Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.tiefer in die griechische und römische Welt eindrang. Auch die politischen Ver¬ So war also in einem wichtigen Punkte doch der paulinische Gedanke zur tiefer in die griechische und römische Welt eindrang. Auch die politischen Ver¬ So war also in einem wichtigen Punkte doch der paulinische Gedanke zur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191461"/> <p xml:id="ID_677" prev="#ID_676"> tiefer in die griechische und römische Welt eindrang. Auch die politischen Ver¬<lb/> hältnisse trugen dazu bei, den Zusammenhang mit Palästina, der Heimath der<lb/> neuen Lehre zu lösen. Mit der Zerstörung Jerusalems begann auch die domi-<lb/> nirende Stellung der christlichen Gemeinde in dieser Stadt erschüttert zu werden,<lb/> und noch mehr rückte durch die Ereignisse unter Hadrian der Schwerpunkt des<lb/> neuen Glaubens nach Osten, in die heidnische Welt. Damit aber waren die<lb/> strengen Anforderungen bezüglich des Gesetzes nicht aufrecht zu halten. Die<lb/> Forderung der Beschneidung verlor ihren Sinn, und nach dem Galaterbrief ist<lb/> nicht weiter die Rede davon. Und wenn immerhin die herrschende Partei zahl¬<lb/> reiche Elemente des jüdischen Ritus beibehielt, zunächst alles das, was für die<lb/> Proselyten des Thors vorgeschrieben war, so wurden doch die Schranken zwischen<lb/> Judenthum und Christenthum immer schärfer gezogen. Der Unglaube der Ju¬<lb/> den sorgte dafür, daß die Christen sich bewußt wurden, eine Gemeinschaft zu<lb/> sein, die sich von den Juden ebenso unterschied, wie von den Heiden. Was die<lb/> Verheißungen Gottes an sein auserwähltes Volk betraf, so blieb nichts übrig, als<lb/> sich an die Auseinandersetzungen des Paulus oder des Verfassers des Hebräer-<lb/> briefes zu halten, der, gleichfalls ein Pauliner, durch geschickte Beweisführung<lb/> vom Standpunkt des Judaismus aus den ungleich höheren Charakter der<lb/> neuen Theokratie gegenüber der mosaischen durchzuführen suchte. Die Ansicht,<lb/> welche in Jerusalem noch immer den heiligen Mittelpunkt des Christenthums<lb/> erblickre und die judaistischen Forderungen schärfer spannte, wurde im Lauf des<lb/> zweiten Jahrhunderts selbst zur Partei, und schließlich, wenn sie ganz innerhalb<lb/> der Schranken der älteren Orthodoxie blieb, zur Häresie. Die große Mehrzahl<lb/> bequemte sich dem Grundsatz, daß das Evangelium für alle Völker ohne Ver¬<lb/> bindlichkeit der Totalität des Gesetzes bestimmt sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_678" next="#ID_679"> So war also in einem wichtigen Punkte doch der paulinische Gedanke zur<lb/> Anerkennung gelangt. Die immer weitere Ausbreitung in der Heidenwelt ver-<lb/> half der Idee des christlichen Universalismus zum Siege. Allein es fehlte noch<lb/> viel, daß die Kirche sich darum mit dem Apostel, welcher dieses Gedankens Ur¬<lb/> heber war. befreundet und ihm die Ehre gegeben hätte. Vielmehr beweist nichts<lb/> so sehr die ursprüngliche Schärfe des Gegensatzes, als daß auch jetzt noch das<lb/> Mißtrauen gegen Paulus fortdauerte. Man erkannte das Heidenchristenthum an.<lb/> aber man ließ wenigstens nicht dein Paulus den Ruhm, diesen Grundsatz ein¬<lb/> geführt zu haben. Man beharrte nicht auf dem Particularismus der ersten<lb/> Zeiten, aber Petrus selbst, der unmittelbare Schüler Jesu, mußte es sein, von<lb/> dem der Fortschritt ausgegangen war. Die neugewonnene Stufe des universellen<lb/> Christenthums wurde nur dadurch legitimirt, daß sie auf Petrus, das Haupt<lb/> der Orthodoxie zurückgeführt wurde. So schien eine Verständigung zwischen<lb/> beiden Parteien möglich, wenn das Werk des Paulus anerkannt, aber auf Petrus<lb/> übertragen wurde. In der Sage erscheint von nun an Petrus als der eigene-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0231]
