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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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wiedereroberien: Dodwell, Gell und Leake. Ausgerüstet mit einer unverächt¬
lichen Kenntniß der alten Literatur, erfüllt von echter warmer Begeisterung für
das Alterthum durchstreiften diese drei Männer bald einzeln, bald gemeinsam
oder auch im Verein mit anderen Reisenden. Stackelberg. Bröndsted, Haller,
jeden Winkel Griechenlands, geleitet von dem vor siebenzehn Jahrhunderten
geschriebenen Reisehandbuch des Pausanias, dem treuesten Führer durch das
alte Hellas im neuen. Und zum Erstaunen der Reisenden bot das noch fast
unbekannte Land auf Schritt und Tritt den Forschern reiche Reste der alten
Cultur. Unzählbar ist namentlich die Menge der Burgen und Festungen, deren
Mauern. Thürme und Thore noch mehr oder minder wohlerhalten die Haupt-
stälten der griechischen Sage und Geschichte bezeichnen; von den regelmäßigen
Anlagen aus schön behauenen Quadern an, wie sie die durch Epaminondas
gegründeten Städte Messene und Mantincia darbieten, bis hinauf zu den nicht
minder kunstvollen Bauten der alten Heroenzeit. Da liegt im innersten Winkel
der Ebene von Argos. halb auf der Höhe, der Burghof von Mykenä, umfriedigt
von einem wohlgefügten Mauerring aus vieleckigen, sorgfältig an einander ge¬
paßten Steinen. Ueber dem Thor halten neben einer gcbälktragenden Säule,
der Andeutung des Palastes, zwei majestätische Löwen von hochalterthümlichem
Stile Wacht, treu ausharrend an dem Posten, den sie wohl schon zu jener Zeit
inne hatten, da nach hellenischer Sage die schauerliche Familientragödie des
Pelopidengeschlechts sich hinter diese" Mauern abspielte, von der Mahlzeit des
Thyestes an bis zu Orestes Muttermord. Sage und Drama im Verein haben
diesen Ort für alle Ewigkeit geweiht. Dicht daneben liegen in die Erde hinein¬
gegraben mächtige kuppelförmige Gewölbe mit Resten einstmaliger Erzbekleidung
an den Wänden, die Grab> und Schatzkammern der Atriden, welche noch heute
den Namen Agamenmons im Volke bewahren und Zeugniß ablegen von dem
sagenberühmten Reichthum des von der homerischen Poesie gefeierten Geschlechtes.
Wirkt hier neben den Erinnerungen der Sagenzeit die Massenhaftigkeit der ur¬
alten Bauten, so ist es anderswo das Ebenmaß, die Schönheit, die künstlerische
Vollendung. So namentlich in den herrlichen Tempelruinen, die von dem
schroffen Cap Sunion. der Südspitze Attikas, oder von den kahlen Felsen Aigi-
nas hinabschauen auf das weite blaue Meer, selber von dem reinsten Aether
umgössen, die unweit Phigaleias halbversteckl im baumreichen Hochgebirge auf
einsamer Höhe thronen, die das lautlos verlassene Wiesenthal Nemeas oder das
von Erdbeben verwüstete Stadtgebiet der alten Meerbeherrscherin Korinth zieren,
die endlich in unerreichter Schönheit des Marmors wie der Formen Stadt und
Burg Athen ihren unvergleichlichsten Schmuck leihen. Wie der Fels der Akropolis
stolz und gebietend aus der weiten Ebene hervorragt, so ist gleichsam durch
Naturnothwendigkeit der Parthenon aus dem Felsen emporgewachsen; die Kunst
hat sich auf das Innigste der Natur angeschmiegt, ihr das Schöpfungsgcheim-


wiedereroberien: Dodwell, Gell und Leake. Ausgerüstet mit einer unverächt¬
lichen Kenntniß der alten Literatur, erfüllt von echter warmer Begeisterung für
das Alterthum durchstreiften diese drei Männer bald einzeln, bald gemeinsam
oder auch im Verein mit anderen Reisenden. Stackelberg. Bröndsted, Haller,
jeden Winkel Griechenlands, geleitet von dem vor siebenzehn Jahrhunderten
geschriebenen Reisehandbuch des Pausanias, dem treuesten Führer durch das
alte Hellas im neuen. Und zum Erstaunen der Reisenden bot das noch fast
unbekannte Land auf Schritt und Tritt den Forschern reiche Reste der alten
Cultur. Unzählbar ist namentlich die Menge der Burgen und Festungen, deren
Mauern. Thürme und Thore noch mehr oder minder wohlerhalten die Haupt-
stälten der griechischen Sage und Geschichte bezeichnen; von den regelmäßigen
Anlagen aus schön behauenen Quadern an, wie sie die durch Epaminondas
gegründeten Städte Messene und Mantincia darbieten, bis hinauf zu den nicht
minder kunstvollen Bauten der alten Heroenzeit. Da liegt im innersten Winkel
der Ebene von Argos. halb auf der Höhe, der Burghof von Mykenä, umfriedigt
von einem wohlgefügten Mauerring aus vieleckigen, sorgfältig an einander ge¬
paßten Steinen. Ueber dem Thor halten neben einer gcbälktragenden Säule,
der Andeutung des Palastes, zwei majestätische Löwen von hochalterthümlichem
Stile Wacht, treu ausharrend an dem Posten, den sie wohl schon zu jener Zeit
inne hatten, da nach hellenischer Sage die schauerliche Familientragödie des
Pelopidengeschlechts sich hinter diese» Mauern abspielte, von der Mahlzeit des
Thyestes an bis zu Orestes Muttermord. Sage und Drama im Verein haben
diesen Ort für alle Ewigkeit geweiht. Dicht daneben liegen in die Erde hinein¬
gegraben mächtige kuppelförmige Gewölbe mit Resten einstmaliger Erzbekleidung
an den Wänden, die Grab> und Schatzkammern der Atriden, welche noch heute
den Namen Agamenmons im Volke bewahren und Zeugniß ablegen von dem
sagenberühmten Reichthum des von der homerischen Poesie gefeierten Geschlechtes.
Wirkt hier neben den Erinnerungen der Sagenzeit die Massenhaftigkeit der ur¬
alten Bauten, so ist es anderswo das Ebenmaß, die Schönheit, die künstlerische
Vollendung. So namentlich in den herrlichen Tempelruinen, die von dem
schroffen Cap Sunion. der Südspitze Attikas, oder von den kahlen Felsen Aigi-
nas hinabschauen auf das weite blaue Meer, selber von dem reinsten Aether
umgössen, die unweit Phigaleias halbversteckl im baumreichen Hochgebirge auf
einsamer Höhe thronen, die das lautlos verlassene Wiesenthal Nemeas oder das
von Erdbeben verwüstete Stadtgebiet der alten Meerbeherrscherin Korinth zieren,
die endlich in unerreichter Schönheit des Marmors wie der Formen Stadt und
Burg Athen ihren unvergleichlichsten Schmuck leihen. Wie der Fels der Akropolis
stolz und gebietend aus der weiten Ebene hervorragt, so ist gleichsam durch
Naturnothwendigkeit der Parthenon aus dem Felsen emporgewachsen; die Kunst
hat sich auf das Innigste der Natur angeschmiegt, ihr das Schöpfungsgcheim-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/60>, abgerufen am 23.12.2024.