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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Ob einer der in solchen Sammlungen bewahrten Briefe echt sei, muß der
Forscher untersuchen, der ihn benutzen will -- zur Unterhaltung und zur Ein¬
führung in das Leben und Treiben der Zeit sind die erdichteten Briefe oft eben¬
so geeignet als die echten.


G. Kaufmann.


Die russischen Altgläubigen und der orientalische Krieg.

(Vrgl. Ur. 33 der Grenzboten "Die russische Emigration in Oestreich und der Türkei"
und Ur. 34- "Der erste Erzbischof von Bjeloknnitz".)

In den Jahren, welche dem orientalischen Kriege vorhergingen, waren die in der
Bukowina lebenden Altgläubigen der hierarchischen Observanz eifrig bemüht ge¬
wesen, die Reorganisation ihres Klerus zu vervollständigen und demselben eine streng
hierarchische Einheit zu geben. Trotzdem das? die östreichische Regierung zur Vorbeu¬
gung künftiger Conflicte mit Rußland die Begründung eines altgläubigen Mctro-
politansitzes zu Bjelokrinitz nur unter der Bedingung gestattet hatte, daß alle Bezie¬
hungen zu den in Nußland und der Türkei lebenden Sectirern abgebrochen,
russischen Flüchtlingen in Zukunft keine Zufluchtsstätte in der Bukowina geöff¬
net würde, machte Bjelokrinitz mehr und mehr Miene, zum Rom der alt¬
gläubigen Welt des Ostens zu werden. In Moskau und Tula wie in den nörd¬
lichen Provinzen der Türkei lebten altgläubige Bischöfe und Erzbischöfe. die
von Kyrill, dem zum Nachfolger des Ambrosius gewählten zweiten Metro¬
politen, geweiht worden waren und diesen, wenigstens insgeheim, als ihr
Oberhaupt ansahen; selbstverständlich erkannte die russische Regierung diese
scctirerischen Prälaten, die dem Staate gegenüber für gewöhnliche Kaufleute
oder Industrielle galten, auch von ihren kirchlichen verschiedene weltliche Namen
führten, nicht an. Aber grade darum genossen sie bei ihren Glaubensgenossen
hohes Ansehen und weitgreifenden Einfluß. Anders war es in der Türkei,
wo diese Geistlichen, Dank dem Einfluß Czaykowskis (Sadik-Paschas) offen be¬
günstigt wurden und nur mit dem Mißtrauen der Gläubigen, namentlich der
Nekrassowkosakcn zu kämpfen hatten. Nach Ansicht der russischen Sectircr ist
nämlich die Führung von Kirchenbüchern eine Todsünde (die Altgläubigen
stützen sich auf jene Erzählung des Alten Testaments, nach welcher David vom


Ob einer der in solchen Sammlungen bewahrten Briefe echt sei, muß der
Forscher untersuchen, der ihn benutzen will — zur Unterhaltung und zur Ein¬
führung in das Leben und Treiben der Zeit sind die erdichteten Briefe oft eben¬
so geeignet als die echten.


G. Kaufmann.


Die russischen Altgläubigen und der orientalische Krieg.

(Vrgl. Ur. 33 der Grenzboten „Die russische Emigration in Oestreich und der Türkei"
und Ur. 34- „Der erste Erzbischof von Bjeloknnitz".)

