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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Das berühmte Verhältniß Alfieris zur Gräfin betreffend, wobei Fabre der
Dritte im Bunde war, erzählt Azcglio folgendes Detail. "Alfieri ging jeden Abend
um 9 Uhr aus, um eine Dame mit französischem Namen, der mir entfallen ist,
zu besuchen. War dies eine Rivalin der Gräfin? War es die Ursache oder die
Beschönigung für deren Beziehungen zu Fabre? Wer weiß es! Wenn er dann
Abends nach Hause kam, wehe, wenn die Diener das Thor verschlossen und
den Schlüssel herumdrehten, so lange er es noch hören konnte. Ich bin schon
Sklave genug, rief er dann, und will nicht noch hören, wie ich Gefangener
eingeschlossen werde."

Später mußten aus Napoleons Geheiß die Ausgewanderten zurückkehren,
und wenn dem Vater die Leistung des Eids schwer wurde, so war den Kindern
das bequemere Leben im elterlichen Haus um so erwünschter. Gelernt wurde
wenig, weder bei dem Hauspriester, einem Jesuiten, noch später an der Uni¬
versität. Dagegen hielt der strenge Vater viel auf Leibesübungen und aus
Kräftigung des Willens, auch führte er die Söhne in die italienische Literatur
ein. Nach der Restauration wurde der Vater als außerordentlicher Gesandter
nach Rom geschickt und der sechzehnjährige Massimo begleitete ihn als eine Art
Attache mit militärischem Rang. Nun begann ein bewegtes Leben inmitten der
anregenden römischen Gesellschaft. Geschäfte gab es wenig, um so mehr
Soireen und Bälle. Es erwachte die Neigung zu den schönen Künsten, zur
Musik und vor allem zu der Malerei, und damit knüpften sich freilich Ver¬
bindungen -an, die den piemontesischen Baron in ein ziemlich lockeres Leben
führten. Dies wurde nicht besser, als er nach Piemont zurückkehrte und in die
Armee eintrat. Ohnedies gewährte ihm das Garnisonleben von Anfang an
keine Befriedigung. Die Ungerechtigkeiten und Albernheiten, welche die Restaura¬
tion hier mehr als irgendwo in ihrem Gefolge hatte -- es werden erbauliche
Einzelnheiten mitgetheilt -- trieben ihn zum Haß gegen das herrschende System,
gegen den Adel, gegen sich selbst. Aus Oppositionsgeist suchte er den Umgang
mit gemeinem Volk, und es bedürfte einer nicht gewöhnlichen Energie, um
sich, wie er es that, nun doch mit einem Mal aufzuraffen zu einem thätigen,
arbeitvollen, mit Entsagung verbundenen Leben. Sein guter Genius in dieser
Zeit war der Professor Bidone, der an alle guten Elemente seiner Natur
appellirte und zugleich seinen Ehrgeiz zu stacheln verstand. Jetzt geht er nach
Rom zurück, entschlossen irgendetwas zu leisten; er versucht sich in Gedichten,
er fängt an die Malerei systematisch zu betreiben, und im Jahr 1820 steht sein
Entschluß fest, die Kunst als Lebensberuf zu wählen. In Turin machte dieser
Entschluß nicht geringes Aufsehen. Die adligen Damen, die Höflinge und
Generale steckten bedenklich die Köpfe zusammen, daß ein Cavalier von 20 Jahren
im Stande sei das Regiment Piemont Reale zu verlassen, in die gemeine Ge¬
sellschaft von Malern und Sängern sich zu begeben und Gemälde aus den Ver-


Das berühmte Verhältniß Alfieris zur Gräfin betreffend, wobei Fabre der
Dritte im Bunde war, erzählt Azcglio folgendes Detail. „Alfieri ging jeden Abend
um 9 Uhr aus, um eine Dame mit französischem Namen, der mir entfallen ist,
zu besuchen. War dies eine Rivalin der Gräfin? War es die Ursache oder die
Beschönigung für deren Beziehungen zu Fabre? Wer weiß es! Wenn er dann
Abends nach Hause kam, wehe, wenn die Diener das Thor verschlossen und
den Schlüssel herumdrehten, so lange er es noch hören konnte. Ich bin schon
Sklave genug, rief er dann, und will nicht noch hören, wie ich Gefangener
eingeschlossen werde."

