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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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überlassen. Während des ganzen übrigen Feldzugs brannte das Corps vor
Begierde, diese Scharte wieder auszuwetzen, aber es wurde ihm weder bei
Königsgrätz. noch bei Tobitschau hinreichende Gelegenheit dazu. Die Kampflust
mußte in sich selbst verkosten; und so kehrten sie denn heim mit Gram und
Unmuth im Herzen. Genugthuung und Gewähr für besseres Geschick in künf¬
tigen Tagen wurde ihnen dadurch gegeben, daß der ruhmgekrönte Vogel
v, Falkenstein das Commando erhielt. Sollte es in Jahr und Tag wieder zu
einem Kriege kommen, dann mag der Feind sich vor dem falkensteinschen Corps
hüten.

Es ist selbstverständlich, daß die ganze Provinz an dem Mißgeschick ihrer
tapferen Soldaten theilnimmt. Dies häusliche Interesse hat lange hin alle
anderen zurückgedrängt. In der inneren Politik ist die Stimmung sehr konser¬
vativ geworden. Der altpreußische Stolz ist zu tief aufgewühlt durch die äuße¬
re" Gefahren und den Neid der Nachbarn, als daß man sich nicht mit neuer
Hingabe an die Regierung anschließen sollte. Die letzten Nachwahlen haben
davon Kunde gegeben. War Preußen bisher die liberalste Provinz, welche ver¬
hältnißmäßig die meisten Abgeordneten den entschieden liberalen Fractionen zu¬
führte, so hat sie schon zum jetzigen Hause fast zum Drittel conservativ gewählt:
bei einer Auflösung würde die Neuwahl vermuthlich eine noch höhere Ziffer nach
dieser Seite aufweisen. Ganz besonders würden neue ernste Conflicte in mili¬
tärischen Fragen -- die bis jetzt glücklich vermieden sind -- jenes Resultat ge¬
zeitigt haben.

In dem westlichen Theile unserer Provinz, noch mehr in Posen ist die
Siegesfreude unter den Deutschen eine um so größere gewesen, als durch jede
Erhöhung und Machtcrweiterung des Staats der gegenwärtige Zustand in die¬
sen Provinzen und deren Besitz überhaupt um so sicherer wird. Die Polen
dagegen haben sich dadurch keineswegs beugen lassen, sondern sie sind rüstig
damit beschäftigt, die Bereinigung dieser "polnischen Erde" mit dem Gesammt-
rciche, dessen Wiederherstellung diesmal -- inutatio äsleewt -- von Oestreich
erwartet wird, vorzubereiten. Die Zähigkeit, mit der dieses Volk an seinem
geträumten politischen Leben hängt, ist die eines irre gewordenen Greises, der
sich die fixe Idee in den Kopf gesetzt hat, noch Jüngling zu sein; sie kann
dem, welcher die Leute aus der Nähe kennen gelernt hat, wenigstens nicht Be¬
wunderung erregen. Nichtsdestoweniger muß der Alte immerwährend beobachtet
werden; denn Unheil genug kann er noch anrichten. Für Männer aber ist es
unwürdig, von der Humanität der in jedem Sinne mächtigeren Nachbarn und
Hausgenossen zu leben. Und was sonst als freie Humanität verhindert die Re¬
gierung, gegen sie ebenso zu verfahren, wie ihre Stammverwandten, die Russen,
deren Einmarsch sie von Zeit zu Zeit herbeiwünschen? Einen Ausnahmezustand
über die unzuverlässigen Kreise zu verhängen, wäre sie alle Augenblicke berechtigt.


überlassen. Während des ganzen übrigen Feldzugs brannte das Corps vor
Begierde, diese Scharte wieder auszuwetzen, aber es wurde ihm weder bei
Königsgrätz. noch bei Tobitschau hinreichende Gelegenheit dazu. Die Kampflust
mußte in sich selbst verkosten; und so kehrten sie denn heim mit Gram und
Unmuth im Herzen. Genugthuung und Gewähr für besseres Geschick in künf¬
tigen Tagen wurde ihnen dadurch gegeben, daß der ruhmgekrönte Vogel
v, Falkenstein das Commando erhielt. Sollte es in Jahr und Tag wieder zu
einem Kriege kommen, dann mag der Feind sich vor dem falkensteinschen Corps
hüten.

Es ist selbstverständlich, daß die ganze Provinz an dem Mißgeschick ihrer
tapferen Soldaten theilnimmt. Dies häusliche Interesse hat lange hin alle
anderen zurückgedrängt. In der inneren Politik ist die Stimmung sehr konser¬
vativ geworden. Der altpreußische Stolz ist zu tief aufgewühlt durch die äuße¬
re» Gefahren und den Neid der Nachbarn, als daß man sich nicht mit neuer
Hingabe an die Regierung anschließen sollte. Die letzten Nachwahlen haben
davon Kunde gegeben. War Preußen bisher die liberalste Provinz, welche ver¬
hältnißmäßig die meisten Abgeordneten den entschieden liberalen Fractionen zu¬
führte, so hat sie schon zum jetzigen Hause fast zum Drittel conservativ gewählt:
bei einer Auflösung würde die Neuwahl vermuthlich eine noch höhere Ziffer nach
dieser Seite aufweisen. Ganz besonders würden neue ernste Conflicte in mili¬
tärischen Fragen — die bis jetzt glücklich vermieden sind — jenes Resultat ge¬
zeitigt haben.

In dem westlichen Theile unserer Provinz, noch mehr in Posen ist die
Siegesfreude unter den Deutschen eine um so größere gewesen, als durch jede
Erhöhung und Machtcrweiterung des Staats der gegenwärtige Zustand in die¬
sen Provinzen und deren Besitz überhaupt um so sicherer wird. Die Polen
dagegen haben sich dadurch keineswegs beugen lassen, sondern sie sind rüstig
damit beschäftigt, die Bereinigung dieser „polnischen Erde" mit dem Gesammt-
rciche, dessen Wiederherstellung diesmal — inutatio äsleewt — von Oestreich
erwartet wird, vorzubereiten. Die Zähigkeit, mit der dieses Volk an seinem
geträumten politischen Leben hängt, ist die eines irre gewordenen Greises, der
sich die fixe Idee in den Kopf gesetzt hat, noch Jüngling zu sein; sie kann
dem, welcher die Leute aus der Nähe kennen gelernt hat, wenigstens nicht Be¬
wunderung erregen. Nichtsdestoweniger muß der Alte immerwährend beobachtet
werden; denn Unheil genug kann er noch anrichten. Für Männer aber ist es
unwürdig, von der Humanität der in jedem Sinne mächtigeren Nachbarn und
Hausgenossen zu leben. Und was sonst als freie Humanität verhindert die Re¬
gierung, gegen sie ebenso zu verfahren, wie ihre Stammverwandten, die Russen,
deren Einmarsch sie von Zeit zu Zeit herbeiwünschen? Einen Ausnahmezustand
über die unzuverlässigen Kreise zu verhängen, wäre sie alle Augenblicke berechtigt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/84>, abgerufen am 22.12.2024.