In den Jahren, welche dem orientalischen Kriege vorhergingen, waren die in der
Bukowina lebenden Altgläubigen der hierarchischen Observanz eifrig bemüht ge¬
wesen, die Reorganisation ihres Klerus zu vervollständigen und demselben eine streng
hierarchische Einheit zu geben. Trotzdem das? die östreichische Regierung zur Vorbeu¬
gung künftiger Conflicte mit Rußland die Begründung eines altgläubigen Mctro-
politansitzes zu Bjelokrinitz nur unter der Bedingung gestattet hatte, daß alle Bezie¬
hungen zu den in Nußland und der Türkei lebenden Sectirern abgebrochen,
russischen Flüchtlingen in Zukunft keine Zufluchtsstätte in der Bukowina geöff¬
net würde, machte Bjelokrinitz mehr und mehr Miene, zum Rom der alt¬
gläubigen Welt des Ostens zu werden. In Moskau und Tula wie in den nörd¬
lichen Provinzen der Türkei lebten altgläubige Bischöfe und Erzbischöfe. die
von Kyrill, dem zum Nachfolger des Ambrosius gewählten zweiten Metro¬
politen, geweiht worden waren und diesen, wenigstens insgeheim, als ihr
Oberhaupt ansahen; selbstverständlich erkannte die russische Regierung diese
scctirerischen Prälaten, die dem Staate gegenüber für gewöhnliche Kaufleute
oder Industrielle galten, auch von ihren kirchlichen verschiedene weltliche Namen
führten, nicht an. Aber grade darum genossen sie bei ihren Glaubensgenossen
hohes Ansehen und weitgreifenden Einfluß. Anders war es in der Türkei,
wo diese Geistlichen, Dank dem Einfluß Czaykowskis (Sadik-Paschas) offen be¬
günstigt wurden und nur mit dem Mißtrauen der Gläubigen, namentlich der
Nekrassowkosakcn zu kämpfen hatten. Nach Ansicht der russischen Sectircr ist
nämlich die Führung von Kirchenbüchern eine Todsünde (die Altgläubigen
stützen sich auf jene Erzählung des Alten Testaments, nach welcher David vom


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[0350] Ob einer der in solchen Sammlungen bewahrten Briefe echt sei, muß der Forscher untersuchen, der ihn benutzen will — zur Unterhaltung und zur Ein¬ führung in das Leben und Treiben der Zeit sind die erdichteten Briefe oft eben¬ so geeignet als die echten. G. Kaufmann. Die russischen Altgläubigen und der orientalische Krieg. (Vrgl. Ur. 33 der Grenzboten „Die russische Emigration in Oestreich und der Türkei" und Ur. 34- „Der erste Erzbischof von Bjeloknnitz".) In den Jahren, welche dem orientalischen Kriege vorhergingen, waren die in der Bukowina lebenden Altgläubigen der hierarchischen Observanz eifrig bemüht ge¬ wesen, die Reorganisation ihres Klerus zu vervollständigen und demselben eine streng hierarchische Einheit zu geben. Trotzdem das? die östreichische Regierung zur Vorbeu¬ gung künftiger Conflicte mit Rußland die Begründung eines altgläubigen Mctro- politansitzes zu Bjelokrinitz nur unter der Bedingung gestattet hatte, daß alle Bezie¬ hungen zu den in Nußland und der Türkei lebenden Sectirern abgebrochen, russischen Flüchtlingen in Zukunft keine Zufluchtsstätte in der Bukowina geöff¬ net würde, machte Bjelokrinitz mehr und mehr Miene, zum Rom der alt¬ gläubigen Welt des Ostens zu werden. In Moskau und Tula wie in den nörd¬ lichen Provinzen der Türkei lebten altgläubige Bischöfe und Erzbischöfe. die von Kyrill, dem zum Nachfolger des Ambrosius gewählten zweiten Metro¬ politen, geweiht worden waren und diesen, wenigstens insgeheim, als ihr Oberhaupt ansahen; selbstverständlich erkannte die russische Regierung diese scctirerischen Prälaten, die dem Staate gegenüber für gewöhnliche Kaufleute oder Industrielle galten, auch von ihren kirchlichen verschiedene weltliche Namen führten, nicht an. Aber grade darum genossen sie bei ihren Glaubensgenossen hohes Ansehen und weitgreifenden Einfluß. Anders war es in der Türkei, wo diese Geistlichen, Dank dem Einfluß Czaykowskis (Sadik-Paschas) offen be¬ günstigt wurden und nur mit dem Mißtrauen der Gläubigen, namentlich der Nekrassowkosakcn zu kämpfen hatten. Nach Ansicht der russischen Sectircr ist nämlich die Führung von Kirchenbüchern eine Todsünde (die Altgläubigen stützen sich auf jene Erzählung des Alten Testaments, nach welcher David vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/350>, abgerufen am 15.01.2025.