Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.vielleicht um weniger. Es gilt sie noch zu benutzen. So ist denn in diesen Bis gegen das Ende der zwanziger Jahre blieb Azeglio in Rom, er ver¬ vielleicht um weniger. Es gilt sie noch zu benutzen. So ist denn in diesen Bis gegen das Ende der zwanziger Jahre blieb Azeglio in Rom, er ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191570"/> <p xml:id="ID_975" prev="#ID_974"> vielleicht um weniger. Es gilt sie noch zu benutzen. So ist denn in diesen<lb/> Augenblicken ein jeder beschäftigt, das was sein ist, und auch was nicht sein<lb/> ist, zusammenzuraffen und aus die Seite zu bringen. Bedenkliche Papiere, Kost¬<lb/> barkeiten. Geld, Kleider — es ist ein allgemeines „nette sich wer kann" und<lb/> oft geschieht es. daß der arme Alte einsam und verlassen stirbt. So geschah eS<lb/> Gregor dem sechszehnten. Ein armer Arbeiter im Garten des Belvedere, an¬<lb/> hänglich an den Papst, der auf seinen Spaziergängen öfters mit ihm gesprochen<lb/> und ihm zuweilen einen halben sendo geschenkt hatte, erfuhr, daß der Papst<lb/> im Sterben liege. Sofort nimmt er sich vor, ihn noch einmal zu sehen. Er<lb/> findet die geheime Treppe geöffnet, steigt hinauf und kommt an ein Cabinet.<lb/> Er klopft an, niemand hört es. Zögernd geht er weiter. Er findet ein andere<lb/> Thüre und tritt in ein Zimmer. Wieder niemand! Er öffnet eine dritte Thüre<lb/> und befindet sich im Zimmer des Papstes. Auf dem Kopfpfühl ficht er einen<lb/> ganzen Berg von Kissen aufgeschichtet. Der Papst selbst, vielleicht um sich in<lb/> einem Erstickungsanfall zu helfen, hatte sich ganz aus die Seite gewälzt und<lb/> den Kopf über den Rand des Betts herausgebeugt. Der arme Gärtner tritt<lb/> herzu, um ihm zu helfen und legt ihn wieder ordentlich im Bett zurecht. Dann<lb/> spricht er ihn an, betastet ihn und — findet ihn kalt! Jetzt wirst er sich auf<lb/> die Kniee, bricht in Thränen aus und betet ein of xroturräis für den todten<lb/> Papst. Mittlerweile kommt einer der Diener, der ohne Zweifel eben sein Zeug<lb/> in Sicherheit gebracht hatte. Er ist verdutzt, schilt den Arbeiter aus, droht ihm,<lb/> Wenn er jemals ein Wort sage, und jagt ihn fort. Aber der Gärtner sprach doch.</p><lb/> <p xml:id="ID_976" next="#ID_977"> Bis gegen das Ende der zwanziger Jahre blieb Azeglio in Rom, er ver¬<lb/> ließ es hauptsächlich um einer glücktosen Liebe willen, die ihn Jahre lang ge¬<lb/> quält hatte. Zunächst kehrte er nach Turin zurück, jetzt als Maler bereits ein<lb/> gefeierter Name. Allein die Lust in Turin war einem Mann von so aus¬<lb/> gesprochenem Freiheitsgefühl auf die Länge unerträglich. Man hatte hier zwar<lb/> nicht über Herrschaft der Fremden zu klagen wie in Neapel, Modena, Parma,<lb/> Florenz, und die Ueberlieferung milderte manches Herbe, aber es herrschte<lb/> unter Karl Felix doch ein vollendeter Despotismus, noch unerträglicher gemacht<lb/> durch das Ueberwuchern des klerikalen Elements. Wer, bemerkt Azeglio, in<lb/> seinem Herzen unzerstörbare Elemente der Freiheit besaß, und zwar einer noch<lb/> so gemäßigten, beschränkten, geordneten Freiheit, wer sich nicht damit begnügen<lb/> konnte, zu essen, zu trinken und zu schlafen, ohne je das Auge von der gemeinen<lb/> Heerstraße abzuwenden, für den war es eine bleierne Atmosphäre, eine Luft<lb/> zum Ersticken. Uebrigens empfand er eben jetzt wieder ein lebhaftes Gefühl<lb/> der Unbefriedigung. Der Vater starb und er begann über Plan und Zweck<lb/> seines Lebens ernstlich nachzudenken. Er war zweiunddreißig Jahre alt, und<lb/> was hatte er gethan? Er hatte geliebt und gemalt. Noch dreißig oder vierzig<lb/> Jahre vielleicht, fragte er sich, und wieder nichts als Lieben und Malen? Es war</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0340]
