Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

habe er in Rom zu wissen gethan, daß es mit den Bischofsernennungen ein
Ende habe. Allein deswegen könne man doch nicht sagen, daß Nicasoli unloyal
gehandelt habe. Nach der vorausgegangenen Debatte sei es jedoch der Regie¬
rung unmöglich, die einfache Tagesordnung anzunehmen, sie müsse auf einem
Votum bestehen, das die Ideen der Kammer ausdrücke und der Negierung damit
eine Direktive gebe. Er empfahl zu diesem Zweck eine von Mancini vorgeschla¬
gene Tagesordnung, weil sie keinen Tadel gegen Nicasoli enthalte. Wer einmal
eine Charakteristik Nattazzis schreiben will, wird diese bezeichnende Scene nicht
vergessen dürfen.

Der Antrag Mancinis enthielt allerdings keinen directen Tadel gegen Nica¬
soli, der Wortlaut war allgemein und nichtssagend, es war die Erwartung aus¬
gedrückt, daß die Regierung die Rechte der Krone und die Würde der Nation
unangetastet aufrecht halten werde. Aber gemeint war er gleichwohl als Ta¬
delsvotum, und nach der vorangegangenen Debatte konnte er gar keinen andern
Sinn haben. Das Resultat war vorauszusehen. Der Antrag auf einfache
Tagesordnung siel mit 231 gegen 116 Stimmen, der Antrag Mancinis wurde
nach unerquicklicher Debatte darüber, ob er um Tadelsvotum sei oder nicht, mit
großer Mehrheit angenommen.

Damit ist die seitherige italienische Politik in der römischen Frage abgeschlossen,
sie gehört nunmehr der Geschichte an. Der Grund der Wendung liegt aller¬
dings im Starrsinn der Kurie und ist insofern verständlich genug; man war
es müde, fortgesetzt Zugeständnisse zu machen, denen keine Gegenleistungen ent"
sprachen, ein Extrem rief wie immer das andere hervor. Allein erst die Zu¬
kunft wird darüber entscheiden, ob die Volksvertretung Italiens recht gethan hat,
einen großen politischen Gedanken aufzugeben, weil in sieben Jahren die Früchte
noch nicht abzuschütteln sind. Den Italienern ist das Warten lang geworden,
dies ist nicht zu verwundern; die Frage ist nur die, ob die Aera Nattazzi einst
glücklichere Resultate aufzuweisen haben wird, als ihre Vorgängerinnen. Nur die
Partciverblcndung kann behaupten, daß die abgelaufene Periode der Kirchenpolitik
unfruchtbar gewesen sei. Sie hat allerdings nicht nach Rom geführt, und ihre
Urheber haben jederzeit eingestanden, daß der Weg lang sein und Geduld erheischen
werde. Allein abgesehen von einzelnen Reformen, wie der Einführung der Civil¬
ehe, abgesehen von der Aufhebung der religiösen Körperschaften, die jetzt die Linke
für sich in Anspruch nehmen möchte, während sie zuerst vor drei Jahren Vom
Ministerium Minghetli in Gesetzes form vorgeschlagen worden ist, darf man wohl
sagen, daß der einzige wesentliche Fortschritt, den die römische Frage gethan hat,
nur durch diejenige Politik möglich wurde, die jetzt von der Kammer verurtheilt
ist. Daß in Rom keine französischen Occupationstruppen mehr stehen, daß die
weltliche Gewalt nur noch auf ihren eigenen Füßen steht, daß kein außeritalienischcr
Wille mehr in Italien gebietet, dies ist einzig derjenigen Politik zu verdanken,


34'

habe er in Rom zu wissen gethan, daß es mit den Bischofsernennungen ein
Ende habe. Allein deswegen könne man doch nicht sagen, daß Nicasoli unloyal
gehandelt habe. Nach der vorausgegangenen Debatte sei es jedoch der Regie¬
rung unmöglich, die einfache Tagesordnung anzunehmen, sie müsse auf einem
Votum bestehen, das die Ideen der Kammer ausdrücke und der Negierung damit
eine Direktive gebe. Er empfahl zu diesem Zweck eine von Mancini vorgeschla¬
gene Tagesordnung, weil sie keinen Tadel gegen Nicasoli enthalte. Wer einmal
eine Charakteristik Nattazzis schreiben will, wird diese bezeichnende Scene nicht
vergessen dürfen.

Der Antrag Mancinis enthielt allerdings keinen directen Tadel gegen Nica¬
soli, der Wortlaut war allgemein und nichtssagend, es war die Erwartung aus¬
gedrückt, daß die Regierung die Rechte der Krone und die Würde der Nation
unangetastet aufrecht halten werde. Aber gemeint war er gleichwohl als Ta¬
delsvotum, und nach der vorangegangenen Debatte konnte er gar keinen andern
Sinn haben. Das Resultat war vorauszusehen. Der Antrag auf einfache
Tagesordnung siel mit 231 gegen 116 Stimmen, der Antrag Mancinis wurde
nach unerquicklicher Debatte darüber, ob er um Tadelsvotum sei oder nicht, mit
großer Mehrheit angenommen.

