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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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im Ministerrath zu sichern gedachte und welches eben die Ursache war, daß die
andern Parteihäupter sich weigerten in sein Ministerium zu treten. Er schien
geneigt, einen neuen Entwurf über die Liquidation des Kirchenvermögens vorzu¬
legen, aber dieser hätte doch wieder auf denselben Grundsätzen über das Ver¬
hältniß von Kirche und Staat beruhen müssen, mit denen sich nun einmal
Ricasoli identificirt hat. und eben gegen diese Grundsätze erhob sich eine immer
entschiedenere Opposition. Dazu kam, daß Ricasoli es wenig verstanden hatte,
eine Kammer, die ans so diverg'renden Elementen besteht, ja nicht einmal seine
eigene Partei mit kräftiger Hand zusammenzuhalten. Ehrlich, offen, makellos,
aber schroff, stolz, unbiegsam, wenig um Popularität bekümmert, sah er sich fast
vereinsamt; ja grade die Hohheit seines Charakters schien unbequem und reizte
die Waffen hämischer Verläumdung. Es gehört zu den unerfreulichsten Zügen
im politischen Leben Italiens, daß man keine größere Freude kennt, als die
wirklich tüchtigen Männer, die über die Menge herausragen, unmöglich zu machen,
herunterzureißen, zu "demoliren". Es ist unglaublich, was das neuere Italien
in diesem Stück geleistet hat, von Cavour an, der sich aufrieb in den leiden¬
schaftlichen Kämpfen mit der Linken, bis auf diesen Tag.

Jetzt war die Zeit Nattazzis gekommen, der in allen wichtigen Fragen
vorsichtig zurückgehalten hatte, um in jedem Augenblick möglich zu sein, der
durch die Geschmeidigkeit seines Wesens grade für solche zweideutige Situationen
sich eignete, von denen man noch nicht wußte, was daraus werden sollte, der
ungehindert durch System und Doctrinen nie um die schicklichen Mittel des
Augenblicks verlegen war. Demgemäß war sein Auftreten im Parlament, seine
Antrittsrede war in den allgemeinsten Ausdrücken gehalten, sein Ministerium
hatte er fast aus lauter obscurer, bisher kaum genannten Männern zusammen¬
gesetzt. Er war entschlossen abzuwarten, bis die Kammer sich in irgendeiner
Richtung aussprechen würde. Sein Finanzminister Ferrara arbeitete zwar einen
neuen Plan über die Kirchengüterliquidation aus, als jedoch auch dieser auf
allgemeinen Widerspruch stieß (hauptsächlich weil er gleichfalls die freie Zu¬
stimmung des Klerus voraussetzte), gab Rattazzi ohne Bedenken das Project und
den Minister preis. Inzwischen wußte er aufs liebenswürdigste der Kammer zu
begegnen, und sie erwies sich dan'bar. So unbequem ihr Ricasoli gewesen war,
so gerne ließ sie sich einen Minister gefallen, der ihr nicht imponirte. Zwischen
der Linken und dem Ministerpräsidenten entwickelte sich von Tag zu Tag ein
zärtlicheres Verhältniß.

An der Kammer also nun war es. die Initiative zu ergreifen. Sie hatte
ein Project nach dem andern verworfen, einen Minister nach dem andern ge¬
stürzt, man konnte erwarten, daß sie endlich einmal einen positiven Veitrag zur
Lösung der Kirchenfrage gebe. Schon die Wahl der Commission zeigte das
Uebergewicht, das in dieser Frage die Linke erlangt hatte, Präsident der


im Ministerrath zu sichern gedachte und welches eben die Ursache war, daß die
andern Parteihäupter sich weigerten in sein Ministerium zu treten. Er schien
geneigt, einen neuen Entwurf über die Liquidation des Kirchenvermögens vorzu¬
legen, aber dieser hätte doch wieder auf denselben Grundsätzen über das Ver¬
hältniß von Kirche und Staat beruhen müssen, mit denen sich nun einmal
Ricasoli identificirt hat. und eben gegen diese Grundsätze erhob sich eine immer
entschiedenere Opposition. Dazu kam, daß Ricasoli es wenig verstanden hatte,
eine Kammer, die ans so diverg'renden Elementen besteht, ja nicht einmal seine
eigene Partei mit kräftiger Hand zusammenzuhalten. Ehrlich, offen, makellos,
aber schroff, stolz, unbiegsam, wenig um Popularität bekümmert, sah er sich fast
vereinsamt; ja grade die Hohheit seines Charakters schien unbequem und reizte
die Waffen hämischer Verläumdung. Es gehört zu den unerfreulichsten Zügen
im politischen Leben Italiens, daß man keine größere Freude kennt, als die
wirklich tüchtigen Männer, die über die Menge herausragen, unmöglich zu machen,
herunterzureißen, zu „demoliren". Es ist unglaublich, was das neuere Italien
in diesem Stück geleistet hat, von Cavour an, der sich aufrieb in den leiden¬
schaftlichen Kämpfen mit der Linken, bis auf diesen Tag.

Jetzt war die Zeit Nattazzis gekommen, der in allen wichtigen Fragen
vorsichtig zurückgehalten hatte, um in jedem Augenblick möglich zu sein, der
durch die Geschmeidigkeit seines Wesens grade für solche zweideutige Situationen
sich eignete, von denen man noch nicht wußte, was daraus werden sollte, der
ungehindert durch System und Doctrinen nie um die schicklichen Mittel des
Augenblicks verlegen war. Demgemäß war sein Auftreten im Parlament, seine
Antrittsrede war in den allgemeinsten Ausdrücken gehalten, sein Ministerium
hatte er fast aus lauter obscurer, bisher kaum genannten Männern zusammen¬
gesetzt. Er war entschlossen abzuwarten, bis die Kammer sich in irgendeiner
Richtung aussprechen würde. Sein Finanzminister Ferrara arbeitete zwar einen
neuen Plan über die Kirchengüterliquidation aus, als jedoch auch dieser auf
allgemeinen Widerspruch stieß (hauptsächlich weil er gleichfalls die freie Zu¬
stimmung des Klerus voraussetzte), gab Rattazzi ohne Bedenken das Project und
den Minister preis. Inzwischen wußte er aufs liebenswürdigste der Kammer zu
begegnen, und sie erwies sich dan'bar. So unbequem ihr Ricasoli gewesen war,
so gerne ließ sie sich einen Minister gefallen, der ihr nicht imponirte. Zwischen
der Linken und dem Ministerpräsidenten entwickelte sich von Tag zu Tag ein
zärtlicheres Verhältniß.

An der Kammer also nun war es. die Initiative zu ergreifen. Sie hatte
ein Project nach dem andern verworfen, einen Minister nach dem andern ge¬
stürzt, man konnte erwarten, daß sie endlich einmal einen positiven Veitrag zur
Lösung der Kirchenfrage gebe. Schon die Wahl der Commission zeigte das
Uebergewicht, das in dieser Frage die Linke erlangt hatte, Präsident der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/270>, abgerufen am 15.01.2025.