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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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action läßt sich denken? Wie wenige Veifassungen giebt es, die unter diesem
wichtigsten Gesichtspunkt dem politischen Bedürfniß so vollständig entsprechen!
Nun bedenke man Folgendes:

Eine Verfassung ist gleichsam nur ein Rahmen, der durch die künftige
Gesetzgebung ausgefüllt werden soll. Sie soll zwar das politische System ver¬
ändern, aber diese Aenderung ist nur durch die mit dem frühern System ver¬
bundenen Uebelstände zum Bedürfniß geworden, für deren Hebung das neue die
BorauSsetzung ist. Heißt es also nicht den Zweck der Verfassung außer Augen
setzen, wenn man, um der politischen Mängel halber, die ihr ankleben mögen,
das Verbessern dem Ausfüllen des Nahmens vorangehen lassen will? Eine solche
Ausfüllung ist auch mit der schlechtesten Verfassung bis zu einem gewissen Punkt
möglich und für den weitern Fortschritt nothwendig, und selbst die beste kann
für die Zutnnfi nicht mehr thun, als den gesetzliche" Weg dieses Fortschritts
offen halten. Das gilt auch von der neuen Verfassung; sie giebt nicht blos
ein weites Gebiet zum Ausfüllen und Ausdauer, sie ist auch, was das Wich¬
tigste ist, für Bevölkerungen erlassen, die an das politische Zusammenleben sich
noch zu gewöhnen haben. Sie ist also so gut als irgendeine zum Ausdauer
und Einleben, nicht zum sich Revidiren erlassen; namentlich muß neben der
deutschen Volksvertretung die preußische fortbestehen. Die Frage ist, welchen
Einfluß das deutsche Verfassungslcben auf das preußische üben wird.

Der Verfasser der oben erwähnten Brochüre bemerkt hierüber, die Negie¬
rung sei zwar die alte und ihre Tendenz werde im Bunde dieselbe bleiben, ja
auch das Parlament sei scheinbar nur ein erweitertes Abgeordnetenhaus. Aber
nur scheinbar, denn das Wesentliche liege nicht in der Zusammensetzung, sondern
in der nothwendigen Nichtung beider Versammlungen. "Im Abgeordnetenhaus
wird die wichtigste Frage immer sein, welche Partei herrschen soll; im Parlament
tritt die Frage des Zusammenschlusses der geeinten Staaten in den Vordergrund.
Dabei ist nun der Weg, je nachdem wir vom feudalen oder liberalen, vom
preußischen oder deutschen Standpunkt ausgehen, ein verschiedener, das Ziel
jedoch ein gemeinsames; wir meinen natürlich nicht die Begründung eines Ein¬
heitsstaats, sondern die Zusammenfassung der Glieder zu einem nach innen und
außen lebenskräftigen Organismus. Wie dort, wo der leitende Gesichtspunkt
für Regierung und Volksvertretung ein entgegengesetzter ist, auch gegen das
gemeinsame Interesse alles Behandelte zum Gegenstand des Streites werden,
alles Bestrittene unvergiichen bleiben muß, wird hier, weil der letzte Gedanke der
gleiche ist. der ebenfalls unvermeidliche Streit mehr und mehr die Nothwendig¬
keit der Einigung deutlich machen. Der Kampf im Abgeordnetenhaus ist der
Zwiespalt ohne die Möglichkeit der Bersöhnung. der Kampf im Parlament wird
die Arbeit der Verständigung sein."

Das ist ganz correct und trifft grade den Kern der Sache, aber inwiefern


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action läßt sich denken? Wie wenige Veifassungen giebt es, die unter diesem
wichtigsten Gesichtspunkt dem politischen Bedürfniß so vollständig entsprechen!
Nun bedenke man Folgendes:

Eine Verfassung ist gleichsam nur ein Rahmen, der durch die künftige
Gesetzgebung ausgefüllt werden soll. Sie soll zwar das politische System ver¬
ändern, aber diese Aenderung ist nur durch die mit dem frühern System ver¬
bundenen Uebelstände zum Bedürfniß geworden, für deren Hebung das neue die
BorauSsetzung ist. Heißt es also nicht den Zweck der Verfassung außer Augen
setzen, wenn man, um der politischen Mängel halber, die ihr ankleben mögen,
das Verbessern dem Ausfüllen des Nahmens vorangehen lassen will? Eine solche
Ausfüllung ist auch mit der schlechtesten Verfassung bis zu einem gewissen Punkt
möglich und für den weitern Fortschritt nothwendig, und selbst die beste kann
für die Zutnnfi nicht mehr thun, als den gesetzliche» Weg dieses Fortschritts
offen halten. Das gilt auch von der neuen Verfassung; sie giebt nicht blos
ein weites Gebiet zum Ausfüllen und Ausdauer, sie ist auch, was das Wich¬
tigste ist, für Bevölkerungen erlassen, die an das politische Zusammenleben sich
noch zu gewöhnen haben. Sie ist also so gut als irgendeine zum Ausdauer
und Einleben, nicht zum sich Revidiren erlassen; namentlich muß neben der
deutschen Volksvertretung die preußische fortbestehen. Die Frage ist, welchen
Einfluß das deutsche Verfassungslcben auf das preußische üben wird.