Damit ist die seitherige italienische Politik in der römischen Frage abgeschlossen,
sie gehört nunmehr der Geschichte an. Der Grund der Wendung liegt aller¬
dings im Starrsinn der Kurie und ist insofern verständlich genug; man war
es müde, fortgesetzt Zugeständnisse zu machen, denen keine Gegenleistungen ent«
sprachen, ein Extrem rief wie immer das andere hervor. Allein erst die Zu¬
kunft wird darüber entscheiden, ob die Volksvertretung Italiens recht gethan hat,
einen großen politischen Gedanken aufzugeben, weil in sieben Jahren die Früchte
noch nicht abzuschütteln sind. Den Italienern ist das Warten lang geworden,
dies ist nicht zu verwundern; die Frage ist nur die, ob die Aera Nattazzi einst
glücklichere Resultate aufzuweisen haben wird, als ihre Vorgängerinnen. Nur die
Partciverblcndung kann behaupten, daß die abgelaufene Periode der Kirchenpolitik
unfruchtbar gewesen sei. Sie hat allerdings nicht nach Rom geführt, und ihre
Urheber haben jederzeit eingestanden, daß der Weg lang sein und Geduld erheischen
werde. Allein abgesehen von einzelnen Reformen, wie der Einführung der Civil¬
ehe, abgesehen von der Aufhebung der religiösen Körperschaften, die jetzt die Linke
für sich in Anspruch nehmen möchte, während sie zuerst vor drei Jahren Vom
Ministerium Minghetli in Gesetzes form vorgeschlagen worden ist, darf man wohl
sagen, daß der einzige wesentliche Fortschritt, den die römische Frage gethan hat,
nur durch diejenige Politik möglich wurde, die jetzt von der Kammer verurtheilt
ist. Daß in Rom keine französischen Occupationstruppen mehr stehen, daß die
weltliche Gewalt nur noch auf ihren eigenen Füßen steht, daß kein außeritalienischcr
Wille mehr in Italien gebietet, dies ist einzig derjenigen Politik zu verdanken,


