Die preußischen Landräthe rekrutiren sich aus der Reihe der größeren meist adligen Grundbesitzer; ihre ganze Lebensanschauung wurzelt in diesem Kreise; ihr geselliger Verkehr bewegt sich in diesen Regionen; sie sind eben Mitglieder und Organe der Grundaristokratie; das ganze Institut trägt den Charakter eines aristokratischen Selfgovernment, dessen Wirkungen sich in das eigent¬ lich staatliche Gebiet mit erstrecken, das aber in der Vertretung der örtlichen Interessen der Grundaristokratie wurzelt.
Völlig anders steht das hannoversche Beamtenthum da. Es rekrutirt sich recht eigentlich aus dem bürgerlichen Mittelstande, ist völlig mit diesem ver¬ wachsen, lebt in demselben Ideenkreise wie dieser und hat nichts weniger als eine aristokratische Tendenz. Daß viele Adlige dem hannoverschen Beamten¬ stande angehören, ändert an dieser Thatsache nichts; es sind das eben durch¬ weg nur Adlige ohne Vermögen, wenigstens ohne Grundbesitz, und die wenigen Gutsbesitzer, die unter den Beamten sich finden, werden sorgfältig in einer andern Gegend angestellt, als wo ihre Güter liegen.
Man braucht zur Bestätigung unserer Anführungen nur auf den Umstand hinzuweisen, daß die ganze Lebensstellung und Lebensanschauung der hanno- verschen Verwaltungsbeamten mit der der Amtsrichter völlig gleich ist, daß zwischen beiden Classen der Beamten gesellschaftlich ein Gegensatz oder nur ein Unterschied nie bestanden hat, daß sich beide eben stets als in allen Beziehungen eng verbunden betrachtet haben.
Dagegen sehe man den Gegensatz der preußischen Landräthe und Kreis¬ richter. Der eine ist das Prototyp der Grundaristokratie, der andere das des liberalen Bürgerthums geworden.
Und besteht das hannoversche Bcamtenpcrsonal nicht durchweg aus denselben gesellschaftlichen Elementen, wie das preußische Kreisrichtcrpersonal? Daß die hannoverschen Beamten nicht dieselbe politisch-liberale Färbung haben, vielmehr im Ganzen entschieden conservativen Principien sich zuneigen, hat andere Gründe. Sehen wir davon hier vorläufig ab und fragen weiter, wie sich die¬ ser gewaltige Unterschied zwischen der preußischen und hannoverschen Lokalver¬ waltung erklärt, so ergiebt sich die Antwort auf diese Frage aus der geschichtlichen Entwickelung beider Gebiete.
Preußen, aus wie kleinen Anfängen es auch aufwuchs, hatte doch von jeher seine Aufgabe als Staat richtig begriffen; die Regenten suchten in der Zusam¬ menfassung der Wehrkraft, in Herstellung einer starken und unparteiischen Rechts¬ pflege, in dem Unterdrücken jeder Auflehnung wider die Staatsgewalt, diese zu heben und zu stärken, nie aber sich persönlich besondere Vortheile zu erringen. Preußen war eben von je ein wirklicher Staat, in dem dieser Be¬ griff zur vorwiegenden Geltung kam. im Gegensatz zu dem kleinen deutschen Pa- trimonialstaat, wie er bis zum Ende vorigen Jahrhunderts die Regel bildete. *
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Die preußischen Landräthe rekrutiren sich aus der Reihe der größeren meist adligen Grundbesitzer; ihre ganze Lebensanschauung wurzelt in diesem Kreise; ihr geselliger Verkehr bewegt sich in diesen Regionen; sie sind eben Mitglieder und Organe der Grundaristokratie; das ganze Institut trägt den Charakter eines aristokratischen Selfgovernment, dessen Wirkungen sich in das eigent¬ lich staatliche Gebiet mit erstrecken, das aber in der Vertretung der örtlichen Interessen der Grundaristokratie wurzelt.
Völlig anders steht das hannoversche Beamtenthum da. Es rekrutirt sich recht eigentlich aus dem bürgerlichen Mittelstande, ist völlig mit diesem ver¬ wachsen, lebt in demselben Ideenkreise wie dieser und hat nichts weniger als eine aristokratische Tendenz. Daß viele Adlige dem hannoverschen Beamten¬ stande angehören, ändert an dieser Thatsache nichts; es sind das eben durch¬ weg nur Adlige ohne Vermögen, wenigstens ohne Grundbesitz, und die wenigen Gutsbesitzer, die unter den Beamten sich finden, werden sorgfältig in einer andern Gegend angestellt, als wo ihre Güter liegen.
Man braucht zur Bestätigung unserer Anführungen nur auf den Umstand hinzuweisen, daß die ganze Lebensstellung und Lebensanschauung der hanno- verschen Verwaltungsbeamten mit der der Amtsrichter völlig gleich ist, daß zwischen beiden Classen der Beamten gesellschaftlich ein Gegensatz oder nur ein Unterschied nie bestanden hat, daß sich beide eben stets als in allen Beziehungen eng verbunden betrachtet haben.
