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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Unterschied zu erkennen zwischen dem eisigen Schatten des Borussenthums und
dem schönen Sonnenschein freiheitlicher Zustände, welcher über Württemberg
lachte. Dazu kommt, daß die Bürger dieser Fürstenthümer echt schwäbischen
Stammes, wahre Prachtexemplare von schwäbischen Mutterwitz und Fleiß sind,
und daß sie doppelte Lasten tragen. Sie haben nämlich die Abgaben an ihre
alten Fürsten behalten und leisten die an den neuen Staat noch obendrein; die
allgemeine Wehrpflicht, sowie die allgemeine Einkommensteuer und die classificirte
Einkommensteuer sind ihnen anfangs ohne Zweifel ebenso, wie so manchem
andern Neupreußen, höchst curiose und keineswegs angenehme Dinge gewesen.
Endlich aber sind die Einwohner dieses preußischen Landes Katholiken, und
man weiß ja, daß der katholische Priester, obgleich seine Kirche in Preußen
mehr Autonomie genießt als irgendwo sonst in Europa, eher für Oestreich oder
Polen schwärmt, als für Preußen, und daß er über seine "Pfarrkinder" einen
sehr ausgedehnten "beichtväterlichen" Einfluß ausübt.

Nach alledem hätte man glauben sollen, die Preußen in Hohenzollern hätten
mit beiden Händen, oder wie man bei Maulbronn sagt "mit allen eilf Fingern"
zugegriffen, als sich ihnen die Gelegenheit bot, mit guter Manier und anschei¬
nend ohne sonderliches Ntsico, aus besagtem eisigen Schatten in den belobten
freiheitlichen Sonnenschein überzugehen. Und diese Gelegenheit war ihnen
geboten im Sommer 1866. Aber sie wiesen dieselbe auf das entschiedenste
zurück. Die närrischen Menschen zogen den Schatten der Knechtschaft dem
Sonnenschein der Freiheit vor.

Die Geschichte ist kurz und lehrreich, und da ich noch in keinem der zahl¬
reichen illustrirten und nicht illustrirten, verständigen und unverständigen Werke,
welche die Ereignisse des Jahres 1866 darzustellen versuchen, eine Aufzeichnung
darüber gefunden habe, so erlauben Sie mir, daß ich sie Ihnen erzähle, und
indem ich die einfach rührenden Thatsachen an Ihren großen und berühm¬
ten Namen knüpfe, sie einer Vergessenheit entreiße, welche, nach meinem Gefühl,
eine unverdiente sein würde. Also hören Sie:

Ende Juni 1866 occupirte die württembergsche Armee die preußischen
Fürstenthümer Hohenzollern. Die militärische Promenade gelang vortrefflich.
Denn außer einer Handvoll Gensdarmen waren keine Soldaten in den Fürsten-
thümern. Dagegen die moralische Eroberung siel weniger glänzend aus, als
die militärische. Der bundcstägliche Civilcommissarius Graf Leutrum rückte
gleichzeitig mit der württembergischen Armee ein. Er begab sich zunächst nach
Gamertingen und legte die Hand auf die Sportelkasse. Den Kreisrichter
wollte er für den Bundestag vereidigen. Allein der ^uäex circularis erklärte,
er habe seinem König Treue geschworen, gedenke auch hieran durchaus nichts
zu ändern, und am allerwenigsten wolle er mit jener anonymen Gesellschaft,
genannt "Bundestag", etwas zu schaffen haben. Der ritterliche Graf drohte


Gltnzbotm III. 1867. 18

Unterschied zu erkennen zwischen dem eisigen Schatten des Borussenthums und
dem schönen Sonnenschein freiheitlicher Zustände, welcher über Württemberg
lachte. Dazu kommt, daß die Bürger dieser Fürstenthümer echt schwäbischen
Stammes, wahre Prachtexemplare von schwäbischen Mutterwitz und Fleiß sind,
und daß sie doppelte Lasten tragen. Sie haben nämlich die Abgaben an ihre
alten Fürsten behalten und leisten die an den neuen Staat noch obendrein; die
allgemeine Wehrpflicht, sowie die allgemeine Einkommensteuer und die classificirte
Einkommensteuer sind ihnen anfangs ohne Zweifel ebenso, wie so manchem
andern Neupreußen, höchst curiose und keineswegs angenehme Dinge gewesen.
Endlich aber sind die Einwohner dieses preußischen Landes Katholiken, und
man weiß ja, daß der katholische Priester, obgleich seine Kirche in Preußen
mehr Autonomie genießt als irgendwo sonst in Europa, eher für Oestreich oder
Polen schwärmt, als für Preußen, und daß er über seine „Pfarrkinder" einen
sehr ausgedehnten „beichtväterlichen" Einfluß ausübt.

Nach alledem hätte man glauben sollen, die Preußen in Hohenzollern hätten
mit beiden Händen, oder wie man bei Maulbronn sagt „mit allen eilf Fingern"
zugegriffen, als sich ihnen die Gelegenheit bot, mit guter Manier und anschei¬
nend ohne sonderliches Ntsico, aus besagtem eisigen Schatten in den belobten
freiheitlichen Sonnenschein überzugehen. Und diese Gelegenheit war ihnen
geboten im Sommer 1866. Aber sie wiesen dieselbe auf das entschiedenste
zurück. Die närrischen Menschen zogen den Schatten der Knechtschaft dem
Sonnenschein der Freiheit vor.