Später mußten aus Napoleons Geheiß die Ausgewanderten zurückkehren,
und wenn dem Vater die Leistung des Eids schwer wurde, so war den Kindern
das bequemere Leben im elterlichen Haus um so erwünschter. Gelernt wurde
wenig, weder bei dem Hauspriester, einem Jesuiten, noch später an der Uni¬
versität. Dagegen hielt der strenge Vater viel auf Leibesübungen und aus
Kräftigung des Willens, auch führte er die Söhne in die italienische Literatur
ein. Nach der Restauration wurde der Vater als außerordentlicher Gesandter
nach Rom geschickt und der sechzehnjährige Massimo begleitete ihn als eine Art
Attache mit militärischem Rang. Nun begann ein bewegtes Leben inmitten der
anregenden römischen Gesellschaft. Geschäfte gab es wenig, um so mehr
Soireen und Bälle. Es erwachte die Neigung zu den schönen Künsten, zur
Musik und vor allem zu der Malerei, und damit knüpften sich freilich Ver¬
bindungen -an, die den piemontesischen Baron in ein ziemlich lockeres Leben
führten. Dies wurde nicht besser, als er nach Piemont zurückkehrte und in die
Armee eintrat. Ohnedies gewährte ihm das Garnisonleben von Anfang an
keine Befriedigung. Die Ungerechtigkeiten und Albernheiten, welche die Restaura¬
tion hier mehr als irgendwo in ihrem Gefolge hatte — es werden erbauliche
Einzelnheiten mitgetheilt — trieben ihn zum Haß gegen das herrschende System,
gegen den Adel, gegen sich selbst. Aus Oppositionsgeist suchte er den Umgang
mit gemeinem Volk, und es bedürfte einer nicht gewöhnlichen Energie, um
sich, wie er es that, nun doch mit einem Mal aufzuraffen zu einem thätigen,
arbeitvollen, mit Entsagung verbundenen Leben. Sein guter Genius in dieser
Zeit war der Professor Bidone, der an alle guten Elemente seiner Natur
appellirte und zugleich seinen Ehrgeiz zu stacheln verstand. Jetzt geht er nach
Rom zurück, entschlossen irgendetwas zu leisten; er versucht sich in Gedichten,
er fängt an die Malerei systematisch zu betreiben, und im Jahr 1820 steht sein
Entschluß fest, die Kunst als Lebensberuf zu wählen. In Turin machte dieser
Entschluß nicht geringes Aufsehen. Die adligen Damen, die Höflinge und
Generale steckten bedenklich die Köpfe zusammen, daß ein Cavalier von 20 Jahren
im Stande sei das Regiment Piemont Reale zu verlassen, in die gemeine Ge¬
sellschaft von Malern und Sängern sich zu begeben und Gemälde aus den Ver-


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[0338] Das berühmte Verhältniß Alfieris zur Gräfin betreffend, wobei Fabre der Dritte im Bunde war, erzählt Azcglio folgendes Detail. „Alfieri ging jeden Abend um 9 Uhr aus, um eine Dame mit französischem Namen, der mir entfallen ist, zu besuchen. War dies eine Rivalin der Gräfin? War es die Ursache oder die Beschönigung für deren Beziehungen zu Fabre? Wer weiß es! Wenn er dann Abends nach Hause kam, wehe, wenn die Diener das Thor verschlossen und den Schlüssel herumdrehten, so lange er es noch hören konnte. Ich bin schon Sklave genug, rief er dann, und will nicht noch hören, wie ich Gefangener eingeschlossen werde." Später mußten aus Napoleons Geheiß die Ausgewanderten zurückkehren, und wenn dem Vater die Leistung des Eids schwer wurde, so war den Kindern das bequemere Leben im elterlichen Haus um so erwünschter. Gelernt wurde wenig, weder bei dem Hauspriester, einem Jesuiten, noch später an der Uni¬ versität. Dagegen hielt der strenge Vater viel auf Leibesübungen und aus Kräftigung des Willens, auch führte er die Söhne in die italienische Literatur ein. Nach der Restauration wurde der Vater als außerordentlicher Gesandter nach Rom geschickt und der sechzehnjährige Massimo begleitete ihn als eine Art Attache mit militärischem Rang. Nun begann ein bewegtes Leben inmitten der anregenden römischen Gesellschaft. Geschäfte gab es wenig, um so mehr Soireen und Bälle. Es erwachte die Neigung zu den schönen Künsten, zur Musik und vor allem zu der Malerei, und damit knüpften sich freilich Ver¬ bindungen -an, die den piemontesischen Baron in ein ziemlich lockeres Leben führten. Dies wurde nicht besser, als er nach Piemont zurückkehrte und in die Armee eintrat. Ohnedies gewährte ihm das Garnisonleben von Anfang an keine Befriedigung. Die Ungerechtigkeiten und Albernheiten, welche die Restaura¬ tion hier mehr als irgendwo in ihrem Gefolge hatte — es werden erbauliche Einzelnheiten mitgetheilt — trieben ihn zum Haß gegen das herrschende System, gegen den Adel, gegen sich selbst. Aus Oppositionsgeist suchte er den Umgang mit gemeinem Volk, und es bedürfte einer nicht gewöhnlichen Energie, um sich, wie er es that, nun doch mit einem Mal aufzuraffen zu einem thätigen, arbeitvollen, mit Entsagung verbundenen Leben. Sein guter Genius in dieser Zeit war der Professor Bidone, der an alle guten Elemente seiner Natur appellirte und zugleich seinen Ehrgeiz zu stacheln verstand. Jetzt geht er nach Rom zurück, entschlossen irgendetwas zu leisten; er versucht sich in Gedichten, er fängt an die Malerei systematisch zu betreiben, und im Jahr 1820 steht sein Entschluß fest, die Kunst als Lebensberuf zu wählen. In Turin machte dieser Entschluß nicht geringes Aufsehen. Die adligen Damen, die Höflinge und Generale steckten bedenklich die Köpfe zusammen, daß ein Cavalier von 20 Jahren im Stande sei das Regiment Piemont Reale zu verlassen, in die gemeine Ge¬ sellschaft von Malern und Sängern sich zu begeben und Gemälde aus den Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/338>, abgerufen am 15.01.2025.