Dagegen sehe man den Gegensatz der preußischen Landräthe und Kreis¬ richter. Der eine ist das Prototyp der Grundaristokratie, der andere das des liberalen Bürgerthums geworden.
Und besteht das hannoversche Bcamtenpcrsonal nicht durchweg aus denselben gesellschaftlichen Elementen, wie das preußische Kreisrichtcrpersonal? Daß die hannoverschen Beamten nicht dieselbe politisch-liberale Färbung haben, vielmehr im Ganzen entschieden conservativen Principien sich zuneigen, hat andere Gründe. Sehen wir davon hier vorläufig ab und fragen weiter, wie sich die¬ ser gewaltige Unterschied zwischen der preußischen und hannoverschen Lokalver¬ waltung erklärt, so ergiebt sich die Antwort auf diese Frage aus der geschichtlichen Entwickelung beider Gebiete.
Preußen, aus wie kleinen Anfängen es auch aufwuchs, hatte doch von jeher seine Aufgabe als Staat richtig begriffen; die Regenten suchten in der Zusam¬ menfassung der Wehrkraft, in Herstellung einer starken und unparteiischen Rechts¬ pflege, in dem Unterdrücken jeder Auflehnung wider die Staatsgewalt, diese zu heben und zu stärken, nie aber sich persönlich besondere Vortheile zu erringen. Preußen war eben von je ein wirklicher Staat, in dem dieser Be¬ griff zur vorwiegenden Geltung kam. im Gegensatz zu dem kleinen deutschen Pa- trimonialstaat, wie er bis zum Ende vorigen Jahrhunderts die Regel bildete. *
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Die preußischen Landräthe rekrutiren sich aus der Reihe der größeren meist
adligen Grundbesitzer; ihre ganze Lebensanschauung wurzelt in diesem Kreise;
ihr geselliger Verkehr bewegt sich in diesen Regionen; sie sind eben Mitglieder
und Organe der Grundaristokratie; das ganze Institut trägt den Charakter
eines aristokratischen Selfgovernment, dessen Wirkungen sich in das eigent¬
lich staatliche Gebiet mit erstrecken, das aber in der Vertretung der örtlichen
Interessen der Grundaristokratie wurzelt.
Völlig anders steht das hannoversche Beamtenthum da. Es rekrutirt sich
recht eigentlich aus dem bürgerlichen Mittelstande, ist völlig mit diesem ver¬
wachsen, lebt in demselben Ideenkreise wie dieser und hat nichts weniger als
eine aristokratische Tendenz. Daß viele Adlige dem hannoverschen Beamten¬
stande angehören, ändert an dieser Thatsache nichts; es sind das eben durch¬
weg nur Adlige ohne Vermögen, wenigstens ohne Grundbesitz, und die wenigen
Gutsbesitzer, die unter den Beamten sich finden, werden sorgfältig in einer
andern Gegend angestellt, als wo ihre Güter liegen.
Man braucht zur Bestätigung unserer Anführungen nur auf den Umstand
hinzuweisen, daß die ganze Lebensstellung und Lebensanschauung der hanno-
verschen Verwaltungsbeamten mit der der Amtsrichter völlig gleich ist, daß
zwischen beiden Classen der Beamten gesellschaftlich ein Gegensatz oder nur ein
Unterschied nie bestanden hat, daß sich beide eben stets als in allen Beziehungen
eng verbunden betrachtet haben.
Dagegen sehe man den Gegensatz der preußischen Landräthe und Kreis¬
richter. Der eine ist das Prototyp der Grundaristokratie, der andere das des
liberalen Bürgerthums geworden.
Und besteht das hannoversche Bcamtenpcrsonal nicht durchweg aus denselben
gesellschaftlichen Elementen, wie das preußische Kreisrichtcrpersonal? Daß die
hannoverschen Beamten nicht dieselbe politisch-liberale Färbung haben, vielmehr
im Ganzen entschieden conservativen Principien sich zuneigen, hat andere
Gründe. Sehen wir davon hier vorläufig ab und fragen weiter, wie sich die¬
ser gewaltige Unterschied zwischen der preußischen und hannoverschen Lokalver¬
waltung erklärt, so ergiebt sich die Antwort auf diese Frage aus der geschichtlichen
Entwickelung beider Gebiete.
Preußen, aus wie kleinen Anfängen es auch aufwuchs, hatte doch von jeher
seine Aufgabe als Staat richtig begriffen; die Regenten suchten in der Zusam¬
menfassung der Wehrkraft, in Herstellung einer starken und unparteiischen Rechts¬
pflege, in dem Unterdrücken jeder Auflehnung wider die Staatsgewalt,
diese zu heben und zu stärken, nie aber sich persönlich besondere Vortheile zu
erringen. Preußen war eben von je ein wirklicher Staat, in dem dieser Be¬
griff zur vorwiegenden Geltung kam. im Gegensatz zu dem kleinen deutschen Pa-
trimonialstaat, wie er bis zum Ende vorigen Jahrhunderts die Regel bildete.
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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/213>, abgerufen am 24.01.2025.
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