tiefer in die griechische und römische Welt eindrang. Auch die politischen Ver¬
hältnisse trugen dazu bei, den Zusammenhang mit Palästina, der Heimath der
neuen Lehre zu lösen. Mit der Zerstörung Jerusalems begann auch die domi-
nirende Stellung der christlichen Gemeinde in dieser Stadt erschüttert zu werden,
und noch mehr rückte durch die Ereignisse unter Hadrian der Schwerpunkt des
neuen Glaubens nach Osten, in die heidnische Welt. Damit aber waren die
strengen Anforderungen bezüglich des Gesetzes nicht aufrecht zu halten. Die
Forderung der Beschneidung verlor ihren Sinn, und nach dem Galaterbrief ist
nicht weiter die Rede davon. Und wenn immerhin die herrschende Partei zahl¬
reiche Elemente des jüdischen Ritus beibehielt, zunächst alles das, was für die
Proselyten des Thors vorgeschrieben war, so wurden doch die Schranken zwischen
Judenthum und Christenthum immer schärfer gezogen. Der Unglaube der Ju¬
den sorgte dafür, daß die Christen sich bewußt wurden, eine Gemeinschaft zu
sein, die sich von den Juden ebenso unterschied, wie von den Heiden. Was die
Verheißungen Gottes an sein auserwähltes Volk betraf, so blieb nichts übrig, als
sich an die Auseinandersetzungen des Paulus oder des Verfassers des Hebräer-
briefes zu halten, der, gleichfalls ein Pauliner, durch geschickte Beweisführung
vom Standpunkt des Judaismus aus den ungleich höheren Charakter der
neuen Theokratie gegenüber der mosaischen durchzuführen suchte. Die Ansicht,
welche in Jerusalem noch immer den heiligen Mittelpunkt des Christenthums
erblickre und die judaistischen Forderungen schärfer spannte, wurde im Lauf des
zweiten Jahrhunderts selbst zur Partei, und schließlich, wenn sie ganz innerhalb
der Schranken der älteren Orthodoxie blieb, zur Häresie. Die große Mehrzahl
bequemte sich dem Grundsatz, daß das Evangelium für alle Völker ohne Ver¬
bindlichkeit der Totalität des Gesetzes bestimmt sei.
So war also in einem wichtigen Punkte doch der paulinische Gedanke zur
Anerkennung gelangt. Die immer weitere Ausbreitung in der Heidenwelt ver-
half der Idee des christlichen Universalismus zum Siege. Allein es fehlte noch
viel, daß die Kirche sich darum mit dem Apostel, welcher dieses Gedankens Ur¬
heber war. befreundet und ihm die Ehre gegeben hätte. Vielmehr beweist nichts
so sehr die ursprüngliche Schärfe des Gegensatzes, als daß auch jetzt noch das
Mißtrauen gegen Paulus fortdauerte. Man erkannte das Heidenchristenthum an.
aber man ließ wenigstens nicht dein Paulus den Ruhm, diesen Grundsatz ein¬
geführt zu haben. Man beharrte nicht auf dem Particularismus der ersten
Zeiten, aber Petrus selbst, der unmittelbare Schüler Jesu, mußte es sein, von
dem der Fortschritt ausgegangen war. Die neugewonnene Stufe des universellen
Christenthums wurde nur dadurch legitimirt, daß sie auf Petrus, das Haupt
der Orthodoxie zurückgeführt wurde. So schien eine Verständigung zwischen
beiden Parteien möglich, wenn das Werk des Paulus anerkannt, aber auf Petrus
übertragen wurde. In der Sage erscheint von nun an Petrus als der eigene-
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