Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Genugthuung, denen die Particularisten immer mit dem Geschrei in den
Ohren lagen: Preußen bat die Mainlinie geschaffen, hat Deutschland zerrissen,
und ihr bettelt euch bei einer Macht an, die euch zurückstößt!

Wichtiger noch ist, daß eben über diesen Punkt die officiellen Erklärungen
in Berlin immer deutlicher und unumwundener hervorgetreten sind. Zuletzt
hat Graf Bismarck gradezu die Umrisse eines Programms gegeben, wie nach
Herstellung des norddeutschen Bundes die nationalen Beziehungen zwischen
Nord und Süd zu regeln seien, und die Erklärung beigefügt, daß. was die
Machtfrage betreffe, das Zusammengehen des Nordens und Südens im Fall
eines Angriffs von außen definitiv gesichert sei. Das waren hocherfreulicbc
Erklärungen. Immerhin aber lassen auch sie noch Bedenken und Zweifel
übrig.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Frage der Festmachung des
Zollvereins den Anknüpfungspunkt für die Verhandlungen bilden wird. Der
Vorbehalt sechsmonatlicher Kündigung war das Mittel, um eine Einigung mög¬
lich zu machen und den vormals auf je zwölf Jahre geschlossenen Contrakt in
ein unauflösliches Band zu verwandeln; und dies wieder kann nur geschehen,
indem Süddeutschland an der Gesetzgebung in Zollsachcn theilnimmt. Aber
wenn Graf Bismarck hinzufügte, daß zu diesem Zweck "organische Einrichtungen"
zu schaffen seien, die er allerdings nicht näher andeutete, so scheint der Gedanke zu
sein, eine besondere Institution, etwa Ausschüsse der Volksvertretungen an Iroo ein¬
zuführen, und es liegt auf der Hand, daß ein solches Auskunftsmittel ein pein¬
liches Uebergangsstadium schüfe, das überdies vielleicht nicht ungefährlich wäre,
wie jede Institution, welche die politische Trennung gewissermaßen sanctionirt.
Es wäre wohl eine Etappe zur parlamentarischen Vereinigung, aber doch zu¬
gleich eine Consolidirung des Provisoriums, und wer weiß auf wie lange. Es
ist leider sehr erklärlich, daß man froh ist, die Herstellung der Verfassung jetzt
ohne die widerhaarigen süddeutschen Elemente vornehmen zu können, aber nach¬
dem der augustenburgischc, welfische und wcttinische Particularismus im Par¬
lament sich vcrhältnißmcißig so zahm und ungefährlich gezeigt hat, so weit
zahmer, als die Wähler dieser Abgeordneten sich vermuthlich gedacht hatten,
wird sich ja wohl auch die Scheu vor den gefürchteten Süddeutschen mäßigen
dürfen. In der Nähe besehen möchten sie leicht einen weit weniger bedrohlichen
Eindruck hervorbringen; zumal sich bald herausstellen würde, was zuweilen
unter der grimmigsten Löwenhaut steckt.

Noch ernster sind die Zweifel, die sich bei uns im Süden an das andere
Wort Bismarcks knüpfen, so zuversichtlich es lautet. Der gegenseitige Beistand
des Südens und Nordens bei jeder Gefährdung der Integrität Deutschlands,
sagte er, sei definitiv gesichert. Dies erhebt allerdings zur Gewißheit, was bis¬
her nur Vermuthung war, daß bestimmte Zusagen der Regierungen gewechselt


eine Genugthuung, denen die Particularisten immer mit dem Geschrei in den
Ohren lagen: Preußen bat die Mainlinie geschaffen, hat Deutschland zerrissen,
und ihr bettelt euch bei einer Macht an, die euch zurückstößt!