Der Verfasser der oben erwähnten Brochüre bemerkt hierüber, die Negie¬
rung sei zwar die alte und ihre Tendenz werde im Bunde dieselbe bleiben, ja
auch das Parlament sei scheinbar nur ein erweitertes Abgeordnetenhaus. Aber
nur scheinbar, denn das Wesentliche liege nicht in der Zusammensetzung, sondern
in der nothwendigen Nichtung beider Versammlungen. „Im Abgeordnetenhaus
wird die wichtigste Frage immer sein, welche Partei herrschen soll; im Parlament
tritt die Frage des Zusammenschlusses der geeinten Staaten in den Vordergrund.
Dabei ist nun der Weg, je nachdem wir vom feudalen oder liberalen, vom
preußischen oder deutschen Standpunkt ausgehen, ein verschiedener, das Ziel
jedoch ein gemeinsames; wir meinen natürlich nicht die Begründung eines Ein¬
heitsstaats, sondern die Zusammenfassung der Glieder zu einem nach innen und
außen lebenskräftigen Organismus. Wie dort, wo der leitende Gesichtspunkt
für Regierung und Volksvertretung ein entgegengesetzter ist, auch gegen das
gemeinsame Interesse alles Behandelte zum Gegenstand des Streites werden,
alles Bestrittene unvergiichen bleiben muß, wird hier, weil der letzte Gedanke der
gleiche ist. der ebenfalls unvermeidliche Streit mehr und mehr die Nothwendig¬
keit der Einigung deutlich machen. Der Kampf im Abgeordnetenhaus ist der
Zwiespalt ohne die Möglichkeit der Bersöhnung. der Kampf im Parlament wird
die Arbeit der Verständigung sein."

Das ist ganz correct und trifft grade den Kern der Sache, aber inwiefern


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[0029] action läßt sich denken? Wie wenige Veifassungen giebt es, die unter diesem wichtigsten Gesichtspunkt dem politischen Bedürfniß so vollständig entsprechen! Nun bedenke man Folgendes: Eine Verfassung ist gleichsam nur ein Rahmen, der durch die künftige Gesetzgebung ausgefüllt werden soll. Sie soll zwar das politische System ver¬ ändern, aber diese Aenderung ist nur durch die mit dem frühern System ver¬ bundenen Uebelstände zum Bedürfniß geworden, für deren Hebung das neue die BorauSsetzung ist. Heißt es also nicht den Zweck der Verfassung außer Augen setzen, wenn man, um der politischen Mängel halber, die ihr ankleben mögen, das Verbessern dem Ausfüllen des Nahmens vorangehen lassen will? Eine solche Ausfüllung ist auch mit der schlechtesten Verfassung bis zu einem gewissen Punkt möglich und für den weitern Fortschritt nothwendig, und selbst die beste kann für die Zutnnfi nicht mehr thun, als den gesetzliche» Weg dieses Fortschritts offen halten. Das gilt auch von der neuen Verfassung; sie giebt nicht blos ein weites Gebiet zum Ausfüllen und Ausdauer, sie ist auch, was das Wich¬ tigste ist, für Bevölkerungen erlassen, die an das politische Zusammenleben sich noch zu gewöhnen haben. Sie ist also so gut als irgendeine zum Ausdauer und Einleben, nicht zum sich Revidiren erlassen; namentlich muß neben der deutschen Volksvertretung die preußische fortbestehen. Die Frage ist, welchen Einfluß das deutsche Verfassungslcben auf das preußische üben wird. Der Verfasser der oben erwähnten Brochüre bemerkt hierüber, die Negie¬ rung sei zwar die alte und ihre Tendenz werde im Bunde dieselbe bleiben, ja auch das Parlament sei scheinbar nur ein erweitertes Abgeordnetenhaus. Aber nur scheinbar, denn das Wesentliche liege nicht in der Zusammensetzung, sondern in der nothwendigen Nichtung beider Versammlungen. „Im Abgeordnetenhaus wird die wichtigste Frage immer sein, welche Partei herrschen soll; im Parlament tritt die Frage des Zusammenschlusses der geeinten Staaten in den Vordergrund. Dabei ist nun der Weg, je nachdem wir vom feudalen oder liberalen, vom preußischen oder deutschen Standpunkt ausgehen, ein verschiedener, das Ziel jedoch ein gemeinsames; wir meinen natürlich nicht die Begründung eines Ein¬ heitsstaats, sondern die Zusammenfassung der Glieder zu einem nach innen und außen lebenskräftigen Organismus. Wie dort, wo der leitende Gesichtspunkt für Regierung und Volksvertretung ein entgegengesetzter ist, auch gegen das gemeinsame Interesse alles Behandelte zum Gegenstand des Streites werden, alles Bestrittene unvergiichen bleiben muß, wird hier, weil der letzte Gedanke der gleiche ist. der ebenfalls unvermeidliche Streit mehr und mehr die Nothwendig¬ keit der Einigung deutlich machen. Der Kampf im Abgeordnetenhaus ist der Zwiespalt ohne die Möglichkeit der Bersöhnung. der Kampf im Parlament wird die Arbeit der Verständigung sein." Das ist ganz correct und trifft grade den Kern der Sache, aber inwiefern 3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/29>, abgerufen am 15.01.2025.