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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Nach modernem Staatsrecht darf diejenige Neutralität eines Landes nämlich
für vorzugsweise gesichert gelten, welche in besonderen feierlichen Verträgen von
bestimmten Mächten als permanente und nothwendige Neutralität garantirt
wird. Denn in diesem Falle muß der Garant auf Anruf des neutralen oder
jedes Betheiligten alle ihm zu Gebote stehenden Mittel anwenden "um dem¬
selben die versicherten Rechte gegen unrechtmäßige Anfechtungen und Angriffe
zu erhalten oder gegen derartigen Widerspruch durchzusetzen." *) Die Uebernahme
der Gewährschaft für die Seiten der Contrahenten als permanent und noth¬
wendig festgesetzte Neutralität wird noch kräftiger und deutlicher jedem dann
vor Augen treten, wenn die Zusicherung der Neutralität das Hauptsächliche
eines internationalen Vertrags den Hauptvertragselbst bildet, und nicht
wie in den wiener Verträgen von 1813 die krakauische und schweizerische Neu¬
tralität, oder im Separationsvertrag vom 15. Nov. 1831 und Vertrag vom
19. April 1839 die belgische ein bloßes Accessorium zu ganz anderen Haupt¬
gesichtspunkten ist. Endlich muß das denkbar höchste Maß dieser Gewährleistung
sür die Neutralität eines europäischen Staates dann für erfüllt gelten, wenn
nicht nur einer oder einige europäische Großmächte, sondern die Vertreter
aller kriegsmächtigen europäischen Völker zum Schutz und zur Aufrechterhaltung
der stipulirten Neutralität gemeinsam sich verpflichten. Eine solche Collec¬
tio-Garantie muß in demselben Maße als eine höhere gelten, wie die pri-
vatrechtliche Correal- oder Sol.idarobligation der einfachen Obligation
gegenüber. Sie hat den Sinn und Zweck, denjenigen, der die garantirte Neu¬
tralität verletzt in den Augen von ganz Europa und im Urtheil der Geschichte
als Friedensbrecher hinzustellen. Sie legt jedem der Garanten die Verpflichtung
auf, auf Anrufen des Verletzten oder irgendeines Mitcontrahenten, ja unseres
Bedünkens (ex Melo nobM seiner durch die Verletzung mitgekränkten Staats¬
ehre) auch aus eigener Initiative die Verletzung als einen dem gemeinsamen
Abkommen ins Gesicht geschleuderten Vertragsbruch und Kriegsfall zu
betrachten und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen.
Dieser Verpflichtung kann sich nach Analogie der Solidarobligation keiner der
Mitgaranten eher überhoben halten, bis dem strengen Wortlaut des gemein-
samen Neutralitätsvertrages völlige Genüge geleistet worden, die verletzte Neu¬
tralität allenthalben in iateZrum restituirt ist.

Und diese Garantie war es, die Preußen hinsichtlich der zu stipuliren-
den Neutralität Luxemburgs verlangte, und durchsetzte. Durchgesetzt ward sie
vor allem gegen das hartnäckige Sträuben der englischen Staatsmänner, die
sich und ihren Staat gern von Mitübernahme der Collectivgarantie ferngehalten



He ffter, dos europäische Völkerr. § 22. IV. S 2", IV., § 97.
Grenzboten III. 1867. 19

Nach modernem Staatsrecht darf diejenige Neutralität eines Landes nämlich
für vorzugsweise gesichert gelten, welche in besonderen feierlichen Verträgen von
bestimmten Mächten als permanente und nothwendige Neutralität garantirt
wird. Denn in diesem Falle muß der Garant auf Anruf des neutralen oder
jedes Betheiligten alle ihm zu Gebote stehenden Mittel anwenden „um dem¬
selben die versicherten Rechte gegen unrechtmäßige Anfechtungen und Angriffe
zu erhalten oder gegen derartigen Widerspruch durchzusetzen." *) Die Uebernahme
der Gewährschaft für die Seiten der Contrahenten als permanent und noth¬
wendig festgesetzte Neutralität wird noch kräftiger und deutlicher jedem dann
vor Augen treten, wenn die Zusicherung der Neutralität das Hauptsächliche
eines internationalen Vertrags den Hauptvertragselbst bildet, und nicht
wie in den wiener Verträgen von 1813 die krakauische und schweizerische Neu¬
tralität, oder im Separationsvertrag vom 15. Nov. 1831 und Vertrag vom
19. April 1839 die belgische ein bloßes Accessorium zu ganz anderen Haupt¬
gesichtspunkten ist. Endlich muß das denkbar höchste Maß dieser Gewährleistung
sür die Neutralität eines europäischen Staates dann für erfüllt gelten, wenn
nicht nur einer oder einige europäische Großmächte, sondern die Vertreter
aller kriegsmächtigen europäischen Völker zum Schutz und zur Aufrechterhaltung
der stipulirten Neutralität gemeinsam sich verpflichten. Eine solche Collec¬
tio-Garantie muß in demselben Maße als eine höhere gelten, wie die pri-
vatrechtliche Correal- oder Sol.idarobligation der einfachen Obligation
gegenüber. Sie hat den Sinn und Zweck, denjenigen, der die garantirte Neu¬
tralität verletzt in den Augen von ganz Europa und im Urtheil der Geschichte
als Friedensbrecher hinzustellen. Sie legt jedem der Garanten die Verpflichtung
auf, auf Anrufen des Verletzten oder irgendeines Mitcontrahenten, ja unseres
Bedünkens (ex Melo nobM seiner durch die Verletzung mitgekränkten Staats¬
ehre) auch aus eigener Initiative die Verletzung als einen dem gemeinsamen
Abkommen ins Gesicht geschleuderten Vertragsbruch und Kriegsfall zu
betrachten und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen.
Dieser Verpflichtung kann sich nach Analogie der Solidarobligation keiner der
Mitgaranten eher überhoben halten, bis dem strengen Wortlaut des gemein-
samen Neutralitätsvertrages völlige Genüge geleistet worden, die verletzte Neu¬
tralität allenthalben in iateZrum restituirt ist.