Wichtiger noch ist, daß eben über diesen Punkt die officiellen Erklärungen
in Berlin immer deutlicher und unumwundener hervorgetreten sind. Zuletzt
hat Graf Bismarck gradezu die Umrisse eines Programms gegeben, wie nach
Herstellung des norddeutschen Bundes die nationalen Beziehungen zwischen
Nord und Süd zu regeln seien, und die Erklärung beigefügt, daß. was die
Machtfrage betreffe, das Zusammengehen des Nordens und Südens im Fall
eines Angriffs von außen definitiv gesichert sei. Das waren hocherfreulicbc
Erklärungen. Immerhin aber lassen auch sie noch Bedenken und Zweifel
übrig.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Frage der Festmachung des
Zollvereins den Anknüpfungspunkt für die Verhandlungen bilden wird. Der
Vorbehalt sechsmonatlicher Kündigung war das Mittel, um eine Einigung mög¬
lich zu machen und den vormals auf je zwölf Jahre geschlossenen Contrakt in
ein unauflösliches Band zu verwandeln; und dies wieder kann nur geschehen,
indem Süddeutschland an der Gesetzgebung in Zollsachcn theilnimmt. Aber
wenn Graf Bismarck hinzufügte, daß zu diesem Zweck „organische Einrichtungen"
zu schaffen seien, die er allerdings nicht näher andeutete, so scheint der Gedanke zu
sein, eine besondere Institution, etwa Ausschüsse der Volksvertretungen an Iroo ein¬
zuführen, und es liegt auf der Hand, daß ein solches Auskunftsmittel ein pein¬
liches Uebergangsstadium schüfe, das überdies vielleicht nicht ungefährlich wäre,
wie jede Institution, welche die politische Trennung gewissermaßen sanctionirt.
Es wäre wohl eine Etappe zur parlamentarischen Vereinigung, aber doch zu¬
gleich eine Consolidirung des Provisoriums, und wer weiß auf wie lange. Es
ist leider sehr erklärlich, daß man froh ist, die Herstellung der Verfassung jetzt
ohne die widerhaarigen süddeutschen Elemente vornehmen zu können, aber nach¬
dem der augustenburgischc, welfische und wcttinische Particularismus im Par¬
lament sich vcrhältnißmcißig so zahm und ungefährlich gezeigt hat, so weit
zahmer, als die Wähler dieser Abgeordneten sich vermuthlich gedacht hatten,
wird sich ja wohl auch die Scheu vor den gefürchteten Süddeutschen mäßigen
dürfen. In der Nähe besehen möchten sie leicht einen weit weniger bedrohlichen
Eindruck hervorbringen; zumal sich bald herausstellen würde, was zuweilen
unter der grimmigsten Löwenhaut steckt.

