosten die Magistrotsvcrsonen. Gesandte
gespeist und gleiche Ehre wurde auch verdienten Mitbürgern oder Fremden für einzelne Fälle
oder auf Lebenszeit erwiesen.

und ihm nicht mit Worten die großen Wohlthaten, die er mir mit der That
erwiesen hat, vergelten wollte. Ich bin, wie ihr wißt, Bürger, so gut wie der
da — und damit wies er auf seinen Nebenmann, der auch aufstand —und wir fuhren,
es ist jetzt das dritte Jahr, in dem Schiffe des Tolles zur See. Als das
Schiff am kaphareischen Vorgebirge gescheitert war, wurden unser von sehr vielen
nur ganz wenige gerettet. Einige, die noch etwas Geld im Beutel hatten
nahmen Purpurfischer auf. wir, die wir ganz nackt an den Strand geworfen
wurden, schlugen einen Fußpfad ein, in der Hoffnung, bei Hirten ein Unter-
kommen zu finden, da wir vor Hunger und Durst umkommen wollten. Mit
aller Noth kamen wir auch zu ein paar Hütten und stellten uns hin und riefen.
Da kam der Mann da heraus und führte uns hinein, machte dann ein
Feuer an, nicht gleich ein großes, sondern allmälig, und den einen rieb er. den
andern seine Frau mit Fett ein, denn Oel hatten sie nicht; darauf begossen
sie uns mit warmem Wasser, bis sie uns ganz wieder erwärmt hatten. Dann
mußten wir uns lagern und sie deckten uns zu mit dem was sie hatten und
setzten uns Weizenbrod vor, während sie Hirsebrei aßen, schenkten uns Wein
ein, während sie Wasser tranken und brieten und kochten für uns Wildpret
im Ueberfluß. Am folgenden Tage wollten wir fortgehen, aber sie hielten
uns drei Tage und gaben uns dann das Geleit bis in die Ebene und schenkten
uns noch beim Abschied Fleisch und jedem ein sehr schönes Fell. Da er sah,
daß ich von dem ausgestandenen Ungemach mich noch sehr unwohl befand, ließ
er mich das Kleid anziehen, welches seine Tochter ausziehen mußte,*) die sich
dann einen andern alten Lumpen umthat; das gab ich ihm wieder, als wir ins
Dorf kamen. So hat uns damals nächst den Göttern dieser Mann das Leben
gerettet.

Das hörte das Volk nun mit Vergnügen an und man rief mir Beifall zu.
Mir war auch alles wieder ins Gedächtniß gekommen, ich sagte i Willkommen
Sotades! ging auf ihn zu und küßte ihn wie den andern. Darüber lachte das
Volk sehr und ich merkte, daß man in der Stadt einander nicht küßt. Nun
trat der Mann wieder auf, der schon vorher so billig gesprochen hatte und
sagte: Mitbürger, ich schlage vor, daß wir diesen Mann ins Stadthaus zu
Gaste laden.**) Wenn er im Kriege einen Bürger beschützt und gerettet hätte,
würden ihm große Belohnungen zu Theil; soll er, der zwei Bürger erhalten hat,
vielleicht auch mehrere, die jetzt nur nickt zugegen sind, ohne Anerkennung bleiben?




") Der einfache dorische Chiton bestand aus zwei Stücken Zeug, welche auf den Schultern
durch Spangen zusammengehalten und um den Leib gegürtet wurden. Es konnte daher mit
einiger Accommodotion von Männern und Frauen dasselbe Kleidungsstück getragen werden.
Im Prytaneivn wurden auf öffentliche Kosten die Magistrotsvcrsonen. Gesandte
gespeist und gleiche Ehre wurde auch verdienten Mitbürgern oder Fremden für einzelne Fälle
oder auf Lebenszeit erwiesen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/383>, abgerufen am 15.01.2025.