Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.politische Entwicklung hat doch einen verhängnißvollen, wenn auch unvermeid¬ Wozu diese lange Einleitung? Wozu? Um sogleichin den Geist und die Leider gehen diese Denkwürdigkeiten, während deren Aufzeichnung der Ein¬ politische Entwicklung hat doch einen verhängnißvollen, wenn auch unvermeid¬ Wozu diese lange Einleitung? Wozu? Um sogleichin den Geist und die Leider gehen diese Denkwürdigkeiten, während deren Aufzeichnung der Ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191562"/> <p xml:id="ID_953" prev="#ID_952"> politische Entwicklung hat doch einen verhängnißvollen, wenn auch unvermeid¬<lb/> lichen Verlauf genommen. Der Constitutionalismus ist gleichsam die letzte Blüthe<lb/> des staatlichen Lebens: um sie hervorzutreiben, bedarf es lebendig entwickelter<lb/> Kräfte, die in der Tiefe des Volkslebens arbeiten. Umgekehrt ist er in Italien<lb/> das Erste gewesen, womit das politische Dasein begonnen hat und die Grund¬<lb/> lagen, aus denen er sich aufbauen soll, sind nun nachträglich erst zu legen.<lb/> Die finanziellen und ökonomischen Nothstände der Gegenwart sind nur das<lb/> Symptom, daß jene Kräfte erst noch zu wecken sind. Um die Freiheit zu<lb/> erwerben, genügte die feurige Erregung des Moments; um sie zu bewahren,<lb/> bedarf es der langsam reifenden politischen Tugenden der Ausdauer und Selbst¬<lb/> beschränkung. Die Verfassung ist da, aber es fehlen die Bürger. Bewunderungs¬<lb/> würdig war die Selbstverläugnung der kleinen patriotischen Kreise, und nichts<lb/> ist vielleicht der Hingabe der Männer zu vergleichen, die seit 1815 für ihr<lb/> Vaterland gelitten haben. Aber nun, da sie das Ziel ihrer opfervoller Arbeit<lb/> erreicht haben, werden sie inne, daß das Werk erst recht zu beginnen hat: daß<lb/> Italien fertig ist, daß aber nun erst die Italiener zu schaffen sind.<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_954"> Wozu diese lange Einleitung? Wozu? Um sogleichin den Geist und die<lb/> letzte Absicht des Buchs einzuführen, das in der Ueberschrift genannt ist. Die<lb/> Wahrheit, daß die Zukunft der italienischen Nation in der Weckung ihrer mo¬<lb/> ralischen Kräfte liegt, ist nicht neu, man kann sie aus italienischem Munde<lb/> täglich vernehmen. Nirgends aber ist sie so eindringlich und zugleich so liebens¬<lb/> würdig vorgetragen worden, wie in den Lebenserinnerungen, die Massimo<lb/> d'Azeglio gegen das Ende seiner bewegten Laufbahn, in der ehrenvollen Zurück¬<lb/> gezogenheit eines Vcterans in Kunst, Literatur und Politik, aufzuzeichnen begann,<lb/> und die bei seinem Tode, im Frühjahr 1866, so weit vorgerückt waren, daß die<lb/> Tochter des Verstorbenen, die Frau Marchesa Ricci zwei Bände der Oeffentlichkeit<lb/> übergeben konnte. Es ist das schönste Vermächtnis), das der vielverkannte Pa¬<lb/> triot, eine der glänzendsten Gestalten der italienischen Wiedergeburt, seinem Volk<lb/> hinterlassen konnte, und mit Recht darf die treffliche Herausgeberin sagen, daß<lb/> der eigenthümlichen Art von Geist und Gemüth ihres Vaters keine literarische<lb/> Gattung so völlig entsprach wie eben diese.</p><lb/> <p xml:id="ID_955" next="#ID_956"> Leider gehen diese Denkwürdigkeiten, während deren Aufzeichnung der Ein¬<lb/> siedler von Ccmnero am Langensee von -der tödtlichen Krankheit überrascht wurde,<lb/> nicht über seine Jugendgeschichte hinaus; sie brechen grade da ab, wo Azeglio<lb/> in das politische Leben zu treten begann. Aber auch so sind sie in Italien<lb/> als eine der bedeutendsten Publicationen, die seit Jahren erschienen, aufgenom¬<lb/> men worden. Ist die Ausbeute an thatsächlich Neuem, an politischem Material<lb/> nicht sehr erheblich, so ist die Gesinnung, welche diese Rückerinnerungen erfüllt,<lb/> dafür im höchsten Grade erfrischend, und der behagliche Wechsel von Ernst und<lb/> Scherz läßt das Interesse niemals erlahmen. Sie zeigen uns nicht den berühmten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0332]
politische Entwicklung hat doch einen verhängnißvollen, wenn auch unvermeid¬
lichen Verlauf genommen. Der Constitutionalismus ist gleichsam die letzte Blüthe
des staatlichen Lebens: um sie hervorzutreiben, bedarf es lebendig entwickelter
Kräfte, die in der Tiefe des Volkslebens arbeiten. Umgekehrt ist er in Italien
das Erste gewesen, womit das politische Dasein begonnen hat und die Grund¬
lagen, aus denen er sich aufbauen soll, sind nun nachträglich erst zu legen.
