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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Wilhelm, wenn ich mich erinnere, wie der Reichstagsabgeordnete Vebel aus
Sachsen, der mir wie ein Goldschnittslyriker, aber nicht wie ein Ver¬
treter handfester Arbeiter vorkam, mit frommem Schauder die Worte von Hein¬
rich Heine citirte:


"Wir bedürfen nur noch als Deutsche
Ein centrales Nationalzuchthaus
Und eine gemeinsame Peitsche",

wie er in fieberhafter Erregung uns zurief, dies Bedürfniß werde nun durch
Preußen befriedigt, obgleich, so viel ich weiß, Preußen ein Waldheim nicht aus¬
zuweisen hat; -- wenn ich dagegen auf der andern Seite höre, die dem nord¬
deutschen Bunde nicht angehörigen deutschen Lander seien der Hort der Freiheit,
wenn ich lese, wie der berühmte Röhrle, unmittelbar nachdem er einer an die
Kammer gerichteten Monstrepetition um Einberufung einer Constituante, weil
die bestehende württembergische Verfassung keinen Schuß Pulver werth sei, zu
den 41,999 Unterschriften, die sie schon trug, die seinige als die 42.000sie hinzu¬
gefügt hatte, in die Welt hineinschreibt: "Wie kann man uns Württembergern
zumuthen, uns aus dem schönsten Sonnenschein freiheitlicher Zustände in den
eisigen Schatten des Borussismus zu begeben? Sollen wir unsere schöne Preß-
freiheit, unsere vortreffliche Verfassung, unser gutes altes Recht, dahin geben
für das neue Recht, um unter der Firma der deutschen Einigung Kosaken
Bismarcks zu werden?", wenn er versichert: "Unfreiheit existirt in Württemberg
heutzutage nur noch insofern, als Preußen unsere nichtsnutzige Bureaukratie
am Ruder erhält <?), welche im andern Falle wir Württemberger schon längst
bei'n Teufel gejagt hätten"; wenn ich alle diese Stimmen der Völker höre,
so wird mir manchmal darüber, ich muß es leider gestehen, so dumm,
als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum; und um mich aus diesem
unbehaglichen Zustande herauszureißen weiß ich kein anderes Mittel als das,
mich aus dem Gebiete der Redensarten auf das der Thatsachen zu flüchten. Thatsache
aber ist es, daß Hannover zum Theil, Kurhessen und Nassau aber zum überwiegen¬
den Theil mit Vergnügen preußisch wurden, obgleich sie sich bis dahin so zu
sagen doch auch in dem Scheine kleinstaatlichcr Freiheit gesonnt hatten, daß dagegen
kein Theil von Preußen ein Gelüste verspürte. Preußen entfremdet und in den
Hort der Freiheit recipirt zu werden, auch nicht das allerjüngste preußische Ter-
ritorium, welches noch bis in die neueste Zeit unter Fürsten, welche sich sehr
auszeichneten vor den letzten Dynasten von Hannover, Kurhessen und Nassau,
die Segnungen des Kleinstaats genossen. Ich meine die Fürstentümer Hohen-
zollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen, welche sich der Donau und
der rauhen Alp entlang vom Neckarthal bis nach dem Bodensee erstrecken und
fast ringsum von dem Königreiche Württemberg umgeben sind, welche daher,
um mit Röhrle zu sprechen, besser als irgendjemand im Stande waren, den


Wilhelm, wenn ich mich erinnere, wie der Reichstagsabgeordnete Vebel aus
Sachsen, der mir wie ein Goldschnittslyriker, aber nicht wie ein Ver¬
treter handfester Arbeiter vorkam, mit frommem Schauder die Worte von Hein¬
rich Heine citirte:


„Wir bedürfen nur noch als Deutsche
Ein centrales Nationalzuchthaus
Und eine gemeinsame Peitsche",

