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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Inzwischen beschäftigt man sich östlich vom Kjölengebirge mit noch unmit¬
telbarer praktischen Entwürfen, wenn auch ohne Aufsehen erregendes Geräusch.
Eine solche Idee, die die tonangebenden Kreise eine Zeit lang aufregte, war ein
ziemlich künstlicher, aber doch nicht übel ersonnener Versuch, von Stockholm
aus Einfluß auf die Behandlung der nordschlcswigschen Frage zu gewinnen.
Preußen sollte das Schutz- und Trutzbündniß des vereinigten Nordens angeboten
werden, falls es seinerseits Nordschleswig an Dänemark zurückgäbe unter der
Bedingung, daß dieses in einen Bundesstaat mit Schweden-Norwegen unter
schwedischer Führung eintrete. Dadurch würde Preußen nicht viel weniger als
der Stifter der skandinavischen Einheit geworden sein, in noch emphatischcrem
Sinne als Frankreich 1859 der Urheber der italienischen Einheit. Aber freilich
hätte es damit noch unwiderruflicher als Frankreich 1859 mit Oestreich, nun
seinerseits mit Rußland gebrochen. Und ohne daß man dies für alle Zukunft
verhorresciren müßte, wäre es im Augenblicke, bevor der norddeutsche Bund
festgegründet und der Süden durch sichere Bande herangezogen ist, während
Frankreich ingrimmig-schwankend auf der Lauer liegt, tolldreist genug gewesen.
Das scheint man denn in Stockholm zuletzt auch begriffen zu haben. Die
Idee ist bei Seite geschoben worden; die Thronrede des Königs zur Eröffnung
des neuen, modern constitutionellen Reichstags athmete nichts als Friedensliebe,
Versenkung in die allgemeinen Aufgaben der Cultur, und die Ungeduldigen in
Kopenhagen sind wieder bis zum Bersten zornesvoll über die egoistische, mate¬
rialistische Richtung des schwedischen Volkes, das die Großthaten der Väter
ganz vergessen zu haben scheine und höchstens an Finnland denke, nicht an
Nordschleswig, welches doch so viel entschiedener als Finnland zum skandinavi¬
schen Norden gehöre. In Kopenhagen dürfen sich überhaupt politische Ideen,
die eine Aussöhnung mit Deutschland zum integrirenden Bestandtheil haben,
gegenwärtig noch gar nicht hören lassen. Der Schmerz über die Niederlage im
Felde und den Verlust von ganz Schleswig ist noch zu frisch, die Reaction
gegen den ausgestoßenen Einfluß der früher bekanntlich auch Dänemark beherr¬
schenden deutschen Cultur noch zu jung und leidenschaftlich, als daß selbst in
politischen Kreisen, wofern sie "ationaldänisch sind, der Gedanke an eine Ver¬
ständigung mit den Dents.ben laut werden dürfte. Was aber nicht national¬
dänisch ist, das muß sich in Kopenhagen auf stille Conventikel und anonyme
Zeitungsartikel beschränken. "Hjemmetydskeriet", Hausdeutschthum, gilt heutzu¬
tage in Dänemark und vor allem in der dänischen Hauptstadt für das schänd¬
lichste aller politischen Laster: es bedeutet dasselbe, wie wenn jemand in dem
thronverwandten Athen den Türkenfreund spielen wollte.

Ein Griechenfreund im Turban hingegen ist in Athen keineswegs unpopu¬
lär; ebenso wenig in Kopenhagen die Kölnische Zeitung, die sich der Dänen
Nordschleswigs so unverdrossen annimmt. Vom deutschen Standpunkt ist natur-


Inzwischen beschäftigt man sich östlich vom Kjölengebirge mit noch unmit¬
telbarer praktischen Entwürfen, wenn auch ohne Aufsehen erregendes Geräusch.
Eine solche Idee, die die tonangebenden Kreise eine Zeit lang aufregte, war ein
ziemlich künstlicher, aber doch nicht übel ersonnener Versuch, von Stockholm
aus Einfluß auf die Behandlung der nordschlcswigschen Frage zu gewinnen.
Preußen sollte das Schutz- und Trutzbündniß des vereinigten Nordens angeboten
werden, falls es seinerseits Nordschleswig an Dänemark zurückgäbe unter der
Bedingung, daß dieses in einen Bundesstaat mit Schweden-Norwegen unter
schwedischer Führung eintrete. Dadurch würde Preußen nicht viel weniger als
der Stifter der skandinavischen Einheit geworden sein, in noch emphatischcrem
Sinne als Frankreich 1859 der Urheber der italienischen Einheit. Aber freilich
hätte es damit noch unwiderruflicher als Frankreich 1859 mit Oestreich, nun
seinerseits mit Rußland gebrochen. Und ohne daß man dies für alle Zukunft
verhorresciren müßte, wäre es im Augenblicke, bevor der norddeutsche Bund
festgegründet und der Süden durch sichere Bande herangezogen ist, während
Frankreich ingrimmig-schwankend auf der Lauer liegt, tolldreist genug gewesen.
Das scheint man denn in Stockholm zuletzt auch begriffen zu haben. Die
Idee ist bei Seite geschoben worden; die Thronrede des Königs zur Eröffnung
des neuen, modern constitutionellen Reichstags athmete nichts als Friedensliebe,
Versenkung in die allgemeinen Aufgaben der Cultur, und die Ungeduldigen in
Kopenhagen sind wieder bis zum Bersten zornesvoll über die egoistische, mate¬
rialistische Richtung des schwedischen Volkes, das die Großthaten der Väter
ganz vergessen zu haben scheine und höchstens an Finnland denke, nicht an
Nordschleswig, welches doch so viel entschiedener als Finnland zum skandinavi¬
schen Norden gehöre. In Kopenhagen dürfen sich überhaupt politische Ideen,
die eine Aussöhnung mit Deutschland zum integrirenden Bestandtheil haben,
gegenwärtig noch gar nicht hören lassen. Der Schmerz über die Niederlage im
Felde und den Verlust von ganz Schleswig ist noch zu frisch, die Reaction
gegen den ausgestoßenen Einfluß der früher bekanntlich auch Dänemark beherr¬
schenden deutschen Cultur noch zu jung und leidenschaftlich, als daß selbst in
politischen Kreisen, wofern sie »ationaldänisch sind, der Gedanke an eine Ver¬
ständigung mit den Dents.ben laut werden dürfte. Was aber nicht national¬
dänisch ist, das muß sich in Kopenhagen auf stille Conventikel und anonyme
Zeitungsartikel beschränken. „Hjemmetydskeriet", Hausdeutschthum, gilt heutzu¬
tage in Dänemark und vor allem in der dänischen Hauptstadt für das schänd¬
lichste aller politischen Laster: es bedeutet dasselbe, wie wenn jemand in dem
thronverwandten Athen den Türkenfreund spielen wollte.

Ein Griechenfreund im Turban hingegen ist in Athen keineswegs unpopu¬
lär; ebenso wenig in Kopenhagen die Kölnische Zeitung, die sich der Dänen
Nordschleswigs so unverdrossen annimmt. Vom deutschen Standpunkt ist natur-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/514>, abgerufen am 02.07.2024.