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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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ihm als müßte er entscheidende Beschlüsse fassen. Sein ersterer Freund und
Vetter Cesare Balbo trat ihm damals besonders nahe. Wieder gingen ihm
poetische Pläne durch den Kopf. In dieser Stimmung beschloß er nach Mai-
land überzusiedeln.

Und wirklich begann für ihn in Mailand eine Vita nuova. Es war zu¬
nächst das Interesse seiner Kunst, das ihn dahin führte. In Turin waren die
Künste geduldet, wie die Juden im Ghetto. In Mailand dagegen wirkten ver¬
schiedene Umstände zusammen, ein künstlerisches Leben von Bedeutung hervor¬
zubringen. Es gehörte zur Mode neuere Bilder anzuschaffen. Die reichen
Herren legten sich Galerien an, selbst die minder Reichen legten sich Ersparnisse
auf, um ein Bild von diesem oder jenem Künstler zu besitzen, und allgemein
bekannt war ein Schuhmacher, der den besten Künstlern Schuhe und Stiefel
machte, und anstatt der Bezahlung Skizzen, Bilder. Statuetten, Modelle von
ihnen nahm. Die Mailänder Kunst hatte damals namhafte Vertreter, und unter
dieser Anregung begann nun die fruchtbarste Zeit für Azeglios künstlerisches
Schaffen. Sein Ruhm war jetzt festbegründet, trotz der Leichtigkeit seines
Talents konnte er kaum den Aufträgen genügen; jedes Jahr erschien er auf
der Ausstellung der Brera mit einer Reihe neuer Bilder, theils Landschaften,
zu denen er die Skizzen aus seinen Künfllerfahrten durch Italien gesammelt,
theils historischen Darstellungen, meist mittelalterlicher Stosse. Die "romantische"
Landschaft, die nicht mehr, wie bis dahin ausschließlich, mit Hirten und Vieh,
sondern mit Schlachten, mit Rittern und Edelfräulein bevölkert war, führte er
zuerst in Italien ein.

Indessen hatte er bei der Uebersiedlung nach Mailand nicht allein die
Kunst im Auge, für die er hier ungleich größere Anregung fand. Er empfand
das Bedürfniß, ein regelmäßigeres, stabileres Leben zu führen, er kaufte ein
Haus, er heirathete, gründete eine Familie, und es schien, als hätte er nun
hier seine dauernde Niederlassung gefunden. Als Schwiegersohn Manzonis trat
er zugleich in die literarischen Kreise Mailands ein; insbesondere mit Tommaso
Grossi war er eng befreundet- Leider sind jedoch die Mittheilungen, die Aze-
glio aus dem literarischen Leben, das sich damals in Mailand um Manzoni
als Mittelpunkt gebildet hatte, nicht so ausführlich, als man wünschen möchte.
Hoffentlich werden die von dem Haupt der Romantiker selbst zu erwartenden
Denkwürdigkeiten diese Lücke ausfüllen.

Schon in Turin hatte Azeglio selbst angefangen einen Roman zu schreiben.
Der Gegenstand war eine patriotische Episode aus den Kriegen im Anfang des
16. Jahrhunderts, die Herausforderung von Barletta, die damals auch seinen
Pinsel beschäftigte. Jetzt wurde der Roman, dessen Held Eitore Fieramosca,
unter dem Rath der Freunde vollendet und 1833 herausgegeben. Er, wie der
andere Roman, der im Jahre 1841 erschien, Niccolo de'Lapi oder die Belage-


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ihm als müßte er entscheidende Beschlüsse fassen. Sein ersterer Freund und
Vetter Cesare Balbo trat ihm damals besonders nahe. Wieder gingen ihm
poetische Pläne durch den Kopf. In dieser Stimmung beschloß er nach Mai-
land überzusiedeln.

Und wirklich begann für ihn in Mailand eine Vita nuova. Es war zu¬
nächst das Interesse seiner Kunst, das ihn dahin führte. In Turin waren die
Künste geduldet, wie die Juden im Ghetto. In Mailand dagegen wirkten ver¬
schiedene Umstände zusammen, ein künstlerisches Leben von Bedeutung hervor¬
zubringen. Es gehörte zur Mode neuere Bilder anzuschaffen. Die reichen
Herren legten sich Galerien an, selbst die minder Reichen legten sich Ersparnisse
auf, um ein Bild von diesem oder jenem Künstler zu besitzen, und allgemein
bekannt war ein Schuhmacher, der den besten Künstlern Schuhe und Stiefel
machte, und anstatt der Bezahlung Skizzen, Bilder. Statuetten, Modelle von
ihnen nahm. Die Mailänder Kunst hatte damals namhafte Vertreter, und unter
dieser Anregung begann nun die fruchtbarste Zeit für Azeglios künstlerisches
Schaffen. Sein Ruhm war jetzt festbegründet, trotz der Leichtigkeit seines
Talents konnte er kaum den Aufträgen genügen; jedes Jahr erschien er auf
der Ausstellung der Brera mit einer Reihe neuer Bilder, theils Landschaften,
zu denen er die Skizzen aus seinen Künfllerfahrten durch Italien gesammelt,
theils historischen Darstellungen, meist mittelalterlicher Stosse. Die „romantische"
Landschaft, die nicht mehr, wie bis dahin ausschließlich, mit Hirten und Vieh,
sondern mit Schlachten, mit Rittern und Edelfräulein bevölkert war, führte er
zuerst in Italien ein.

Indessen hatte er bei der Uebersiedlung nach Mailand nicht allein die
Kunst im Auge, für die er hier ungleich größere Anregung fand. Er empfand
das Bedürfniß, ein regelmäßigeres, stabileres Leben zu führen, er kaufte ein
Haus, er heirathete, gründete eine Familie, und es schien, als hätte er nun
hier seine dauernde Niederlassung gefunden. Als Schwiegersohn Manzonis trat
er zugleich in die literarischen Kreise Mailands ein; insbesondere mit Tommaso
Grossi war er eng befreundet- Leider sind jedoch die Mittheilungen, die Aze-
glio aus dem literarischen Leben, das sich damals in Mailand um Manzoni
als Mittelpunkt gebildet hatte, nicht so ausführlich, als man wünschen möchte.
Hoffentlich werden die von dem Haupt der Romantiker selbst zu erwartenden
Denkwürdigkeiten diese Lücke ausfüllen.

Schon in Turin hatte Azeglio selbst angefangen einen Roman zu schreiben.
Der Gegenstand war eine patriotische Episode aus den Kriegen im Anfang des
16. Jahrhunderts, die Herausforderung von Barletta, die damals auch seinen
Pinsel beschäftigte. Jetzt wurde der Roman, dessen Held Eitore Fieramosca,
unter dem Rath der Freunde vollendet und 1833 herausgegeben. Er, wie der
andere Roman, der im Jahre 1841 erschien, Niccolo de'Lapi oder die Belage-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/341>, abgerufen am 15.01.2025.