Noch ernster sind die Zweifel, die sich bei uns im Süden an das andere
Wort Bismarcks knüpfen, so zuversichtlich es lautet. Der gegenseitige Beistand
des Südens und Nordens bei jeder Gefährdung der Integrität Deutschlands,
sagte er, sei definitiv gesichert. Dies erhebt allerdings zur Gewißheit, was bis¬
her nur Vermuthung war, daß bestimmte Zusagen der Regierungen gewechselt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190677"/>
          <p xml:id="ID_1715" prev="#ID_1714"> eine Genugthuung, denen die Particularisten immer mit dem Geschrei in den<lb/>
Ohren lagen: Preußen bat die Mainlinie geschaffen, hat Deutschland zerrissen,<lb/>
und ihr bettelt euch bei einer Macht an, die euch zurückstößt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1716"> Wichtiger noch ist, daß eben über diesen Punkt die officiellen Erklärungen<lb/>
in Berlin immer deutlicher und unumwundener hervorgetreten sind. Zuletzt<lb/>
hat Graf Bismarck gradezu die Umrisse eines Programms gegeben, wie nach<lb/>
Herstellung des norddeutschen Bundes die nationalen Beziehungen zwischen<lb/>
Nord und Süd zu regeln seien, und die Erklärung beigefügt, daß. was die<lb/>
Machtfrage betreffe, das Zusammengehen des Nordens und Südens im Fall<lb/>
eines Angriffs von außen definitiv gesichert sei. Das waren hocherfreulicbc<lb/>
Erklärungen. Immerhin aber lassen auch sie noch Bedenken und Zweifel<lb/>
übrig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1717"> Es liegt in der Natur der Sache, daß die Frage der Festmachung des<lb/>
Zollvereins den Anknüpfungspunkt für die Verhandlungen bilden wird. Der<lb/>
Vorbehalt sechsmonatlicher Kündigung war das Mittel, um eine Einigung mög¬<lb/>
lich zu machen und den vormals auf je zwölf Jahre geschlossenen Contrakt in<lb/>
ein unauflösliches Band zu verwandeln; und dies wieder kann nur geschehen,<lb/>
indem Süddeutschland an der Gesetzgebung in Zollsachcn theilnimmt. Aber<lb/>
wenn Graf Bismarck hinzufügte, daß zu diesem Zweck &#x201E;organische Einrichtungen"<lb/>
zu schaffen seien, die er allerdings nicht näher andeutete, so scheint der Gedanke zu<lb/>
sein, eine besondere Institution, etwa Ausschüsse der Volksvertretungen an Iroo ein¬<lb/>
zuführen, und es liegt auf der Hand, daß ein solches Auskunftsmittel ein pein¬<lb/>
liches Uebergangsstadium schüfe, das überdies vielleicht nicht ungefährlich wäre,<lb/>
wie jede Institution, welche die politische Trennung gewissermaßen sanctionirt.<lb/>
Es wäre wohl eine Etappe zur parlamentarischen Vereinigung, aber doch zu¬<lb/>
gleich eine Consolidirung des Provisoriums, und wer weiß auf wie lange. Es<lb/>
ist leider sehr erklärlich, daß man froh ist, die Herstellung der Verfassung jetzt<lb/>
ohne die widerhaarigen süddeutschen Elemente vornehmen zu können, aber nach¬<lb/>
dem der augustenburgischc, welfische und wcttinische Particularismus im Par¬<lb/>
lament sich vcrhältnißmcißig so zahm und ungefährlich gezeigt hat, so weit<lb/>
zahmer, als die Wähler dieser Abgeordneten sich vermuthlich gedacht hatten,<lb/>
wird sich ja wohl auch die Scheu vor den gefürchteten Süddeutschen mäßigen<lb/>
dürfen. In der Nähe besehen möchten sie leicht einen weit weniger bedrohlichen<lb/>
Eindruck hervorbringen; zumal sich bald herausstellen würde, was zuweilen<lb/>
unter der grimmigsten Löwenhaut steckt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1718" next="#ID_1719"> Noch ernster sind die Zweifel, die sich bei uns im Süden an das andere<lb/>
Wort Bismarcks knüpfen, so zuversichtlich es lautet. Der gegenseitige Beistand<lb/>
des Südens und Nordens bei jeder Gefährdung der Integrität Deutschlands,<lb/>
sagte er, sei definitiv gesichert. Dies erhebt allerdings zur Gewißheit, was bis¬<lb/>
her nur Vermuthung war, daß bestimmte Zusagen der Regierungen gewechselt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0518] eine Genugthuung, denen die Particularisten immer mit dem Geschrei in den Ohren lagen: Preußen bat die Mainlinie geschaffen, hat Deutschland zerrissen, und ihr bettelt euch bei einer Macht an, die euch zurückstößt! Wichtiger noch ist, daß eben über diesen Punkt die officiellen Erklärungen in Berlin immer deutlicher und unumwundener hervorgetreten sind. Zuletzt hat Graf Bismarck gradezu die Umrisse eines Programms gegeben, wie nach Herstellung des norddeutschen Bundes die nationalen Beziehungen zwischen Nord und Süd zu regeln seien, und die Erklärung beigefügt, daß. was die Machtfrage betreffe, das Zusammengehen des Nordens und Südens im Fall eines Angriffs von außen definitiv gesichert sei. Das waren hocherfreulicbc Erklärungen. Immerhin aber lassen auch sie noch Bedenken und Zweifel übrig. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Frage der Festmachung des Zollvereins den Anknüpfungspunkt für die Verhandlungen bilden wird. Der Vorbehalt sechsmonatlicher Kündigung war das Mittel, um eine Einigung mög¬ lich zu machen und den vormals auf je zwölf Jahre geschlossenen Contrakt in ein unauflösliches Band zu verwandeln; und dies wieder kann nur geschehen, indem Süddeutschland an der Gesetzgebung in Zollsachcn theilnimmt. Aber wenn Graf Bismarck hinzufügte, daß zu diesem Zweck „organische Einrichtungen" zu schaffen seien, die er allerdings nicht näher andeutete, so scheint der Gedanke zu sein, eine besondere Institution, etwa Ausschüsse der Volksvertretungen an Iroo ein¬ zuführen, und es liegt auf der Hand, daß ein solches Auskunftsmittel ein pein¬ liches Uebergangsstadium schüfe, das überdies vielleicht nicht ungefährlich wäre, wie jede Institution, welche die politische Trennung gewissermaßen sanctionirt. Es wäre wohl eine Etappe zur parlamentarischen Vereinigung, aber doch zu¬ gleich eine Consolidirung des Provisoriums, und wer weiß auf wie lange. Es ist leider sehr erklärlich, daß man froh ist, die Herstellung der Verfassung jetzt ohne die widerhaarigen süddeutschen Elemente vornehmen zu können, aber nach¬ dem der augustenburgischc, welfische und wcttinische Particularismus im Par¬ lament sich vcrhältnißmcißig so zahm und ungefährlich gezeigt hat, so weit zahmer, als die Wähler dieser Abgeordneten sich vermuthlich gedacht hatten, wird sich ja wohl auch die Scheu vor den gefürchteten Süddeutschen mäßigen dürfen. In der Nähe besehen möchten sie leicht einen weit weniger bedrohlichen Eindruck hervorbringen; zumal sich bald herausstellen würde, was zuweilen unter der grimmigsten Löwenhaut steckt. Noch ernster sind die Zweifel, die sich bei uns im Süden an das andere Wort Bismarcks knüpfen, so zuversichtlich es lautet. Der gegenseitige Beistand des Südens und Nordens bei jeder Gefährdung der Integrität Deutschlands, sagte er, sei definitiv gesichert. Dies erhebt allerdings zur Gewißheit, was bis¬ her nur Vermuthung war, daß bestimmte Zusagen der Regierungen gewechselt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/518
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/518>, abgerufen am 02.07.2024.