vielleicht um weniger. Es gilt sie noch zu benutzen. So ist denn in diesen
Augenblicken ein jeder beschäftigt, das was sein ist, und auch was nicht sein
ist, zusammenzuraffen und aus die Seite zu bringen. Bedenkliche Papiere, Kost¬
barkeiten. Geld, Kleider — es ist ein allgemeines „nette sich wer kann" und
oft geschieht es. daß der arme Alte einsam und verlassen stirbt. So geschah eS
Gregor dem sechszehnten. Ein armer Arbeiter im Garten des Belvedere, an¬
hänglich an den Papst, der auf seinen Spaziergängen öfters mit ihm gesprochen
und ihm zuweilen einen halben sendo geschenkt hatte, erfuhr, daß der Papst
im Sterben liege. Sofort nimmt er sich vor, ihn noch einmal zu sehen. Er
findet die geheime Treppe geöffnet, steigt hinauf und kommt an ein Cabinet.
Er klopft an, niemand hört es. Zögernd geht er weiter. Er findet ein andere
Thüre und tritt in ein Zimmer. Wieder niemand! Er öffnet eine dritte Thüre
und befindet sich im Zimmer des Papstes. Auf dem Kopfpfühl ficht er einen
ganzen Berg von Kissen aufgeschichtet. Der Papst selbst, vielleicht um sich in
einem Erstickungsanfall zu helfen, hatte sich ganz aus die Seite gewälzt und
den Kopf über den Rand des Betts herausgebeugt. Der arme Gärtner tritt
herzu, um ihm zu helfen und legt ihn wieder ordentlich im Bett zurecht. Dann
spricht er ihn an, betastet ihn und — findet ihn kalt! Jetzt wirst er sich auf
die Kniee, bricht in Thränen aus und betet ein of xroturräis für den todten
Papst. Mittlerweile kommt einer der Diener, der ohne Zweifel eben sein Zeug
in Sicherheit gebracht hatte. Er ist verdutzt, schilt den Arbeiter aus, droht ihm,
Wenn er jemals ein Wort sage, und jagt ihn fort. Aber der Gärtner sprach doch.
Bis gegen das Ende der zwanziger Jahre blieb Azeglio in Rom, er ver¬
ließ es hauptsächlich um einer glücktosen Liebe willen, die ihn Jahre lang ge¬
quält hatte. Zunächst kehrte er nach Turin zurück, jetzt als Maler bereits ein
gefeierter Name. Allein die Lust in Turin war einem Mann von so aus¬
gesprochenem Freiheitsgefühl auf die Länge unerträglich. Man hatte hier zwar
nicht über Herrschaft der Fremden zu klagen wie in Neapel, Modena, Parma,
Florenz, und die Ueberlieferung milderte manches Herbe, aber es herrschte
unter Karl Felix doch ein vollendeter Despotismus, noch unerträglicher gemacht
durch das Ueberwuchern des klerikalen Elements. Wer, bemerkt Azeglio, in
seinem Herzen unzerstörbare Elemente der Freiheit besaß, und zwar einer noch
so gemäßigten, beschränkten, geordneten Freiheit, wer sich nicht damit begnügen
konnte, zu essen, zu trinken und zu schlafen, ohne je das Auge von der gemeinen
Heerstraße abzuwenden, für den war es eine bleierne Atmosphäre, eine Luft
zum Ersticken. Uebrigens empfand er eben jetzt wieder ein lebhaftes Gefühl
der Unbefriedigung. Der Vater starb und er begann über Plan und Zweck
seines Lebens ernstlich nachzudenken. Er war zweiunddreißig Jahre alt, und
was hatte er gethan? Er hatte geliebt und gemalt. Noch dreißig oder vierzig
Jahre vielleicht, fragte er sich, und wieder nichts als Lieben und Malen? Es war
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