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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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zusammenfaßte und für die er in den Grubenwerken seiner eigenen Güter
ein vortreffliches Uutersuchungsfeld besaß. Ein Edelmann im schönsten Sinne
des Wortes lauschte er den Regungen vaterländisch-böhmischer Selbständigkeit
allenthalben, wo sie eine gesunde Richtung nahmen; er wurde der Gründer
des prager Nationalmuseums und erzielte, indem er zu den großen Wander¬
versammlungen deutscher Naturforscher die erste Anregung gab, eine erst in
unseren Tagen in ihrer vollen Wichtigkeit gewürdigte Förderung der Wissen¬
schaft. In diesem Manne nun fand auch Goethe einen Mentor. Jede natur¬
wissenschaftliche Frage, die ihn dringend beschäftigt (hauptsächlich handelt es sich
um Geologie und Meteorologie) legt er dem Freunde zur Begutachtung vor
und erhält von ihn, prompte und bestimmte Auskunft; während er wiederum
diesem zu Liebe innerhalb des kleinen Staates, der ihm zur Gerfügung steht,
Nachgrabungen anstellen und Berichte aufsetzen läßt. Die positiven Resultate
dieser schriftlichen Zwiegespräche sind- freilich wohl von der Wissenschaft längst
gebucht und zum großen Theil bereits antiquirt, aber einiges, z. B. die schöne
Studie Sternbergs über die Gcwitterznge in Böhmen, behält wohl noch heute
seinen Werth, und die Hauptsache ist ja nicht, was, sondern wie hier verhan¬
delt wird, mit welchem Ernst sich der Eine wie der Andere in die Sache ver¬
senkt, im Kleinsten das Größte zu erschauen sucht und das neu Entdeckte mit dem
bereits Gewußten geistvoll und besonnen zu combiniren weiß, ganz abgesehen von
der Form des goetheschen Briefstils, die auch hier des Lernenswerthcn genug bietet.
Wie der Herausgeber richtig bemerkt, wird durch die vorliegende Publication
freilich nicht der, welcher nach Sensationen und Pikanterien hascht, wohl aber
der befriedigt werden, den es erfreut, große Menschen in der Werkstatt" ihres
Schaffens zu belauschen. Uebrigens fehlt es keineswegs an lebendig gefärbten
Stellen allgemeinsten Interesses. Ich erwähne nur z. B. die scherzhafte Art.
wie Goethe die Klagen über Wiederkehr der gewaltsamen Brandepoche mit der
Hinweisung auf die Kirchen- und Kegcihistorie tröstet, oder an seine hübschen
Bemerkungen beim Erscheinen der scottschen Biographie Napoleons.

Ein Wort, das über Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten als Motto
stehen könnte, findet sich S. 165: "Der Mensch gesteht überall Probleme
zu und kann doch keines ruhen und liegen lassen; und dieses ist auch ganz
recht, denn sonst würde die Forschung aufhören, aber mit dem Positiven muß
man es nicht so ernsthaft nehmen, sondern sich durch Ironie darüber erheben
und ihm dadurch die Eigenschaft des Problems erhalten; denn sonst wird man
bei jedem geschichtlichen Rückblick confus und ärgerlich über sich selbst." --
Gleichzeitige Leistungen auf verwandten Gebieten werden mit Wärme besprochen,
das carussche Werk von den Ur-Theilen des Knochen- und Schalengerüstes mit
Emphase gelobt. Alexander v. Humboldt hingegen gewarnt, sich nicht an allzu
große Ansichten und Zusammenstellungen zu gewöhnen, für welche zur Zeit


zusammenfaßte und für die er in den Grubenwerken seiner eigenen Güter
ein vortreffliches Uutersuchungsfeld besaß. Ein Edelmann im schönsten Sinne
des Wortes lauschte er den Regungen vaterländisch-böhmischer Selbständigkeit
allenthalben, wo sie eine gesunde Richtung nahmen; er wurde der Gründer
des prager Nationalmuseums und erzielte, indem er zu den großen Wander¬
versammlungen deutscher Naturforscher die erste Anregung gab, eine erst in
unseren Tagen in ihrer vollen Wichtigkeit gewürdigte Förderung der Wissen¬
schaft. In diesem Manne nun fand auch Goethe einen Mentor. Jede natur¬
wissenschaftliche Frage, die ihn dringend beschäftigt (hauptsächlich handelt es sich
um Geologie und Meteorologie) legt er dem Freunde zur Begutachtung vor
und erhält von ihn, prompte und bestimmte Auskunft; während er wiederum
diesem zu Liebe innerhalb des kleinen Staates, der ihm zur Gerfügung steht,
Nachgrabungen anstellen und Berichte aufsetzen läßt. Die positiven Resultate
dieser schriftlichen Zwiegespräche sind- freilich wohl von der Wissenschaft längst
gebucht und zum großen Theil bereits antiquirt, aber einiges, z. B. die schöne
Studie Sternbergs über die Gcwitterznge in Böhmen, behält wohl noch heute
seinen Werth, und die Hauptsache ist ja nicht, was, sondern wie hier verhan¬
delt wird, mit welchem Ernst sich der Eine wie der Andere in die Sache ver¬
senkt, im Kleinsten das Größte zu erschauen sucht und das neu Entdeckte mit dem
bereits Gewußten geistvoll und besonnen zu combiniren weiß, ganz abgesehen von
der Form des goetheschen Briefstils, die auch hier des Lernenswerthcn genug bietet.
Wie der Herausgeber richtig bemerkt, wird durch die vorliegende Publication
freilich nicht der, welcher nach Sensationen und Pikanterien hascht, wohl aber
der befriedigt werden, den es erfreut, große Menschen in der Werkstatt« ihres
Schaffens zu belauschen. Uebrigens fehlt es keineswegs an lebendig gefärbten
Stellen allgemeinsten Interesses. Ich erwähne nur z. B. die scherzhafte Art.
wie Goethe die Klagen über Wiederkehr der gewaltsamen Brandepoche mit der
Hinweisung auf die Kirchen- und Kegcihistorie tröstet, oder an seine hübschen
Bemerkungen beim Erscheinen der scottschen Biographie Napoleons.

Ein Wort, das über Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten als Motto
stehen könnte, findet sich S. 165: „Der Mensch gesteht überall Probleme
zu und kann doch keines ruhen und liegen lassen; und dieses ist auch ganz
recht, denn sonst würde die Forschung aufhören, aber mit dem Positiven muß
man es nicht so ernsthaft nehmen, sondern sich durch Ironie darüber erheben
und ihm dadurch die Eigenschaft des Problems erhalten; denn sonst wird man
bei jedem geschichtlichen Rückblick confus und ärgerlich über sich selbst." —
Gleichzeitige Leistungen auf verwandten Gebieten werden mit Wärme besprochen,
das carussche Werk von den Ur-Theilen des Knochen- und Schalengerüstes mit
Emphase gelobt. Alexander v. Humboldt hingegen gewarnt, sich nicht an allzu
große Ansichten und Zusammenstellungen zu gewöhnen, für welche zur Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/532>, abgerufen am 22.12.2024.