Und diese Garantie war es, die Preußen hinsichtlich der zu stipuliren-
den Neutralität Luxemburgs verlangte, und durchsetzte. Durchgesetzt ward sie
vor allem gegen das hartnäckige Sträuben der englischen Staatsmänner, die
sich und ihren Staat gern von Mitübernahme der Collectivgarantie ferngehalten



He ffter, dos europäische Völkerr. § 22. IV. S 2», IV., § 97.
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[0155] Nach modernem Staatsrecht darf diejenige Neutralität eines Landes nämlich für vorzugsweise gesichert gelten, welche in besonderen feierlichen Verträgen von bestimmten Mächten als permanente und nothwendige Neutralität garantirt wird. Denn in diesem Falle muß der Garant auf Anruf des neutralen oder jedes Betheiligten alle ihm zu Gebote stehenden Mittel anwenden „um dem¬ selben die versicherten Rechte gegen unrechtmäßige Anfechtungen und Angriffe zu erhalten oder gegen derartigen Widerspruch durchzusetzen." *) Die Uebernahme der Gewährschaft für die Seiten der Contrahenten als permanent und noth¬ wendig festgesetzte Neutralität wird noch kräftiger und deutlicher jedem dann vor Augen treten, wenn die Zusicherung der Neutralität das Hauptsächliche eines internationalen Vertrags den Hauptvertragselbst bildet, und nicht wie in den wiener Verträgen von 1813 die krakauische und schweizerische Neu¬ tralität, oder im Separationsvertrag vom 15. Nov. 1831 und Vertrag vom 19. April 1839 die belgische ein bloßes Accessorium zu ganz anderen Haupt¬ gesichtspunkten ist. Endlich muß das denkbar höchste Maß dieser Gewährleistung sür die Neutralität eines europäischen Staates dann für erfüllt gelten, wenn nicht nur einer oder einige europäische Großmächte, sondern die Vertreter aller kriegsmächtigen europäischen Völker zum Schutz und zur Aufrechterhaltung der stipulirten Neutralität gemeinsam sich verpflichten. Eine solche Collec¬ tio-Garantie muß in demselben Maße als eine höhere gelten, wie die pri- vatrechtliche Correal- oder Sol.idarobligation der einfachen Obligation gegenüber. Sie hat den Sinn und Zweck, denjenigen, der die garantirte Neu¬ tralität verletzt in den Augen von ganz Europa und im Urtheil der Geschichte als Friedensbrecher hinzustellen. Sie legt jedem der Garanten die Verpflichtung auf, auf Anrufen des Verletzten oder irgendeines Mitcontrahenten, ja unseres Bedünkens (ex Melo nobM seiner durch die Verletzung mitgekränkten Staats¬ ehre) auch aus eigener Initiative die Verletzung als einen dem gemeinsamen Abkommen ins Gesicht geschleuderten Vertragsbruch und Kriegsfall zu betrachten und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen. Dieser Verpflichtung kann sich nach Analogie der Solidarobligation keiner der Mitgaranten eher überhoben halten, bis dem strengen Wortlaut des gemein- samen Neutralitätsvertrages völlige Genüge geleistet worden, die verletzte Neu¬ tralität allenthalben in iateZrum restituirt ist. Und diese Garantie war es, die Preußen hinsichtlich der zu stipuliren- den Neutralität Luxemburgs verlangte, und durchsetzte. Durchgesetzt ward sie vor allem gegen das hartnäckige Sträuben der englischen Staatsmänner, die sich und ihren Staat gern von Mitübernahme der Collectivgarantie ferngehalten He ffter, dos europäische Völkerr. § 22. IV. S 2», IV., § 97. Grenzboten III. 1867. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/155>, abgerufen am 15.01.2025.