Die finanziellen und ökonomischen Nothstände der Gegenwart sind nur das
Symptom, daß jene Kräfte erst noch zu wecken sind. Um die Freiheit zu
erwerben, genügte die feurige Erregung des Moments; um sie zu bewahren,
bedarf es der langsam reifenden politischen Tugenden der Ausdauer und Selbst¬
beschränkung. Die Verfassung ist da, aber es fehlen die Bürger. Bewunderungs¬
würdig war die Selbstverläugnung der kleinen patriotischen Kreise, und nichts
ist vielleicht der Hingabe der Männer zu vergleichen, die seit 1815 für ihr
Vaterland gelitten haben. Aber nun, da sie das Ziel ihrer opfervoller Arbeit
erreicht haben, werden sie inne, daß das Werk erst recht zu beginnen hat: daß
Italien fertig ist, daß aber nun erst die Italiener zu schaffen sind.
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Wozu diese lange Einleitung? Wozu? Um sogleichin den Geist und die
letzte Absicht des Buchs einzuführen, das in der Ueberschrift genannt ist. Die
Wahrheit, daß die Zukunft der italienischen Nation in der Weckung ihrer mo¬
ralischen Kräfte liegt, ist nicht neu, man kann sie aus italienischem Munde
täglich vernehmen. Nirgends aber ist sie so eindringlich und zugleich so liebens¬
würdig vorgetragen worden, wie in den Lebenserinnerungen, die Massimo
d'Azeglio gegen das Ende seiner bewegten Laufbahn, in der ehrenvollen Zurück¬
gezogenheit eines Vcterans in Kunst, Literatur und Politik, aufzuzeichnen begann,
und die bei seinem Tode, im Frühjahr 1866, so weit vorgerückt waren, daß die
Tochter des Verstorbenen, die Frau Marchesa Ricci zwei Bände der Oeffentlichkeit
übergeben konnte. Es ist das schönste Vermächtnis), das der vielverkannte Pa¬
triot, eine der glänzendsten Gestalten der italienischen Wiedergeburt, seinem Volk
hinterlassen konnte, und mit Recht darf die treffliche Herausgeberin sagen, daß
der eigenthümlichen Art von Geist und Gemüth ihres Vaters keine literarische
Gattung so völlig entsprach wie eben diese.
Leider gehen diese Denkwürdigkeiten, während deren Aufzeichnung der Ein¬
siedler von Ccmnero am Langensee von -der tödtlichen Krankheit überrascht wurde,
nicht über seine Jugendgeschichte hinaus; sie brechen grade da ab, wo Azeglio
in das politische Leben zu treten begann. Aber auch so sind sie in Italien
als eine der bedeutendsten Publicationen, die seit Jahren erschienen, aufgenom¬
men worden. Ist die Ausbeute an thatsächlich Neuem, an politischem Material
nicht sehr erheblich, so ist die Gesinnung, welche diese Rückerinnerungen erfüllt,
dafür im höchsten Grade erfrischend, und der behagliche Wechsel von Ernst und
Scherz läßt das Interesse niemals erlahmen. Sie zeigen uns nicht den berühmten
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