34'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191507"/>
          <p xml:id="ID_814" prev="#ID_813"> habe er in Rom zu wissen gethan, daß es mit den Bischofsernennungen ein<lb/>
Ende habe. Allein deswegen könne man doch nicht sagen, daß Nicasoli unloyal<lb/>
gehandelt habe. Nach der vorausgegangenen Debatte sei es jedoch der Regie¬<lb/>
rung unmöglich, die einfache Tagesordnung anzunehmen, sie müsse auf einem<lb/>
Votum bestehen, das die Ideen der Kammer ausdrücke und der Negierung damit<lb/>
eine Direktive gebe. Er empfahl zu diesem Zweck eine von Mancini vorgeschla¬<lb/>
gene Tagesordnung, weil sie keinen Tadel gegen Nicasoli enthalte. Wer einmal<lb/>
eine Charakteristik Nattazzis schreiben will, wird diese bezeichnende Scene nicht<lb/>
vergessen dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_815"> Der Antrag Mancinis enthielt allerdings keinen directen Tadel gegen Nica¬<lb/>
soli, der Wortlaut war allgemein und nichtssagend, es war die Erwartung aus¬<lb/>
gedrückt, daß die Regierung die Rechte der Krone und die Würde der Nation<lb/>
unangetastet aufrecht halten werde. Aber gemeint war er gleichwohl als Ta¬<lb/>
delsvotum, und nach der vorangegangenen Debatte konnte er gar keinen andern<lb/>
Sinn haben. Das Resultat war vorauszusehen. Der Antrag auf einfache<lb/>
Tagesordnung siel mit 231 gegen 116 Stimmen, der Antrag Mancinis wurde<lb/>
nach unerquicklicher Debatte darüber, ob er um Tadelsvotum sei oder nicht, mit<lb/>
großer Mehrheit angenommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_816" next="#ID_817"> Damit ist die seitherige italienische Politik in der römischen Frage abgeschlossen,<lb/>
sie gehört nunmehr der Geschichte an. Der Grund der Wendung liegt aller¬<lb/>
dings im Starrsinn der Kurie und ist insofern verständlich genug; man war<lb/>
es müde, fortgesetzt Zugeständnisse zu machen, denen keine Gegenleistungen ent«<lb/>
sprachen, ein Extrem rief wie immer das andere hervor. Allein erst die Zu¬<lb/>
kunft wird darüber entscheiden, ob die Volksvertretung Italiens recht gethan hat,<lb/>
einen großen politischen Gedanken aufzugeben, weil in sieben Jahren die Früchte<lb/>
noch nicht abzuschütteln sind. Den Italienern ist das Warten lang geworden,<lb/>
dies ist nicht zu verwundern; die Frage ist nur die, ob die Aera Nattazzi einst<lb/>
glücklichere Resultate aufzuweisen haben wird, als ihre Vorgängerinnen. Nur die<lb/>
Partciverblcndung kann behaupten, daß die abgelaufene Periode der Kirchenpolitik<lb/>
unfruchtbar gewesen sei. Sie hat allerdings nicht nach Rom geführt, und ihre<lb/>
Urheber haben jederzeit eingestanden, daß der Weg lang sein und Geduld erheischen<lb/>
werde. Allein abgesehen von einzelnen Reformen, wie der Einführung der Civil¬<lb/>
ehe, abgesehen von der Aufhebung der religiösen Körperschaften, die jetzt die Linke<lb/>
für sich in Anspruch nehmen möchte, während sie zuerst vor drei Jahren Vom<lb/>
Ministerium Minghetli in Gesetzes form vorgeschlagen worden ist, darf man wohl<lb/>
sagen, daß der einzige wesentliche Fortschritt, den die römische Frage gethan hat,<lb/>
nur durch diejenige Politik möglich wurde, die jetzt von der Kammer verurtheilt<lb/>
ist. Daß in Rom keine französischen Occupationstruppen mehr stehen, daß die<lb/>
weltliche Gewalt nur noch auf ihren eigenen Füßen steht, daß kein außeritalienischcr<lb/>
Wille mehr in Italien gebietet, dies ist einzig derjenigen Politik zu verdanken,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 34'</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] habe er in Rom zu wissen gethan, daß es mit den Bischofsernennungen ein Ende habe. Allein deswegen könne man doch nicht sagen, daß Nicasoli unloyal gehandelt habe. Nach der vorausgegangenen Debatte sei es jedoch der Regie¬ rung unmöglich, die einfache Tagesordnung anzunehmen, sie müsse auf einem Votum bestehen, das die Ideen der Kammer ausdrücke und der Negierung damit eine Direktive gebe. Er empfahl zu diesem Zweck eine von Mancini vorgeschla¬ gene Tagesordnung, weil sie keinen Tadel gegen Nicasoli enthalte. Wer einmal eine Charakteristik Nattazzis schreiben will, wird diese bezeichnende Scene nicht vergessen dürfen. Der Antrag Mancinis enthielt allerdings keinen directen Tadel gegen Nica¬ soli, der Wortlaut war allgemein und nichtssagend, es war die Erwartung aus¬ gedrückt, daß die Regierung die Rechte der Krone und die Würde der Nation unangetastet aufrecht halten werde. Aber gemeint war er gleichwohl als Ta¬ delsvotum, und nach der vorangegangenen Debatte konnte er gar keinen andern Sinn haben. Das Resultat war vorauszusehen. Der Antrag auf einfache Tagesordnung siel mit 231 gegen 116 Stimmen, der Antrag Mancinis wurde nach unerquicklicher Debatte darüber, ob er um Tadelsvotum sei oder nicht, mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist die seitherige italienische Politik in der römischen Frage abgeschlossen, sie gehört nunmehr der Geschichte an. Der Grund der Wendung liegt aller¬ dings im Starrsinn der Kurie und ist insofern verständlich genug; man war es müde, fortgesetzt Zugeständnisse zu machen, denen keine Gegenleistungen ent« sprachen, ein Extrem rief wie immer das andere hervor. Allein erst die Zu¬ kunft wird darüber entscheiden, ob die Volksvertretung Italiens recht gethan hat, einen großen politischen Gedanken aufzugeben, weil in sieben Jahren die Früchte noch nicht abzuschütteln sind. Den Italienern ist das Warten lang geworden, dies ist nicht zu verwundern; die Frage ist nur die, ob die Aera Nattazzi einst glücklichere Resultate aufzuweisen haben wird, als ihre Vorgängerinnen. Nur die Partciverblcndung kann behaupten, daß die abgelaufene Periode der Kirchenpolitik unfruchtbar gewesen sei. Sie hat allerdings nicht nach Rom geführt, und ihre Urheber haben jederzeit eingestanden, daß der Weg lang sein und Geduld erheischen werde. Allein abgesehen von einzelnen Reformen, wie der Einführung der Civil¬ ehe, abgesehen von der Aufhebung der religiösen Körperschaften, die jetzt die Linke für sich in Anspruch nehmen möchte, während sie zuerst vor drei Jahren Vom Ministerium Minghetli in Gesetzes form vorgeschlagen worden ist, darf man wohl sagen, daß der einzige wesentliche Fortschritt, den die römische Frage gethan hat, nur durch diejenige Politik möglich wurde, die jetzt von der Kammer verurtheilt ist. Daß in Rom keine französischen Occupationstruppen mehr stehen, daß die weltliche Gewalt nur noch auf ihren eigenen Füßen steht, daß kein außeritalienischcr Wille mehr in Italien gebietet, dies ist einzig derjenigen Politik zu verdanken, 34'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/277>, abgerufen am 15.01.2025.