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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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geben sollte. Ein Theil der Radicalen rettete sich in die Ideen der französischen
Revolution und wollte das Gegentheil der Freiheit der Kirche, nicht bedenkend,
daß dieser Weg zum Feit der Vernunft und dann in logischem Fortschritt zum
Concordat des ersten Consuls geführt hatte. Vor allem aber erhob sich, wenn
nun der Kirche die Unabhängigkeit gegeben werden sollte, die Frage, wer denn
eigentlich das legitime Subject dieser Kirche sei: die Hierarchie oder die Ge¬
sammtheit der Gläubigen, de>s Priesterthum oder das Laienthum, und diese
Frage trat um so mehr in ihrer prakiischcn Bedeutsamkeit hervor, als man jetzt
mit Recht in der Disposition über das Kirchenvermögen den eigentlichen Nerv
der Sache erkannte. Denn wenn man auch einverstanden war, daß der Staat
das Recht habe, das todte Vermögen der Kirche in bewegliches Eigenthum zu
verwandeln und selbst einen Theil davon für sich zu behalten, da er in so
manche Funktionen, die früher der Kirche oblagen, eingetreten war, so fing die
eigentliche Schwierigkeit erst an, wenn man sich besann, durch wessen Verwal¬
tung künftig die Ausgaben für den Cultus bestritten werden sollten. Durch
den Staat selbst mittelst Dotationen und Besoldungen? Aber dies widersprach
dem obersten Princip der Trennung. Durch die Bischöfe? Aber dies gab dem
Eviscopat eine gefährliche Macht in die Hand, und die Folge war so vielmehr
eine Verknöcherung, denn eine Erneuerung der Kirche. Durch die Gemeinden
oder durch Provinzial- und Diöccsancongregationen des Laienthums? Aber das
war doch wieder ein Eingriff in die innerste Organisation der Kirche und be¬
deutete nicht weniger als eine Erschütterung der wesentlichen Grundlagen des
Katholicismus.

Genug, es trat mit einem Male eine ganze Reihe von praktischen und
zum Theil dringlichen Fragen hervor, für welche die öffentliche Meinung nicht
im mindesten vorbereitet war, und welche selbst für die Politiker bisher hinter
den unbestimmten Worten einer Formel verborgen gewesen waren. Es ist so¬
mit erklärlich, so wenig man das Verfahren der aufgelösten Kammer billigen
kann, daß die nächste Folge nur ein Chaos widerstreitender Meinungen, ein
Krieg Aller gegen Alle war. Das Comvromiß des ricasolischcn Entwurfs ist
allerdings damit gerichtet, daß er von allen Seiten ohne Ausnahme, von der
Linken, von den Gemäßigten und -- obwohl zögernd -- auch von Seilen des
Papstes und Episcopats verworfen worden ist, und in dieser Form wird er
nicht wieder vorgelegt werden. Aber es ist sehr die Frage, ob die lebhafte,
leidenschaftliche Discussion, die sich entsponnen hat und die sich nun unglück¬
licherweise in den Wahltampf mischt, bis jetzt die Sache selbst erheblich gefördert
hat. Eine sehr ernste Aufgabe wartet so des nächsten Parlaments, in einem
Augenblick, in welchem ohnedies außergewöhnliche Proben von Weisheit und
Tact von ihm erwartet werden, um die Autorität und Stetigkeit des parlamen¬
tarischen Systems zu retten. Mit Wahrscheinlichkeit ist inzwischen nur dies


geben sollte. Ein Theil der Radicalen rettete sich in die Ideen der französischen
Revolution und wollte das Gegentheil der Freiheit der Kirche, nicht bedenkend,
daß dieser Weg zum Feit der Vernunft und dann in logischem Fortschritt zum
Concordat des ersten Consuls geführt hatte. Vor allem aber erhob sich, wenn
nun der Kirche die Unabhängigkeit gegeben werden sollte, die Frage, wer denn
eigentlich das legitime Subject dieser Kirche sei: die Hierarchie oder die Ge¬
sammtheit der Gläubigen, de>s Priesterthum oder das Laienthum, und diese
Frage trat um so mehr in ihrer prakiischcn Bedeutsamkeit hervor, als man jetzt
mit Recht in der Disposition über das Kirchenvermögen den eigentlichen Nerv
der Sache erkannte. Denn wenn man auch einverstanden war, daß der Staat
das Recht habe, das todte Vermögen der Kirche in bewegliches Eigenthum zu
verwandeln und selbst einen Theil davon für sich zu behalten, da er in so
manche Funktionen, die früher der Kirche oblagen, eingetreten war, so fing die
eigentliche Schwierigkeit erst an, wenn man sich besann, durch wessen Verwal¬
tung künftig die Ausgaben für den Cultus bestritten werden sollten. Durch
den Staat selbst mittelst Dotationen und Besoldungen? Aber dies widersprach
dem obersten Princip der Trennung. Durch die Bischöfe? Aber dies gab dem
Eviscopat eine gefährliche Macht in die Hand, und die Folge war so vielmehr
eine Verknöcherung, denn eine Erneuerung der Kirche. Durch die Gemeinden
oder durch Provinzial- und Diöccsancongregationen des Laienthums? Aber das
war doch wieder ein Eingriff in die innerste Organisation der Kirche und be¬
deutete nicht weniger als eine Erschütterung der wesentlichen Grundlagen des
Katholicismus.

Genug, es trat mit einem Male eine ganze Reihe von praktischen und
zum Theil dringlichen Fragen hervor, für welche die öffentliche Meinung nicht
im mindesten vorbereitet war, und welche selbst für die Politiker bisher hinter
den unbestimmten Worten einer Formel verborgen gewesen waren. Es ist so¬
mit erklärlich, so wenig man das Verfahren der aufgelösten Kammer billigen
kann, daß die nächste Folge nur ein Chaos widerstreitender Meinungen, ein
Krieg Aller gegen Alle war. Das Comvromiß des ricasolischcn Entwurfs ist
allerdings damit gerichtet, daß er von allen Seiten ohne Ausnahme, von der
Linken, von den Gemäßigten und — obwohl zögernd — auch von Seilen des
Papstes und Episcopats verworfen worden ist, und in dieser Form wird er
nicht wieder vorgelegt werden. Aber es ist sehr die Frage, ob die lebhafte,
leidenschaftliche Discussion, die sich entsponnen hat und die sich nun unglück¬
licherweise in den Wahltampf mischt, bis jetzt die Sache selbst erheblich gefördert
hat. Eine sehr ernste Aufgabe wartet so des nächsten Parlaments, in einem
Augenblick, in welchem ohnedies außergewöhnliche Proben von Weisheit und
Tact von ihm erwartet werden, um die Autorität und Stetigkeit des parlamen¬
tarischen Systems zu retten. Mit Wahrscheinlichkeit ist inzwischen nur dies


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/511>, abgerufen am 01.07.2024.