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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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zähen katholischen Protestanten dürfen sich doch nicht verhehlen, daß seit dem
Sommer des vergangenen Jahres alle politischen Proteste gar sehr im Preise
gesunken sind.

Das allgemeine directe Wahlrecht, wie es nun für das norddeutsche Par¬
lament zur Anwendung kommen soll, ist übrigens, wenn irgendwo, so für die
polnischen Gegenden des preußischen Staates ein zweischneidiges Messer. Der
große Haufe der ungebildeten Polen läßt sich in den Dingen, die er nicht ver-
steht -- und dazu gehört vor den vielen andern jede Landtagsangelegenheit,
geschweige eine Wahl zu einem neuen Reichstage -- blind von seinen Priestern
leiten, die eng mit dem polnischen Adel verbunden sind. Selbst die deutschen
Katholiken vom Lande werden, wie schon früher oft. auf deren Seite stehn,
und wir besorgen, daß das Gebot der Bischöfe, die Geistlichen hätten sich aller
politischen Agitationen zu enthalten, nur halben Gehorsam finden wird. Da
die protestantischen Deutschen sich bis jetzt niemals so allgemein an den Wahlen
betheiligt haben, weil ihnen die energischen Treiber fehlten, so war zu fürchten,
daß nur in den ganz oder fast rein deutschen Wahlbezirken von Westpreußen
und Posen deutsche Parteiwahlen stattfinden, die meisten aber polnisch ausfallen
würden. In allen gemischten Gegenden, selbst in der Stadt Posen, wo zum
preußischen Landtage immer ein deutscher Abgeordneter durchgesetzt wird, schienen
die Deutschen ihr Spiel verloren zu geben. Nur in Bromberg, von jeher der
regsamsten Stadt beider Provinzen, hatte man zeitig Vorberathungen gehalten
und gutes Resultat vorbereitet.

Da war es ein Resultat von ernster Bedeutung, daß sich sämmtliche poli¬
tische Fractionen der Deutschen zu gemeinsamer Agitation für die Wahlen ver¬
bunden haben. Zum ersten Mal seit dem Erwachen unseres parlamentarischen
Lebens findet eine solche Vereinigung der Kräfte statt. Es war hohe Zeit. Wir
aber erfüllen eine patriotische Pflicht, wenn wir den Vertretern sämmtlicher --
bisher so schroff entgegengesetzter Richtungen für ihre Selbstverläugnung danken
und den Wunsch aussprechen, daß die Einigung bei den Wahlacten selbst ein
wirkliches aufrichtiges und energisches Zusammenwirken zur Folge haben möge.
Denn noch wichtiger als der Vertrag der Führer ist das feste und entsagende
Zusammenstehen der deutschen Parteien in den einzelnen Wahlkreisen, und dafür
zu wirken ist jetzt Pflicht jedes Deutschen in Preußen und Posen.




zähen katholischen Protestanten dürfen sich doch nicht verhehlen, daß seit dem
Sommer des vergangenen Jahres alle politischen Proteste gar sehr im Preise
gesunken sind.

Das allgemeine directe Wahlrecht, wie es nun für das norddeutsche Par¬
lament zur Anwendung kommen soll, ist übrigens, wenn irgendwo, so für die
polnischen Gegenden des preußischen Staates ein zweischneidiges Messer. Der
große Haufe der ungebildeten Polen läßt sich in den Dingen, die er nicht ver-
steht — und dazu gehört vor den vielen andern jede Landtagsangelegenheit,
geschweige eine Wahl zu einem neuen Reichstage — blind von seinen Priestern
leiten, die eng mit dem polnischen Adel verbunden sind. Selbst die deutschen
Katholiken vom Lande werden, wie schon früher oft. auf deren Seite stehn,
und wir besorgen, daß das Gebot der Bischöfe, die Geistlichen hätten sich aller
politischen Agitationen zu enthalten, nur halben Gehorsam finden wird. Da
die protestantischen Deutschen sich bis jetzt niemals so allgemein an den Wahlen
betheiligt haben, weil ihnen die energischen Treiber fehlten, so war zu fürchten,
daß nur in den ganz oder fast rein deutschen Wahlbezirken von Westpreußen
und Posen deutsche Parteiwahlen stattfinden, die meisten aber polnisch ausfallen
würden. In allen gemischten Gegenden, selbst in der Stadt Posen, wo zum
preußischen Landtage immer ein deutscher Abgeordneter durchgesetzt wird, schienen
die Deutschen ihr Spiel verloren zu geben. Nur in Bromberg, von jeher der
regsamsten Stadt beider Provinzen, hatte man zeitig Vorberathungen gehalten
und gutes Resultat vorbereitet.

Da war es ein Resultat von ernster Bedeutung, daß sich sämmtliche poli¬
tische Fractionen der Deutschen zu gemeinsamer Agitation für die Wahlen ver¬
bunden haben. Zum ersten Mal seit dem Erwachen unseres parlamentarischen
Lebens findet eine solche Vereinigung der Kräfte statt. Es war hohe Zeit. Wir
aber erfüllen eine patriotische Pflicht, wenn wir den Vertretern sämmtlicher —
bisher so schroff entgegengesetzter Richtungen für ihre Selbstverläugnung danken
und den Wunsch aussprechen, daß die Einigung bei den Wahlacten selbst ein
wirkliches aufrichtiges und energisches Zusammenwirken zur Folge haben möge.
Denn noch wichtiger als der Vertrag der Führer ist das feste und entsagende
Zusammenstehen der deutschen Parteien in den einzelnen Wahlkreisen, und dafür
zu wirken ist jetzt Pflicht jedes Deutschen in Preußen und Posen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/86>, abgerufen am 22.12.2024.