Die Geschichte ist kurz und lehrreich, und da ich noch in keinem der zahl¬
reichen illustrirten und nicht illustrirten, verständigen und unverständigen Werke,
welche die Ereignisse des Jahres 1866 darzustellen versuchen, eine Aufzeichnung
darüber gefunden habe, so erlauben Sie mir, daß ich sie Ihnen erzähle, und
indem ich die einfach rührenden Thatsachen an Ihren großen und berühm¬
ten Namen knüpfe, sie einer Vergessenheit entreiße, welche, nach meinem Gefühl,
eine unverdiente sein würde. Also hören Sie:

Ende Juni 1866 occupirte die württembergsche Armee die preußischen
Fürstenthümer Hohenzollern. Die militärische Promenade gelang vortrefflich.
Denn außer einer Handvoll Gensdarmen waren keine Soldaten in den Fürsten-
thümern. Dagegen die moralische Eroberung siel weniger glänzend aus, als
die militärische. Der bundcstägliche Civilcommissarius Graf Leutrum rückte
gleichzeitig mit der württembergischen Armee ein. Er begab sich zunächst nach
Gamertingen und legte die Hand auf die Sportelkasse. Den Kreisrichter
wollte er für den Bundestag vereidigen. Allein der ^uäex circularis erklärte,
er habe seinem König Treue geschworen, gedenke auch hieran durchaus nichts
zu ändern, und am allerwenigsten wolle er mit jener anonymen Gesellschaft,
genannt „Bundestag", etwas zu schaffen haben. Der ritterliche Graf drohte


Gltnzbotm III. 1867. 18
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[0147] Unterschied zu erkennen zwischen dem eisigen Schatten des Borussenthums und dem schönen Sonnenschein freiheitlicher Zustände, welcher über Württemberg lachte. Dazu kommt, daß die Bürger dieser Fürstenthümer echt schwäbischen Stammes, wahre Prachtexemplare von schwäbischen Mutterwitz und Fleiß sind, und daß sie doppelte Lasten tragen. Sie haben nämlich die Abgaben an ihre alten Fürsten behalten und leisten die an den neuen Staat noch obendrein; die allgemeine Wehrpflicht, sowie die allgemeine Einkommensteuer und die classificirte Einkommensteuer sind ihnen anfangs ohne Zweifel ebenso, wie so manchem andern Neupreußen, höchst curiose und keineswegs angenehme Dinge gewesen. Endlich aber sind die Einwohner dieses preußischen Landes Katholiken, und man weiß ja, daß der katholische Priester, obgleich seine Kirche in Preußen mehr Autonomie genießt als irgendwo sonst in Europa, eher für Oestreich oder Polen schwärmt, als für Preußen, und daß er über seine „Pfarrkinder" einen sehr ausgedehnten „beichtväterlichen" Einfluß ausübt. Nach alledem hätte man glauben sollen, die Preußen in Hohenzollern hätten mit beiden Händen, oder wie man bei Maulbronn sagt „mit allen eilf Fingern" zugegriffen, als sich ihnen die Gelegenheit bot, mit guter Manier und anschei¬ nend ohne sonderliches Ntsico, aus besagtem eisigen Schatten in den belobten freiheitlichen Sonnenschein überzugehen. Und diese Gelegenheit war ihnen geboten im Sommer 1866. Aber sie wiesen dieselbe auf das entschiedenste zurück. Die närrischen Menschen zogen den Schatten der Knechtschaft dem Sonnenschein der Freiheit vor. Die Geschichte ist kurz und lehrreich, und da ich noch in keinem der zahl¬ reichen illustrirten und nicht illustrirten, verständigen und unverständigen Werke, welche die Ereignisse des Jahres 1866 darzustellen versuchen, eine Aufzeichnung darüber gefunden habe, so erlauben Sie mir, daß ich sie Ihnen erzähle, und indem ich die einfach rührenden Thatsachen an Ihren großen und berühm¬ ten Namen knüpfe, sie einer Vergessenheit entreiße, welche, nach meinem Gefühl, eine unverdiente sein würde. Also hören Sie: Ende Juni 1866 occupirte die württembergsche Armee die preußischen Fürstenthümer Hohenzollern. Die militärische Promenade gelang vortrefflich. Denn außer einer Handvoll Gensdarmen waren keine Soldaten in den Fürsten- thümern. Dagegen die moralische Eroberung siel weniger glänzend aus, als die militärische. Der bundcstägliche Civilcommissarius Graf Leutrum rückte gleichzeitig mit der württembergischen Armee ein. Er begab sich zunächst nach Gamertingen und legte die Hand auf die Sportelkasse. Den Kreisrichter wollte er für den Bundestag vereidigen. Allein der ^uäex circularis erklärte, er habe seinem König Treue geschworen, gedenke auch hieran durchaus nichts zu ändern, und am allerwenigsten wolle er mit jener anonymen Gesellschaft, genannt „Bundestag", etwas zu schaffen haben. Der ritterliche Graf drohte Gltnzbotm III. 1867. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/147>, abgerufen am 15.01.2025.