wie er in fieberhafter Erregung uns zurief, dies Bedürfniß werde nun durch
Preußen befriedigt, obgleich, so viel ich weiß, Preußen ein Waldheim nicht aus¬
zuweisen hat; — wenn ich dagegen auf der andern Seite höre, die dem nord¬
deutschen Bunde nicht angehörigen deutschen Lander seien der Hort der Freiheit,
wenn ich lese, wie der berühmte Röhrle, unmittelbar nachdem er einer an die
Kammer gerichteten Monstrepetition um Einberufung einer Constituante, weil
die bestehende württembergische Verfassung keinen Schuß Pulver werth sei, zu
den 41,999 Unterschriften, die sie schon trug, die seinige als die 42.000sie hinzu¬
gefügt hatte, in die Welt hineinschreibt: „Wie kann man uns Württembergern
zumuthen, uns aus dem schönsten Sonnenschein freiheitlicher Zustände in den
eisigen Schatten des Borussismus zu begeben? Sollen wir unsere schöne Preß-
freiheit, unsere vortreffliche Verfassung, unser gutes altes Recht, dahin geben
für das neue Recht, um unter der Firma der deutschen Einigung Kosaken
Bismarcks zu werden?", wenn er versichert: „Unfreiheit existirt in Württemberg
heutzutage nur noch insofern, als Preußen unsere nichtsnutzige Bureaukratie
am Ruder erhält <?), welche im andern Falle wir Württemberger schon längst
bei'n Teufel gejagt hätten"; wenn ich alle diese Stimmen der Völker höre,
so wird mir manchmal darüber, ich muß es leider gestehen, so dumm,
als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum; und um mich aus diesem
unbehaglichen Zustande herauszureißen weiß ich kein anderes Mittel als das,
mich aus dem Gebiete der Redensarten auf das der Thatsachen zu flüchten. Thatsache
aber ist es, daß Hannover zum Theil, Kurhessen und Nassau aber zum überwiegen¬
den Theil mit Vergnügen preußisch wurden, obgleich sie sich bis dahin so zu
sagen doch auch in dem Scheine kleinstaatlichcr Freiheit gesonnt hatten, daß dagegen
kein Theil von Preußen ein Gelüste verspürte. Preußen entfremdet und in den
Hort der Freiheit recipirt zu werden, auch nicht das allerjüngste preußische Ter-
ritorium, welches noch bis in die neueste Zeit unter Fürsten, welche sich sehr
auszeichneten vor den letzten Dynasten von Hannover, Kurhessen und Nassau,
die Segnungen des Kleinstaats genossen. Ich meine die Fürstentümer Hohen-
zollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen, welche sich der Donau und
der rauhen Alp entlang vom Neckarthal bis nach dem Bodensee erstrecken und
fast ringsum von dem Königreiche Württemberg umgeben sind, welche daher,
um mit Röhrle zu sprechen, besser als irgendjemand im Stande waren, den


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[0146] Wilhelm, wenn ich mich erinnere, wie der Reichstagsabgeordnete Vebel aus Sachsen, der mir wie ein Goldschnittslyriker, aber nicht wie ein Ver¬ treter handfester Arbeiter vorkam, mit frommem Schauder die Worte von Hein¬ rich Heine citirte: „Wir bedürfen nur noch als Deutsche Ein centrales Nationalzuchthaus Und eine gemeinsame Peitsche", wie er in fieberhafter Erregung uns zurief, dies Bedürfniß werde nun durch Preußen befriedigt, obgleich, so viel ich weiß, Preußen ein Waldheim nicht aus¬ zuweisen hat; — wenn ich dagegen auf der andern Seite höre, die dem nord¬ deutschen Bunde nicht angehörigen deutschen Lander seien der Hort der Freiheit, wenn ich lese, wie der berühmte Röhrle, unmittelbar nachdem er einer an die Kammer gerichteten Monstrepetition um Einberufung einer Constituante, weil die bestehende württembergische Verfassung keinen Schuß Pulver werth sei, zu den 41,999 Unterschriften, die sie schon trug, die seinige als die 42.000sie hinzu¬ gefügt hatte, in die Welt hineinschreibt: „Wie kann man uns Württembergern zumuthen, uns aus dem schönsten Sonnenschein freiheitlicher Zustände in den eisigen Schatten des Borussismus zu begeben? Sollen wir unsere schöne Preß- freiheit, unsere vortreffliche Verfassung, unser gutes altes Recht, dahin geben für das neue Recht, um unter der Firma der deutschen Einigung Kosaken Bismarcks zu werden?", wenn er versichert: „Unfreiheit existirt in Württemberg heutzutage nur noch insofern, als Preußen unsere nichtsnutzige Bureaukratie am Ruder erhält <?), welche im andern Falle wir Württemberger schon längst bei'n Teufel gejagt hätten"; wenn ich alle diese Stimmen der Völker höre, so wird mir manchmal darüber, ich muß es leider gestehen, so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum; und um mich aus diesem unbehaglichen Zustande herauszureißen weiß ich kein anderes Mittel als das, mich aus dem Gebiete der Redensarten auf das der Thatsachen zu flüchten. Thatsache aber ist es, daß Hannover zum Theil, Kurhessen und Nassau aber zum überwiegen¬ den Theil mit Vergnügen preußisch wurden, obgleich sie sich bis dahin so zu sagen doch auch in dem Scheine kleinstaatlichcr Freiheit gesonnt hatten, daß dagegen kein Theil von Preußen ein Gelüste verspürte. Preußen entfremdet und in den Hort der Freiheit recipirt zu werden, auch nicht das allerjüngste preußische Ter- ritorium, welches noch bis in die neueste Zeit unter Fürsten, welche sich sehr auszeichneten vor den letzten Dynasten von Hannover, Kurhessen und Nassau, die Segnungen des Kleinstaats genossen. Ich meine die Fürstentümer Hohen- zollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen, welche sich der Donau und der rauhen Alp entlang vom Neckarthal bis nach dem Bodensee erstrecken und fast ringsum von dem Königreiche Württemberg umgeben sind, welche daher, um mit Röhrle zu sprechen, besser als irgendjemand im Stande waren, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/146>, abgerufen am 15.01.2025.