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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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August Vöckh, versammelten sich von Nah und Fein seine Schüler und Freunde,
um ihm an dem Tage Glück zu wünschen, an dem er vor nunmehr sechzig
Jahren in Halle die Doctorwürde erlangte. sei on das fünfzigjährige Jubiläum
im Jahre 1837 war zu einem Festtage der deutschen Wissenschaft geworden,
am 24. November 1865 war es Böckhs achtzigjähriger Geburtstag, der wieder¬
um den Anlaß zu den freudigsten Kundgebungen bot. Aber mochten auch alle
Ehrenbezeugungen, welche Akademien und Universitäten, welche Stadt und
Staat zu verleihen im Stande sind, nahezu erschöpft sein: die treue Dankbar¬
keit, die begeisterte Verehrung seiner Schüler, die Bewunderung aller Männer
der Wissenschaft, die Hochachtung jedes Staatsbürgers, sie mühten wieder einen
Ausdruck gewinnen, und so vereinten sich denn die Vertreter aller Stände, und
jeder hat in seiner Mi>e zur Verherrlichung des Festes beigetragen.

Aber welch ein gewaltiger Strom geistigen Lebens ist es auch, der sich
aus der Seele dieses Mannes heraus befruchtend und anregend über die deutschen
Hochschulen ergoß und weiter -getragen wurde in die Gymnasien und Real¬
schulen, so daß in unsrem deutschen Vaterlande, wo ja fast niemand unberührt
bleiben kann von dem Hauch antiken Geisteslebens, auch fast niemand ist. der
nicht seinen Theil von den Fru l'ten davongetragen hätte, die dieser Mann mit
voller Hand gesäet. Wo Böckh angefaßt hat, ist Grund gelegt worden, er
hat der geistigen Entwickelung der Philologie die Bahn bezeichnet, in der sie
fortarbeitet. -- Ihm ist die classische Philologie nicht Anhäufung wissens-
wcrther Einzelheiten über Griechen und Römer: wie der Naturforscher die Werke
der Schöpfung ergründet, so will er das geistige Leben des Volkes in allen
seinen Erscheinungen als ein einheitliches Ganzes betrachten und auf historisch
reproducirenden Wege zur Anschauung bringe!?. Wie Winckelmann einst nichts
vorfand als Beiträge zur Geschichte der Künstler, und eine Geschichte der grie¬
chischen Kunst schuf, so ergriff Vöckh das Wesen der griechischen Literatur und
was bis dahin, wie Winckelmann es nennt, eine Er-ählung der Zeitfolge und
der Veränderungen in derselben gewesen war, das wurde in seinem schaffenden
Geiste ein organisch gegliedertes Ganzes, das sich noch in strenger Folgerichtig¬
keit entwickelt. Für die Geschichte des griechischen Dramas sind die Grund¬
gedanken seines ersten Hauptwerkes als princixibus ti-agoecii^e graeeav (1808)
heute ein Gemeingut der gebildeten Welt. In Heidelberg, wo er von 1807--11
an der Universität lehrte, entstand auch seine berühmte Abhandlung über die
Versmaße des Pindar (1809), worin er den künstlerischen Bau der antiken
Strophe wieder erschloß und so die Grundlage für das Studium der griechischen
Metrik schuf.

Im Jahre 1811 wurde er an die neu gegründete Universität zu Berlin
berufen und hier entwickelte er eine fast unvergleichlich dastehende Wirksamkeit.
Kurz nacheinander und zum Theil neben einander entstanden hier seine großen


August Vöckh, versammelten sich von Nah und Fein seine Schüler und Freunde,
um ihm an dem Tage Glück zu wünschen, an dem er vor nunmehr sechzig
Jahren in Halle die Doctorwürde erlangte. sei on das fünfzigjährige Jubiläum
im Jahre 1837 war zu einem Festtage der deutschen Wissenschaft geworden,
am 24. November 1865 war es Böckhs achtzigjähriger Geburtstag, der wieder¬
um den Anlaß zu den freudigsten Kundgebungen bot. Aber mochten auch alle
Ehrenbezeugungen, welche Akademien und Universitäten, welche Stadt und
Staat zu verleihen im Stande sind, nahezu erschöpft sein: die treue Dankbar¬
keit, die begeisterte Verehrung seiner Schüler, die Bewunderung aller Männer
der Wissenschaft, die Hochachtung jedes Staatsbürgers, sie mühten wieder einen
Ausdruck gewinnen, und so vereinten sich denn die Vertreter aller Stände, und
jeder hat in seiner Mi>e zur Verherrlichung des Festes beigetragen.

Aber welch ein gewaltiger Strom geistigen Lebens ist es auch, der sich
aus der Seele dieses Mannes heraus befruchtend und anregend über die deutschen
Hochschulen ergoß und weiter -getragen wurde in die Gymnasien und Real¬
schulen, so daß in unsrem deutschen Vaterlande, wo ja fast niemand unberührt
bleiben kann von dem Hauch antiken Geisteslebens, auch fast niemand ist. der
nicht seinen Theil von den Fru l'ten davongetragen hätte, die dieser Mann mit
voller Hand gesäet. Wo Böckh angefaßt hat, ist Grund gelegt worden, er
hat der geistigen Entwickelung der Philologie die Bahn bezeichnet, in der sie
fortarbeitet. — Ihm ist die classische Philologie nicht Anhäufung wissens-
wcrther Einzelheiten über Griechen und Römer: wie der Naturforscher die Werke
der Schöpfung ergründet, so will er das geistige Leben des Volkes in allen
seinen Erscheinungen als ein einheitliches Ganzes betrachten und auf historisch
reproducirenden Wege zur Anschauung bringe!?. Wie Winckelmann einst nichts
vorfand als Beiträge zur Geschichte der Künstler, und eine Geschichte der grie¬
chischen Kunst schuf, so ergriff Vöckh das Wesen der griechischen Literatur und
was bis dahin, wie Winckelmann es nennt, eine Er-ählung der Zeitfolge und
der Veränderungen in derselben gewesen war, das wurde in seinem schaffenden
Geiste ein organisch gegliedertes Ganzes, das sich noch in strenger Folgerichtig¬
keit entwickelt. Für die Geschichte des griechischen Dramas sind die Grund¬
gedanken seines ersten Hauptwerkes als princixibus ti-agoecii^e graeeav (1808)
heute ein Gemeingut der gebildeten Welt. In Heidelberg, wo er von 1807—11
an der Universität lehrte, entstand auch seine berühmte Abhandlung über die
Versmaße des Pindar (1809), worin er den künstlerischen Bau der antiken
Strophe wieder erschloß und so die Grundlage für das Studium der griechischen
Metrik schuf.

Im Jahre 1811 wurde er an die neu gegründete Universität zu Berlin
berufen und hier entwickelte er eine fast unvergleichlich dastehende Wirksamkeit.
Kurz nacheinander und zum Theil neben einander entstanden hier seine großen


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[0527] August Vöckh, versammelten sich von Nah und Fein seine Schüler und Freunde, um ihm an dem Tage Glück zu wünschen, an dem er vor nunmehr sechzig Jahren in Halle die Doctorwürde erlangte. sei on das fünfzigjährige Jubiläum im Jahre 1837 war zu einem Festtage der deutschen Wissenschaft geworden, am 24. November 1865 war es Böckhs achtzigjähriger Geburtstag, der wieder¬ um den Anlaß zu den freudigsten Kundgebungen bot. Aber mochten auch alle Ehrenbezeugungen, welche Akademien und Universitäten, welche Stadt und Staat zu verleihen im Stande sind, nahezu erschöpft sein: die treue Dankbar¬ keit, die begeisterte Verehrung seiner Schüler, die Bewunderung aller Männer der Wissenschaft, die Hochachtung jedes Staatsbürgers, sie mühten wieder einen Ausdruck gewinnen, und so vereinten sich denn die Vertreter aller Stände, und jeder hat in seiner Mi>e zur Verherrlichung des Festes beigetragen. Aber welch ein gewaltiger Strom geistigen Lebens ist es auch, der sich aus der Seele dieses Mannes heraus befruchtend und anregend über die deutschen Hochschulen ergoß und weiter -getragen wurde in die Gymnasien und Real¬ schulen, so daß in unsrem deutschen Vaterlande, wo ja fast niemand unberührt bleiben kann von dem Hauch antiken Geisteslebens, auch fast niemand ist. der nicht seinen Theil von den Fru l'ten davongetragen hätte, die dieser Mann mit voller Hand gesäet. Wo Böckh angefaßt hat, ist Grund gelegt worden, er hat der geistigen Entwickelung der Philologie die Bahn bezeichnet, in der sie fortarbeitet. — Ihm ist die classische Philologie nicht Anhäufung wissens- wcrther Einzelheiten über Griechen und Römer: wie der Naturforscher die Werke der Schöpfung ergründet, so will er das geistige Leben des Volkes in allen seinen Erscheinungen als ein einheitliches Ganzes betrachten und auf historisch reproducirenden Wege zur Anschauung bringe!?. Wie Winckelmann einst nichts vorfand als Beiträge zur Geschichte der Künstler, und eine Geschichte der grie¬ chischen Kunst schuf, so ergriff Vöckh das Wesen der griechischen Literatur und was bis dahin, wie Winckelmann es nennt, eine Er-ählung der Zeitfolge und der Veränderungen in derselben gewesen war, das wurde in seinem schaffenden Geiste ein organisch gegliedertes Ganzes, das sich noch in strenger Folgerichtig¬ keit entwickelt. Für die Geschichte des griechischen Dramas sind die Grund¬ gedanken seines ersten Hauptwerkes als princixibus ti-agoecii^e graeeav (1808) heute ein Gemeingut der gebildeten Welt. In Heidelberg, wo er von 1807—11 an der Universität lehrte, entstand auch seine berühmte Abhandlung über die Versmaße des Pindar (1809), worin er den künstlerischen Bau der antiken Strophe wieder erschloß und so die Grundlage für das Studium der griechischen Metrik schuf. Im Jahre 1811 wurde er an die neu gegründete Universität zu Berlin berufen und hier entwickelte er eine fast unvergleichlich dastehende Wirksamkeit. Kurz nacheinander und zum Theil neben einander entstanden hier seine großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/527>, abgerufen am 30.06.2024.